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Ukraine Waffen- und Munitionsmangel: Was das Land nun dringend braucht

FILE - Soldiers of Ukraine's National Guard 1st Brigade hold combat training in northern Ukraine on Wednesday, Nov. 8, 2023. As the Kremlin watches for more signs of crumbling Western support for ...
Den ukrainischen Truppen an der Front gehen die Waffen und die Munition aus.Bild: keystone

Kritische Kriegssituation – darauf ist die Ukraine nun dringend angewiesen

Seit zwei Jahren wehrt sich die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Im zweiten Kriegswinter ist die Lage ernst geworden, denn es fehlt an Waffen und Munition. Ohne schnelle westliche Hilfe droht der Zusammenbruch.
23.02.2024, 06:0323.02.2024, 15:55
Philipp Reich
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Morgen Samstag jährt sich der Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zum zweiten Mal. Nach der wenig erfolgreichen Gegenoffensive im Sommer gestaltet sich die militärische Lage für die Verteidiger aktuell ziemlich verzwickt. Die russischen Streitkräfte haben zuletzt die lange hart umkämpfte ostukrainische Bastion Awdijiwka eingenommen und rücken aktuell weiter auf die umliegenden Städte und Dörfer vor. Kupiansk, Lyman und Robotyne sollen die Ziele der nächsten russischen Offensiven sein.

Ukraine Karte und russisch besetzte Gebiete im Überblick
Die aktuelle Lage in der Ukraine.grafik: bbc

Der Grund, warum die Ukraine an der Front mehr und mehr in Bedrängnis gerät, ist simpel: Den ukrainischen Streitkräften vor Ort geht die Artilleriemunition aus. Auch an Flugabwehrsystemen mangelt es derzeit an allen Ecken und Enden. Zwar haben viele Staaten der Ukraine weitere militärische Hilfe zugesagt, aber die Kapazitäten der Rüstungsindustrien reichen nicht aus, um alle Ankündigungen rasch umzusetzen.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt einmal mehr für schnellere Waffenlieferungen geworben. Mit Erfolg: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen übte scharfe Kritik an der internationalen Gemeinschaft. «Wir hätten die Ukraine schon sehr viel früher besser unterstützen sollen», sagte sie. Man könne keinen Krieg ohne Waffen gewinnen. Es müsse alles geliefert werden, «was nötig ist». Wörter seien nicht genug. «Wir haben beschlossen, unsere gesamte Artilleriemunition zu spenden.»

Die neusten Daten des Ukraine Support Trackers des Instituts für Weltwirtschaft aus Kiel zeigen die Diskrepanz zwischen zugesagter und geleisteter Unterstützung: Bis zum 15. Januar 2024 haben die EU und ihre Mitgliedstaaten insgesamt 144 Milliarden Euro an Hilfe versprochen, aber nur 77 Milliarden Euro davon auch zugewiesen – also konkretisiert oder zur Lieferung bereitgestellt.

Das grösste Problem für die Ukraine ist aktuell die innenpolitische Lähmung der USA. Seit Monaten blockieren die Republikaner im Kongress die Freigabe von finanziellen Mitteln für die Ukraine. Seit Ende 2023 sind die US-amerikanischen Hilfszusagen und -lieferungen deshalb beinahe zum Stillstand gekommen. Zuvor hatten die USA unter Präsident Joe Biden Militärhilfe von rund zwei Milliarden Euro pro Monat geleistet. Einen dauerhaften Ausfall der USA als Unterstützer der Ukraine kann Europa nicht auffangen.

Die derzeit zugesagte Militärhilfe beläuft sich laut Ukraine Support Tracker im neusten Erhebungszeitraum zwischen dem 1. November 2023 und dem 15. Januar 2024 über alle Unterstützerstaaten hinweg auf 9,8 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum des letzten Jahres beliefen sich die Zusagen auf 27 Milliarden Euro, davon 21 Milliarden Euro von den USA.

Aktuell tragen die nordeuropäischen Länder, Deutschland und Grossbritannien die Militärhilfe für die Ukraine mehrheitlich auf ihren Schultern. Viele andere Staaten haben wenig oder gar keine neue Unterstützung zugesagt oder geliefert. Die Schweiz beispielsweise beruft sich auf ihre Neutralität und hat bislang keine militärische, sondern fast ausschliesslich humanitäre Hilfe geleistet.

Keine Munition für die Geschütze

Kommen wir zu den konkreten Zahlen: In Sachen Artillerie-Geschütze hängen die Ukraine stark von den USA ab. 556 Haubitzen und Mehrfachraketenwerfer hat die Ukraine von ihren Verbündeten bislang erhalten, 230 davon aus den USA. Das hört sich nach einer stattlichen Zahl an, doch die Verluste im Feld sind hoch und dazu fehlt es für viele Systeme an Munition.

