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Schweizer Waffen für die Ukraine: So schnell geht es nicht

epa10137713 An anti-aircraft gun tank Gepard during Chancellor Scholz's visit to a training facility of the arms-maker Krauss-Maffei Wegmann at the Putlos military training area in Oldenburg in H ...
Deutschland wollte in der Schweiz gekaufte Munition für den Gepard-Flugabwehrpanzer in die Ukraine liefern, doch der Bund sagte Nein.Bild: keystone

Schweizer Waffen für die Ukraine: So schnell geht es nicht

Drittstaaten sollen nach dem Willen der zuständigen Nationalratskommission Schweizer Waffen und Munition an die Ukraine weitergeben können. Der Weg aber ist weit, und es gibt juristische Stolperfallen.
26.01.2023, 06:0127.01.2023, 07:42
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Nach einigem Hin und Her erhält die Ukraine Panzer von mehreren Staaten. Auf Material aus der Schweiz aber muss das angegriffene Land weiter warten. Dänemark, Deutschland und Spanien wollten Waffen und Munition weitergeben, doch der Bund untersagte es mit Verweis auf das Neutralitätsrecht und das erst kürzlich verschärfte Kriegsmaterialgesetz.

Der Ärger darüber ist gross. Die Behauptung von Bundespräsident Alain Berset am WEF in Davos, die Schweizer Neutralität sei «gut verstanden» worden, lässt sich nur damit erklären, dass er gerade etwas abgelenkt ist. Denn NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg oder der deutsche Vizekanzler Robert Habeck kritisieren die Schweiz sehr deutlich.

Im Parlament in Bern wurde der Unmut über die verweigerte Waffenhilfe hingegen registriert. Im letzten Sommer reichte FDP-Präsident Thierry Burkart eine Motion ein, die eine Weitergabe ohne Bewilligung an Staaten ermöglichen will, die «unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das dem unsern vergleichbar ist».

Zwei Vorstösse angenommen

Der Bundesrat kann das Anliegen nachvollziehen, dennoch beantragte er die Ablehnung der Motion. Zwei weniger weit gehende Vorstösse, die ebenfalls auf eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes abzielen, wurden am Dienstag von der Sicherheitspolitischen Kommission (SIK) des Nationalrats behandelt und mit 14 zu 11 Stimmen angenommen.

Eine von der SP eingereichte Motion will die Weitergabe von Waffen ermöglichen, wenn der UNO-Sicherheitsrat oder zwei Drittel der UNO-Generalversammlung einen Konflikt als völkerrechtswidrig einstufen. Ausserdem hat die Kommission eine parlamentarische Initiative beschlossen, die sich direkt auf den russisch-ukrainischen Krieg bezieht.

GSoA verlangt schärfere Sanktionen

Die Nein-Stimmen stammten aus den Reihen der SVP, die eine Aufweichung der Neutralität kategorisch ablehnt, und der Grünen. Auch die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lehnte die «drohende Aushöhlung des Kriegsmaterialgesetzes» ab. Sie fordert eine Verschärfung der Sanktionen, etwa die Enteignung russischer Oligarchen.

Deutschland liefert den Leopard 2

Video: watson/lucas zollinger

Dennoch dürften zumindest die beiden Vorstösse der nationalrätlichen Kommission im Parlament gute Chancen haben, nachdem die SP ihren Widerstand aufgegeben hat. Bis Schweizer Waffen und Munition in der Ukraine ankommen, wird es jedoch einige Zeit dauern. Besonders im Fall der SP-Motion ist der Weg lang und beschwerlich.

Waffen vielleicht schon im Sommer?

Im Fall ihrer Annahme müsste eine Gesetzesrevision ausgearbeitet und vom Parlament verabschiedet werden. Danach folgt eine 100-tägige Referendumsfrist. Ein Referendum ist angesichts des Widerstands sehr wahrscheinlich, wodurch es zu einer Volksabstimmung käme. Schweizer Waffen für die Ukraine gäbe es so wohl frühestens im nächsten Jahr.

Schneller ginge es bei der parlamentarischen Initiative. Sie ermöglicht dem Parlament, ein Gesetz direkt zu behandeln. Im konkreten Fall soll die Änderung dringlich und befristet bis 31. Dezember 2025 in Kraft gesetzt werden, ohne die Referendumsfrist abzuwarten. Im besten Fall könnten die Waffen für die Ukraine vielleicht schon im Sommer geliefert werden.

Wie beim Covid-Gesetz

Dieses Vorgehen erinnert an das Covid-19-Gesetz, das vom Parlament mehrfach revidiert, für dringlich erklärt und befristet verabschiedet wurde. Zweimal wurde 2021 das Referendum ergriffen, doch das Stimmvolk sagte Ja zum Gesetz. Anfang Jahr trat eine weitere, bis Mitte 2024 befristete Revision in Kraft. Auch dagegen werden Unterschriften gesammelt.

