Mehr als drei Tage nach dem Verschwinden des «Titanic»-Tauchboots im Atlantik sind die fünf vermissten Abenteurer wohl endgültig verloren. Den fünf Menschen an Bord dürfte am Donnerstagmittag (Schweizer Zeit) der Sauerstoff ausgegangen sein. Vorausgesetzt, dass die «Titan» bis dann überhaupt noch weiter intakt war. Die am Mittwoch noch verstärkten Anstrengungen unter Führung der US-Küstenwache führten zu keinem Erfolg.
Die Suche wird noch nicht aufgegeben. Ein französisches Forschungsschiff ist am Donnerstag in der Nähe des Titanic-Wracks eingetroffen. Es ist mit dem unbemannten Roboter Victor 6000 ausgestattet. Dieser kann tiefer tauchen als andere Geräte, die bisher im Einsatz sind, berichtet The Guardian. Zudem verfügt er über Arme, mit denen über eine Fernsteuerung Kabel durchtrennt oder andere Manöver durchgeführt werden können. Das U-Boot könnte damit unter Umständen befreit werden, sollte es irgendwo feststecken. Der Roboter könnte das U-Boot zwar nicht aus eigener Kraft anheben, könnte aber dabei helfen, es an ein anderes Boot zu hängen, damit es an die Oberfläche gezogen werden kann.
Missing Titanic sub: France sends Victor 6000 deep diving robot to help search https://t.co/iMOrFVdkWm pic.twitter.com/CHo6Dhbv3t
— Reuters (@Reuters) June 22, 2023
Das leistungsstarke Gerät wird von einer 25-köpfigen Crew operiert und kann bis zu 6000 Meter tief tauchen. Das in zwei Hälften zerbrochene Wrack der «Titanic» liegt in rund 3800 Metern Tiefe.
Auch ein Tauchgefährt des kanadischen Schiffs «Horizon Arctic» hat den Grund des Atlantiks erreicht, wie die US-Küstenwache am Donnerstagmorgen (Ortszeit) mitteilte.
Suchteams hätten am Dienstag alle 30 Minuten eine Art von Klopfgeräuschen in der Region registriert, in der das Gefährt der Firma Oceangate vermutet werde, hiess es in einem internen Memo der US-Regierung, aus dem der Sender CNN und das Magazin «Rolling Stone» in der Nacht zum Mittwoch zitierten.
Die Geräusche sollen einem internen Memo der US-Regierung zufolge in regelmässigen Abständen aufgetaucht sein - doch sie liessen sich laut Such-Koordinator Jamie Frederick zunächst keinen Menschen zuordnen: «Wir wissen nicht, was das ist.»
Die Töne, die als Klopfen interpretiert wurden, könnten einem US-Experten zufolge viele Ursachen haben. «Aus meiner Erfahrung mit der Akustik kann ich Ihnen sagen, dass es Geräusche von biologischen Stoffen gibt, die für das ungeübte Ohr von Menschen gemacht klingen», sagte Carl Hartsfield vom Oceanographic Systems Laboratory. Auch könnten sie von Schiffen in dem Suchgebiet stammen. Laut David Marquet, einem pensionierten Kapitän der US-Marine, sind die Aufzeichnungen aber zumindest ein Grund zur Hoffnung. Regelmässiges Klopfen sei genau die Art von Lauten, die die Insassen machen würden, um zu signalisieren, dass sie noch leben, sagte er der BBC.
