Die Schweiz wappnet sich für eine Monsterwelle. Taskforce-Präsidentin Tanja Stadler entwarf am Dienstag ein dramatisches Szenario. Die Omikron-Variante könne noch im Januar mehrere Tausend Spitaleinweisungen und bis 300 Intensivpatienten pro Woche zur Folge haben. Es werde «an allen Ecken und Enden» zu Personalausfällen kommen.
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Experten sprechen angesichts der hoch ansteckenden Virus-Variante nicht von einer Welle, sondern von einer Omikron-Wand. Allerdings skizzierte Stadler den Extremfall. Bundesrat Alain Berset meinte am Mittwoch, die Situation sei «unsicher und schwierig zu deuten». Es gebe «keinen Grund für Alarmismus oder Entwarnung».
Bei einem Blick ins Ausland ist man geneigt, dem Gesundheitsminister recht zu geben. In Europa scheint sich die Omikron-Welle von Westen nach Osten zu bewegen. Dennoch irritiert es, dass in Frankreich die Fallzahlen durch die Decke schiessen und auch die Spitaleinlieferungen zunehmen, während die Lage in Deutschland (noch) überschaubar ist.
Vielleicht lohnt sich ein Blick nach Grossbritannien, wo Omikron in Europa zuerst festgestellt wurde und sich die Wand schon im Dezember «aufgetürmt» hatte. Besonders heftig traf es die Hauptstadt London. Eine Woche vor Weihnachten rief Bürgermeister Sadiq Khan den Katastrophenfall aus. Jeder zehnte Einwohner soll mit Omikron infiziert gewesen sein.
Wie aber sieht es heute aus?
Omikron hat die Ansteckungen mit Alpha und Delta «pulverisiert». Direkt nach Neujahr wurde der Wert von 2500 Fällen pro Million Einwohner überschritten. Zuletzt aber war die Kurve rückläufig. Dies kann laut BBC daran liegen, dass die Zahl der Tests nicht mit jener der Infektionen Schritt hält. Auch in der Schweiz dürfte die Dunkelziffer höher sein.
Wesentlich aussagekräftiger ist die Lage in den Spitälern, und hier sieht es tatsächlich so aus, als wäre der Omikron-Peak in Grossbritannien überschritten. Die Zahl der Spitaleinweisungen war von unter 1000 Mitte Dezember auf rund 2200 pro Tag angestiegen, doch zuletzt gab es keine weitere Zunahme. Im «Hotspot» London kam es zu einem Rückgang.
Noch wollen die Experten keine Entwarnung geben. Sie verweisen auf die Rückkehr in die Schulen oder an den Arbeitsplatz. Zu einem erneuten Anstieg könnte es auch kommen, wenn die britische Regierung die relativ milden Einschränkungen aufhebt, die sie vor den Feiertagen verordnet hat. Aber das befürchtete Extremszenario dürfte ausbleiben.
Es gibt beunruhigende Berichte, wonach Omikron zu vermehrten Spitaleinlieferungen von Kindern führt. Sie stammen vor allem aus den USA. Die Erfahrungen aus Grossbritannien können sie teilweise bestätigen. Vor allem Kinder unter 5 Jahren, die sich nicht impfen lassen können, werden seit Beginn der Welle vermehrt ins Krankenhaus eingeliefert.
Die gute Nachricht lautet, dass schwere Krankheitsverläufe selten sind. Experten der Regierung gehen laut «iNews» davon aus, dass die Kinder in den meisten Fällen nur als Vorsichtsmassnahme ins Spital müssen. Auch gibt es bei Kindern bis 18 Jahren deutlich weniger Hospitalisierungen als bei allen anderen Altersgruppen, besonders den Ü-65.
Alain Berset kolportierte am Mittwoch die oft gehörte Behauptung, in der Regel würden Mutationen zunehmend ungefährlicher. In der Fachwelt wird sie kaum geteilt, denn auch bei Corona sprechen die bisherigen Erfahrungen dagegen. So erlebte das Königreich seine schlimmste Phase vor einem Jahr mit der in England entdeckten Alpha-Variante.
Auch Delta führte in vielen Ländern zu einer Eskalation. Es gibt keine Garantie, dass nach dem wohl eher «milden» Omikron nicht erneut eine gefährlichere Mutante auftaucht. Denn Viren mutieren, das liegt in ihrer Natur. Und so lange das Virus in so grosser Zahl kursiert und viele Menschen nicht immun sind, ist die Gefahr nicht gebannt.
Die gute Nachricht ist, dass eine Impfung nach wie vor einen guten Schutz bietet. Zwar scheint die Zahl der Antikörper auch nach einem Booster relativ rasch abzunehmen, aber die sogenannten T-Zellen sind erheblich robuster. Und sie wirken gegen Omikron, wie eine Studie der Universität Kapstadt zeigt. Das schützt auch die Spitäler vor Überlastung.
Einen Vorteil besass Grossbritannien: Schon vor Omikron waren nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung weder geimpft noch genesen und damit ohne Immunschutz. Die meisten schweren Omikron-Fälle seien auf diese Gruppe entfallen, schreibt der «Guardian». In der Schweiz waren laut Zahlen vom letzten Oktober rund 80 Prozent «durchseucht».
In einigen Kantonen wie Waadt waren es vielleicht 90 Prozent. Dies ergibt ein relativ grosses Gefahrenpotenzial. Das «Horrorszenario» der Taskforce ist also nicht völlig aus der Luft gegriffen. Und auch wenn die Welle kurz verlaufen sollte, wird Omikron nicht einfach verschwinden. Dennoch sind die Erfahrungen aus Grossbritannien ermutigend.
Sinkende Fallzahlen in Kombination mit einer Grundimmunität und antiviralen Medikamenten könnten zu einer Überwindung der Krise führen. «Wir können definitiv eine Zukunft planen, in der wir Covid wie andere Krankheiten behandeln, aber wir sind noch nicht dort angelangt», sagte der Epidemiologe Rowland Kao von der Universität Edinburgh dem «Guardian».
Ich bin weiterhin optimistisch gestimmt.
Übrigens: Nüchtern betrachtet macht es aus einer Evolutionssicht absolut Sinn, dass ein Virus sich nur dann so schnell verbreitet wie Omikron, wenn es relativ milde Symptome verursacht. Wer als Virus seinen Wirt mit grosser Wahrscheinlichkeit umbringt, kommt wohl nicht sehr weit. So gesehen ist Omikron vielleicht sogar ein Glücksfall, der den Weg aus der Pandemie ebnet?