Ein Abstimmungsplakat gegen das Covid-19-Gesetz steht auf einer Wiese, am Freitag, 12. November 2021 in Seebach. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Das Covid-Gesetz wurde trotz massiver Nein-Kampagne vom Stimmvolk angenommen.Bild: keystone

Dringliche Gesetze ermöglichen ein schnelles Vorgehen, doch sie sind juristisch heikel. Es ist nicht geregelt, was bei einer nachträglichen Ablehnung in der Volksabstimmung geschieht. Beim Covid-Gesetz würden die Massnahmen wohl aufgehoben, doch im Fall des Kriegsmaterialgesetzes wären die Waffen längst geliefert, wenn es zur Abstimmung käme.

Zivile statt militärischer Hilfe?

Es wäre kaum möglich, sie zurückzufordern. Ein weiterer Stolperstein ist das Neutralitätsrecht. Es verlangt von neutralen Staaten, alle Kriegsparteien gleichzubehandeln, also ihnen gar nichts zu liefern oder im konkreten Fall auch den Russen. Rechtsexperten sehen für die Schweiz deshalb keinen Spielraum, unabhängig vom Kriegsmaterialgesetz.

Das sei «politisch unbefriedigend», räumte Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich, gegenüber der NZZ ein. Die Schweiz müsse andere Wege finden, um zu zeigen, dass sie in diesem Konflikt nicht auf der Seite des Aggressors stehe – etwa indem sie bei der zivilen Hilfe die militärisch gebundenen Hände glaubwürdig kompensiere.

Notrecht als Ausweg?

Man kann das zynisch interpretieren: Wenn die Schweiz schon keine Waffenlieferungen ermöglichen kann, soll sie wenigstens genügend Verbandsmaterial in die Ukraine schicken. Und der Druck aus dem Ausland wird nicht abnehmen. Die Wortmeldungen in Davos zeigen, dass man für die Feinheiten des Neutralitätsrechts wenig Musikgehör besitzt.

Natürlich könnte der Bundesrat die Weitergabe von Waffen und Munition mit Notrecht bewilligen. Entsprechende Forderungen gibt es etwa von Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Doch dagegen gibt es begreifliche Vorbehalte, denn der Bundesrat musste in letzter Zeit mehrfach zu diesem umstrittenen Mittel greifen, etwa zu Beginn der Coronapandemie.

Jositsch stellt Neutralität infrage

Als möglicher Ausweg bietet sich eine «Schlaumeierei» an. Der Bundesrat signalisiert den betreffenden Ländern auf informellen Wegen, sie sollten die Waffen einfach liefern. Er könnte in diesem Fall pro forma Protest einlegen und die Sache danach versanden lassen. Es wäre ein nicht sehr eleganter, aber praktikabler Ausweg aus dem Dilemma.

Das Problem des Neutralitätsrechts aber bleibt bestehen, weshalb der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch in der NZZ eine Grundsatzdebatte postuliert: «Wir müssen die Neutralität infrage stellen.» In einem Konflikt wie dem Ukraine-Krieg könne man nicht neutral sein. Zu diesem Tabubruch aber fehlt der Schweizer Politik wohl der Mut.

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127 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bruchpilot
26.01.2023 08:53registriert Juli 2020
Die SP wünscht sich eine Lockerung der Bestimmungen über Kriegsmaterialexporte, die SVP ist strikt dagegen. Verrückte Zeiten....
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Dan Schraubergott
26.01.2023 06:19registriert März 2021
Das unsere Regierung nicht jedesmal "Knall auf Fall" alle rechtlichen Dinge über Bord wirft - auch nicht auf Druck Dritter - ist m.M.n. lobenswert. Sie bzw (wir, durch die direkte Demokratie) haben und aber auch selber in "verfahrene" Positionen gebracht.
Bsp: Die Neutralität verlangt eine Gleichbehandlung der Kriegsparteien, jedoch darf Kriegsmaterial zwar verkauft, jedoch nur an Parteien welche nicht in einer kriegerischen Auseinandersetzung stecken und an keine Schurken Staaten (etwas vereinfacht) werden. Ist für sich schon paradox und macht die Sache nicht glaubwürdigeren.
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Majoras Maske
26.01.2023 06:40registriert Dezember 2016
Diese Debatte hätte es schon vor einigen Monaten gebraucht...

Am besten wäre es, die Schweiz würde bei Lieferungen von Drittstaaten einfach wegschauen, denn die Bereitschaft wird sowieso abnehmen, dass sie überhaupt noch anfragen. Polen hatte auch angekündigt, die Panzer einfach zu liefern, selbst wenn Deutschland sein Veto einlegt.
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