Gemäss Schätzungen der US-Küstenwache, war der Sauerstoff vermutlich am Donnerstag um 13:08 Uhr Schweizerzeit (07:08 Ortszeit) aufgebraucht. Nach Angaben des Betreibers Oceangate Expeditions hatte die 6,70 Meter kleine «Titan» ausreichend Sauerstoff, um fünf Menschen für 96 Stunden zu versorgen. In der Nähe der «Titanic» etwa 684 Kilometer südlich der kanadischen Insel Neufundland sind die Bedingungen äusserst schwierig. Es herrscht pechschwarze Dunkelheit, und der Wasserdruck ist gross. Der pensionierte britische Konteradmiral Chris Parry sagte dem Sender LBC:
Expertinnen und Experten zufolge könnte auch jetzt noch Luft für die fünf Insassen vorhanden sein, falls es ihnen gelungen sei, Sauerstoff zu sparen, etwa indem sie sich wenig bis kaum bewegen.
«Wir wissen nicht, wie lange sie in Bezug auf den Sauerstoffgehalt tatsächlich durchhalten werden», sagte der Meeresforscher Simon Boxall von der Universität Southampton dem US-Sender NBC News.
«Es gibt schönere Tode», sagt Lungenfacharzt Rainer Schädlich gegenüber dem Berliner Kurier.
Luft enthält 21 Volumenprozent Sauerstoff (O₂). Damit dies auch in Tauch- und U-Booten so bleibt, sind diese mit Kohlendioxid-Filtern ausgestattet, die die ausgeatmete Luft recyceln. Diese Kapazität ist allerdings limitiert und kann irgendwann aufgebraucht sein. Ist es so weit, steigt der Anteil von Kohlendioxid, während derjenige von O₂ sinkt.
Sinke der Sauerstoffgehalt unter 15 Volumenprozent, so Schädlich, dann werde die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zunehmend vermindert. Der Sauerstoffmangel macht sich zunächst durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit bemerkbar. Dann kommen Verwirrtheit, Schwindel, Benommenheit und letztendlich Atemnot hinzu.
Dr. Dale Molé, der ehemalige Direktor für Unterwassermedizin und Strahlenschutz der US-Marine, erklärt allerdings gegenüber der Daily Mail.
Dieser Fall wäre insbesondere dann eingetreten, wenn der Kohlendioxidfilter wegen leerer Tauchboot-Batterien plötzlich nicht mehr funktioniert hätte. Sollte der Strom tatsächlich aufgebraucht gewesen sein, dann wäre auch die Kälte im U-Boot ein Problem gewesen. Das Wasser in der U-Boot-Tiefe liegt um den Gefrierpunkt, weshalb die Insassen mit einem Heizungsausfall an Unterkühlung gelitten hätten. Diese wiederum hätte zu einem Muskelzittern geführt, was in einem noch höheren Sauerstoffverbrauch resultiert hätte.
Ist der Sauerstoff schliesslich ganz aufgebraucht, so trägt das Hirn innert kürzester Zeit irreversible Schäden davon.
Funk, GPS, Satellitentelefon. All das funktioniert aber einer bestimmten Wassertiefe nicht mehr. Erst auf Seerohrtiefe – etwa zwölf Meter unter der Wasseroberfläche – ist Kontakt zur Aussenwelt möglich.
Wie John Mauger von der US-Küstenwache erklärte, hätte man sich bei der Suche zunächst auf die Wasseroberfläche konzentriert, indem mit Flugzeugen systematisch ein grosses Gebiet abgeflogen worden sei. Auch Unterwasser-Fahrzeuge wurden eingesetzt. Dabei setzten die Rettungskräfte vor allem Sonar ein, um die «Titan» zu lokalisieren.
Das Wort Sonar ist ein englisches Akronym von sound navigation and ranging, was so viel heisst wie, Schall-Navigation und -Entfernungsbestimmung. Dabei senden Sonargeräte Schallenergie aus – als «Ping» bezeichnet – und warten dann auf das zurückkehrende Echo eines Unterwasserobjekts. Anhand der Laufzeit des Echos kann die Entfernung des anderen Objekts geschätzt werden.