Konkrete Zahlen zur Munition liegen beim Ukraine Support Tracker nicht vor. Schätzungen zufolge benötigt die Ukraine jährlich bis zu 2,4 Millionen Geschosse, um der russischen Feuerüberlegenheit bei der Artillerie von mindestens 3:1 einigermassen standhalten zu können. Die 6500 Schuss pro Tag kann die Ukraine derzeit aber nicht annähernd selbst stemmen.

Um sich versorgen zu können, ist Unterstützung aus dem Westen nötig. Die europäischen Rüstungskonzerne fahren ihre Produktion seit kurzem zwar massiv hoch, es wird aber noch einige Zeit dauern, bis die europäischen Waffen- und Munitionshersteller ihre Kapazitäten so weit ausgebaut haben, dass sie die Streitkräfte der Ukraine ausreichend versorgen können.

Wie Dänemark überlegen sich deshalb auch andere Staaten derzeit, ihre Bestandsmunition der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Wie viel Artilleriemunition in den europäischen Depots liegt, ist allerdings unklar. Um die fehlende Artilleriemunition zu kompensieren, setzen die ukrainischen Streitkräfte derzeit massiv Drohnen als Waffen ein. Im vergangenen Jahr konnten 300'000 Drohnen selbst hergestellt werden. In diesem Jahr sollen es mehr als dreimal so viele werden.

US-Panzerlieferungen bleiben aus

Doch nur mit Drohnen kann die Ukraine ihre bisherige Taktik nicht aufrechterhalten, neben Artilleriegeschützen braucht es vor allem Kampfpanzer. Hier hat Polen die Ukraine bislang am fleissigsten beliefert. 264 Kampffahrzeuge hat man dem Nachbarland bereits zur Verfügung gestellt und damit einen Grossteil der Versprechungen eingehalten. Andere Nationen wie die Niederlande (23/104), die USA (23/76) oder Dänemark (0/59) waren hier weniger verlässlich.

Aktuell verfügt die Ukraine gemäss dem International Institute for Strategic Studies (IISS) in London über rund 2000 Kampfpanzer. Doch nicht alle sind auf dem neusten Stand der Technik und die Zahl reicht auch nicht aus, um alle Kampfeinheiten unterstützen zu können. Wenn jede Brigade über ein einziges Bataillon mit 31 Panzern verfügen würde, bräuchte die Ukraine mehr als 3000 Panzer. Da die ukrainische Industrie noch immer keine neuen Panzer herstellt, ist sie dringend auf Lieferungen von ihren Verbündeten angewiesen.

Doch die USA haben seit fast zwei Monaten keine neuen Kampffahrzeuge mehr entsendet. Und falls die Ukraine-Hilfen nicht durch das Abgeordnetenhaus gehen, könnten die 23 M-1-Panzer womöglich die einzigen M-1 bleiben, welche die Ukraine jemals bekommt. Immerhin: Deutschland und Tschechien führen derzeit Gespräche über einen weiteren sogenannten Ringtausch, um die Ukraine mit schweren Waffen zu beliefern.

Deutschland könnte Tschechien demnach weitere Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4 zur Verfügung stellen. Gemäss Nachrichtenagentur dpa handelt es sich dabei um aus der Schweiz beschaffte Panzer, die aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nicht in die Ukraine geliefert werden dürfen. Tschechien würde die Panzer deshalb für eigene Zwecke nutzen und im Gegenzug aus seinen Beständen weitere Panzer der sowjetischen Bauart T-72 an die Ukraine abgeben.

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218 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
23.02.2024 06:47registriert August 2018
«Wir haben beschlossen, unsere gesamte Artilleriemunition zu spenden.»
Dänemark

«Wir haben beschlossen, keine Artilleriemunition oder Panzer zu spenden, weil wir neutral sind. Wir sind selbst bei einem Angriffskrieg neutral.»
Schweiz

«Wir haben beschlossen, uns auf die Seite Putins zu stellen. Putin musste die Ukraine angreiffen, weil die NATO nach Osten expandiert. Wir stehen vollumfänglich hinter Putins Angriffskrieg.»
SVP
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banda69
23.02.2024 06:46registriert Januar 2020
Die Hilfe der Schweiz an die Ukraine beträgt 2.4 Mrd.

Wie gross ist die "versteckte" Hilfe der Schweiz an die russischen Terroristen? z.B. als Drehscheibe im Rohstoffhandel, usw.
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Schlaf
23.02.2024 06:36registriert Oktober 2019
Ich hoffe inständig, dass es nicht so weit kommt und die Fronten zusammenbrechen, weil der Westen nicht liefern will!

Was für ein Zugeständnis für Putin dies wäre..
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