Die Revolte des Wagner-Chefs Jewgenij Prigoschin war der bisherige Höhepunkt seiner massiven Kritik an Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Dem Putin-Vertrauten werden schon länger Versäumnisse in der Führung des Ukraine-Kriegs vorgeworfen. Prigoschin war die lauteste Stimme und forderte wiederholt seinen Rauswurf. Doch auch nach dem – zunächst weitgehend unbehelligten Marsch der Wagner-Soldaten Richtung Moskau ist Schoigu noch im Amt.
Putins Sprecher Dmitri Peskow beeilte sich am Samstag zu sagen, dass ihm nicht bekannt sei, dass sich die Haltung von Präsident Wladimir Putin seinem Verteidigungsminister gegenüber geändert habe. Personalfragen seien nicht Gegenstand der Gespräche zur Beendigung des Aufstandes gewesen, sagte Peskow.
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Als Chef der russischen Privatarmee Wagner hatte Prigoschin Minister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Niederlagen in dem Krieg verantwortlich gemacht. Er sagte immer wieder, dass der Krieg mit dem Minister und Gerassimow nicht zu gewinnen sei. Prigoschin beklagte auch Korruption, Bürokratie, Betrug und Diebstahl in den russischen Streitkräften unter der Führung der beiden.
«Das Verteidigungsministerium versucht, den Präsidenten und die Öffentlichkeit zu täuschen», sagte Prigoschin vor der Revolte. «Die militärische Spezialoperation wurde aus ganz anderen Gründen begonnen.»
Dann fügte der berüchtigte Söldnerchef hinzu:
Ausserdem hätten sich russische und prorussische Oligarchen Vorteile von dem Krieg erhofft, wetterte Prigoschin. Beweise legte er dafür nicht vor. Der 68-jährige Schoigu wiederum hatte ins Gespräch gebracht, die Söldnertruppen unter sein Kommando zu stellen – was Prigoschin vehement ablehnte.
Doch Prigoschin war nicht der Einzige, der Schoigu ins Visier genommen hatte. Schon kurz nach Kriegsbeginn gab es Stimmen aus den russischen Reihen, die Zweifel an Schoigus Fähigkeiten äusserten. Ein ehemaliger Kommandeur der prorussischen Streitkräfte in der Ostukraine machte bereits im Mai 2022 dem russischen Verteidigungsminister wegen ausbleibender militärischer Erfolge schon schwere Vorwürfe. «Ich beschuldige Sergej Schoigu direkt mindestens der kriminellen Fahrlässigkeit», sagte Igor Girkin in einem Videointerview, das auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht wurde.
Der russische Nationalist selbst ist kein Unschuldiger: Er ist wegen seiner Beteiligung am Abschuss des MH-17-Fluges über der Ukraine in Abwesenheit in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Vor wenigen Tagen erst machte ein Kurzvideo die Runde, in dem Putin bei einer Veranstaltung Schoigu die kalte Schulter gezeigt haben soll. Spekulationen wurden laut, dass sich das Verhältnis der beiden abgekühlt habe.
Im Januar hatte Wladimir Putin auf die schleppende Offensive in der Ukraine reagiert – und den Generalstabschef Waleri Gerassimow zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Ukraine ernannt. Er ersetzte Luftwaffengeneral Sergej Surowikin, der erst Anfang Oktober den Posten erhalten hatte. Surowikin wurde demnach Gerassimows Stellvertreter. Doch auch Gerassimow konnte bislang keine weiteren Erfolge nachweisen – und das schwächt auch die Stellung von Schoigu.
Neben Prigoschin hatte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow Kritik am Verteidigungsminister geübt. Er hatte im vergangenen September eine Generalmobilmachung gefordert. «Wenn man mich fragt, ich würde den Kriegszustand erklären und alle Möglichkeiten dafür nutzen, um so schnell wie möglich mit diesen Ungläubigen aufzuräumen», verlautbarte er damals auf Telegram. Er wolle sogar persönlich nach Moskau fahren, um das zu erläutern. Er bemängelte öffentlich fehlende militärische Unterstützung – und Putin erhob ihn trotzdem in den Rang eines Generaloberst.
Nachdem die ukrainische Stadt Lyman von den russischen Besatzern wieder aufgegeben wurde, forderte die einflussreiche Bloggerin und ehemalige PR-Chefin des Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin, Anastassija Kaschewarowa, Antworten von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow:
Der russische Verteidigungsminister ist sich der Anfeindungen offenbar bewusst. Das britische Verteidigungsministerium sah noch vor wenigen Tagen eine PR-Kampagne: «Schoigu ist sich wahrscheinlich der Notwendigkeit bewusst, angesichts der zunehmend unverhohlenen Kritik einiger Landsleute ein positives Image aufrechtzuerhalten», schrieb es in seiner Einschätzung. So würde der Minister übertrieben Behauptungen zu ukrainischen Verlusten aufstellen.
Putins Mann für die Verteidigung hat selbst nie gedient – was ihm bisweilen ebenfalls zum Vorwurf gemacht wurde. Er ist studierter Bauingenieur, arbeitete zunächst in diesem Beruf. Seine politische Karriere begann noch unter Boris Jelzin – der gab ihm die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz. Schoigu wusste sich bei Unglücken in Szene zu setzen und wurde 1999 als «Held der Russischen Föderation» ausgezeichnet. 2012 dann machte Putin ihn zum Verteidigungsminister – und plötzlich war der Ingenieur auch Armeegeneral.
Die fehlende persönliche Erfahrung in Uniform sei Grund gewesen, dass er in Militärkreisen nicht ernst genommen würde, berichtete der britische Geheimdienst. Es wurde sogar Gerüchte laut, er sei bei Putin in Ungnade gefallen. Noch hält der Kremlchef an Schoigu fest. Doch könnte Schoigu ein Bauernopfer werden, um die Wellen der Empörung abebben zu lassen. Ob der Mann aus Sibirien die nächste Tage politisch überleben wird, muss sich zeigen.
Verwendete Quellen:
(t-online, wan)