Sogenannte Sonobojen sind ein wichtiges Hilfsmittel bei der Suche unter Wasser. Die Geräte werden von einem Flugzeug abgeworfen und sinken auf die erforderliche Tiefe. Ein Oberflächenschwimmer mit einem Funksender sichert die Kommunikation zwischen Sonar und Flugzeug. Sobald das Gerät das Echo auffängt, überträgt es die Informationen zurück zur Oberflächenboje und dann weiter zum Flugzeug. Vom Militär werden Sonobojen zum Abhören eingesetzt – beispielsweise von Geräuschen feindlicher U-Boote.
Niemand weiss genau, was mit dem Tauchboot überhaupt passiert war. Das beste Szenario wäre gewesen, wenn sich die «Titan» im Wrack der «Titanic» verfangen hätte, sagte der Meeresforscher Tim Taylor dem US-Sender NBC News. Denn in diesem Falle wäre das Boot am einfachsten zu finden.
Expertinnen und Experten hatten verschiedene Theorien aufgestellt, was passiert sein könnte. Erste Hoffnungen, das Tauchboot könne nach einem Strom- oder Kommunikationsausfall zur Oberfläche getrieben sein, bestätigten sich nicht. In solch einem Fall hätte die Besatzung eigentlich ein Funkgerät zur Kontaktaufnahme verwenden können.
Gemäss einer früheren Theorie, könnte das Tauchboot auch zerborsten sein. Die später aufgenommenen Unterwassergeräusche – sollten sie tatsächlich von der Titan ausgegangen sein – stellten diese Theorie infrage.
Eine andere Befürchtung war, dass der Rumpf beschädigt worden sein könnte und es womöglich ein Leck gab.
Das Boot schien nicht aus eigener Kraft vom Meeresboden aufsteigen zu können. Es hätte also vermutlich hochgezogen werden müssen. «Auch wenn das Tauchboot möglicherweise noch intakt ist, gibt es, wenn es tiefer als 200 Meter ist, nur sehr wenige Schiffe, die so tief vordringen können, und schon gar keine Taucher», sagte der U-Boot-Experte Alistair Greig vom University College London der BBC.
Darüber waren sich die Expertinnen und Experten uneinig. Greig bezweifelte, dass Rettungsgefährte an der Luke des Tauchboots festgemacht werden könnten. Hingegen betonte Meeresforscher Taylor:
Die US-Navy schickte Gerät zur Bergung des U-Boots in die Region. Das Tiefsee-Bergungssystem «Fadoss» traf in der Nacht zu Mittwoch (Ortszeit) in St. Johns im kanadischen Neufundland ein. Die Navy beschrieb es als «tragbares Schiffshebesystem, das eine zuverlässige Tiefsee-Hebekapazität von bis zu 27 Tonnen für die Bergung grosser, sperriger und schwerer versunkener Objekte wie Flugzeuge oder kleine Schiffe bietet.» Es kann mit seiner Winde und Seil auf Schiffen installiert werden. Eine Rettung – ob nun mit «Fadoss» oder anderweitig – hätte aber erst angegangen werden können, wenn das Boot lokalisiert worden wäre.
Such-Koordinator Frederick sprach auf Nachfrage angesichts des sich schliessenden Zeitfensters bereits am Mittwoch über ein mögliches Scheitern der Mission. «Manchmal finden wir nicht, wonach wir suchen», sagte er. Dann komme es vor, «dass man eine schwierige Entscheidung treffen muss. Wir sind aber noch nicht an diesem Punkt», betonte Frederick damals noch. Frederick sagte auch, dass es gelte, «optimistisch und hoffnungsvoll» zu bleiben.
Der US-Physiker Michael Guillen zumindest warnt gegenüber dem britischen Sender Sky News vor solchen Touristenfahrten.
Guillen war im Jahr 2000 an Bord eines russischen Boots zu dem berühmten Wrack getaucht – und kam dabei nach eigener Aussage in Lebensgefahr. Am Heck sei das Tauchboot in eine schnelle Unterwasserströmung geraten, die es in die riesigen Propeller der «Titanic» gerammt habe, sagte der Wissenschaftler. «Unser U-Boot war im Vergleich zum Propeller wie eine riesige Mücke. Riesige Teile der »Titanic« fielen auf uns herab, und ich wusste, dass wir in Schwierigkeiten sind.»
Er habe bereits angefangen, sich mit seinem Tod auseinanderzusetzen, sagte Guillen. «Da war eine Stimme in meinem Kopf. Ich werde die Worte nie vergessen: ‹So also wird es für dich enden›. Ich dachte an meine Frau, die ich nie wieder sehen würde.» Doch schliesslich ging alles gut. Der Pilot schaffte es, das Boot wieder freizubekommen.
Unterdessen hatten Führungskräfte der Tauchboot-Industrie einem Artikel der «New York Times» zufolge schon vor Jahren Sorgen bezüglich der Sicherheit der «Titan». «Wir befürchten, dass der aktuelle experimentelle Ansatz von Oceangate zu negativen Ergebnissen führen könnte (von geringfügig bis katastrophal)», schrieben sie in einem auf 2018 datierten Brief, den die Zeitung veröffentlichte. Darin wird Oceangate irreführendes Marketing vorgeworfen. Chef Stockton Rush wurde dazu aufgerufen, die «Titan» von einer unabhängigen Partei testen zu lassen.
Das passt zum Eindruck von Reporter David Pogue vom US-Sender CBS, der die Fahrt im vergangenen Jahr mitgemacht hatte. Er sagte der BBC, das Gefährt habe auf ihn einen improvisierten Eindruck gemacht. Ein Teil des Ballasts bestehe aus Baurohren. Falls das Boot eingeklemmt werde oder leckschlage, «gibt es kein Backup, keine Rettungskapsel.»
Am Dienstag hat der US-Techblog The Verge auf eine technische Besonderheit hingewiesen: Das Tauchboot werde von einem Gamecontroller des bekannten Schweizer Computerzubehör-Herstellers Logitech gesteuert.
In aktuellen Berichten (unter anderem von der Nachrichtenagentur Keystone-SDA) war fälschlicherweise von einem Xbox-Controller die Rede. Ein Video-Screenshot zeigt aber deutlich, dass es sich um ein Logitech-Gerät handelt.
Das Gefährt wird seit Sonntagvormittag (Ortszeit) vermisst. Etwa eine Stunde und 45 Minuten nach Beginn des Tauchgangs, der rund sieben Stunden dauern sollte, riss der Kontakt zum Begleitboot «Polar Prince» ab. Nach Angaben des Anbieters Oceangate Expeditions hat die knapp sieben Meter kleine «Titan» ausreichend Sauerstoff für insgesamt 96 Stunden.
An Bord des Tauchboots «Titan» befand sich unter anderem der französische Forscher Paul-Henri Nargeolet (77), der als einer der bekanntesten Experten für das Wrack des 1912 gesunkenen Luxusliners galt und daher den Spitznamen «Monsieur Titanic» trug. Weitere Insassen waren der erfahrene britische Abenteurer Hamish Harding (58) sowie der britisch-pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood (48) und dessen 19-jähriger Sohn Suleman. Wie das «Oberbayerische Volksblatt» berichtete, stammt Dawoods Ehefrau aus Deutschland. Der fünfte Vermisste war laut Betreiberfirma Oceangate der Unternehmenschef Stockton Rush (61), der als Kapitän des Bootes fungiert habe.
Oceangate bietet zahlungskräftigen Kunden eine abenteuerliche Reise – die Kosten für die insgesamt achttägige Expedition liegen bei 250'000 US-Dollar. Der Tauchgang selbst dauert eigentlich nur wenige Stunden.
Die «Titanic» war 1912 auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York im Nordatlantik gesunken. Mehr als 1500 der 2200 Menschen an Bord starben. Die Überreste des berühmten Luxusdampfers wurden 1985 entdeckt. (saw/sda/dpa)