Leben
Interview

Dry January: Warum emanzipierte Frauen mehr Alkohol trinken

Eva Biringer, Autorin von "Unabhängig, vom Trinken und Loslassen" und Foodjournalistin, wohnt in Berlin und Wien
Eva Biringer trinkt seit zweieinhalb Jahren keinen Alkohol mehr – und es geht ihr besser denn je.bild: Florian Reimann
Interview

«Emanzipierte Frauen trinken am meisten Alkohol von allen»

Während wir den «Dry January» durchhalten, trinkt die Autorin Eva Biringer gar nicht mehr. Dabei gehört sie zu der Gesellschaftsgruppe, bei der Alkoholkonsum als einzige zunimmt: den emanzipierten Frauen. Ein Gespräch über Exzess, Flirten und Krebsrisiko.
23.01.2023, 06:0025.01.2023, 07:45
Elena Lynch
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Weihnachten ist eine «feucht-fröhliche» Zeit. Manche machen danach den «Dry January» und verzichten einen Monat lang auf Alkohol. Ist das Teil des Vorsatz-Fanatismus, die uns im neuen Jahr jeweils überkommt?
Eva Biringer: Die Kritik, dass es heuchlerisch ist, teile ich nicht. Besser einen Monat statt keinen Monat. Und der Januar bietet sich an – nach der Völlerei der Feiertage. Manchen fällt es leichter, mal keinen Alkohol zu trinken, wenn sie den «Dry January» als Ausrede anführen können.

Den «Dry January» gibt es seit zehn Jahren. Immer mehr Menschen machen mit. Wie erklären Sie sich den Anstieg?
Der «Dry January» passt zum Zeitgeist. Wir wollen alle lange leben, uns gesund fühlen und viel bewegen, und trotzdem trinken wir – das passt eigentlich nicht zusammen. Der Zeitgeist ist das eine. Das andere ist der Nachahmungseffekt: Man sieht auf den sozialen Medien oder anderswo, dass andere trocken bleiben, und sagt: Warum nicht?

Eva Biringer, Jahrgang 1989, ist eine deutsche Journalistin, Autorin und Bloggerin. «Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen» ist ihr zweites Buch und erschien 2022. Sie lebt in Berlin und Wien.

Nicht zu trinken ist zeitgeistig. Wie stehen Sie zu dem ganzen Detox-Getue? Ein neoliberaler Trend – weg vom Hedonismus, hin zu mehr Leistungsfähigkeit – oder eine gute gesamtgesellschaftliche Entwicklung?
Ich bin gespalten. Das Leben darf sich nicht nur um Leistung drehen. Und doch überwiegt für mich das Positive. Gesundheit ist eine gute Sache! Was nicht heisst, dass man alles bis ans Ende durchdeklinieren muss. Ich lehne Rausch nicht ab.

Was lehnen Sie stattdessen ab?
Das Regelmässige – und wie sehr Alkohol in der Kultur verankert ist: Egal, was der Anlass ist, Alkohol steht auf dem Tisch. Man sagt selten, komm, wir saufen uns einen an, sondern man sagt, komm, wir trinken ein Bier oder einen Wein, obwohl es am Ende immer mehr werden. Es ist schleichend.

In Ihrem Buch «Unabhängig. Über Trinken und Loslassen» schreiben Sie: «Der Weg in die Sucht kann ein langer sein, und nicht alle gehen ihn bis ans Ende. Und doch haben sich viele zumindest die Schuhe geschnürt.»
Die meisten wissen gar nicht, wie abhängig Alkohol macht – selbst in kleinsten Mengen. Das kritisiere ich. Ich will, dass Leute wissen, dass es eine Droge ist. Ich will, dass man sich bewusst entscheidet, mit 18 und nicht mit 16. Und ich will, dass es 0 Promille sind, wenn man Auto fahren will.

Sie sagen, die meisten wissen gar nicht, wie abhängig Alkohol macht. Was muss man denn wissen?
27 Krankheiten stehen in direktem Zusammenhang mit Alkohol, und über 200 in indirektem Zusammenhang. Da geht es vor allem um Krebs – jede Körperzelle, die mit Alkohol in Berührung kommt, ist einem höheren Krebsrisiko ausgesetzt.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind schätzungsweise vier Prozent aller Krebserkrankungen alkoholbedingt. Von den rund 40’000 Krebserkrankungen pro Jahr in der Schweiz sind also 1600 bis 3200 Erkrankungen durch regelmässigen Alkoholkonsum entstanden.
Bei Frauen ist es Brustkrebs – die häufigste Krebsart weltweit, noch vor Lungenkrebs – und bei Männern Darmkrebs, die selbst durch minimale Mengen von Alkohol begünstigt werden. Stärker als bei Männern löst Alkohol bei Frauen auch Angststörungen und Depressionen aus, ebenso Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen.

Alle zehn Sekunden stirbt weltweit ein Mensch durch Alkohol, 2016 waren es drei Millionen – mehr als durch Verbrechen, Verkehrsunfälle und illegale Drogen zusammen. Und trotzdem trinken wir heiter weiter. Warum?
Alkohol ist ein Kulturgut und ein Wirtschaftsfaktor, alles hängt da dran: Identität, Geld, Steuereinnahmen. Alkohol hat eine starke Lobby. Und viele Politikerinnen und Politiker sind selbst süchtig, genauso wie Ärztinnen und Ärzte. Alkoholsucht ist sehr verbreitet in der Gesellschaft, weswegen wir sie uns kollektiv schönreden.

Sie haben vor zweieinhalb Jahren aufgehört, Alkohol zu trinken. Wie geht es Ihnen damit?
Viel besser! Die latente Niedergeschlagenheit, die ich immer hatte, ist weg. Ich bin fokussierter, zielstrebiger und ich weiss eher, was ich will – auch nicht immer, aber eher. (lacht) Meine Gedanken kreisen nicht mehr um Alkohol. Alle, die eine Sucht haben, kennen dieses Wechselbad: Will ich wirklich? Ich sollte nicht! Ich werde wohl wieder. Warum habe ich wieder? Man kann sich selbst nicht trauen.

Wann haben Sie realisiert, dass Sie sich in einem Teufelskreis befinden?
Schon als Teenagerin gelang es mir nicht, meine Grenzen zu respektieren – ich trank immer weiter. Mit Anfang 20 habe ich den Unipsychologen gefragt, ob es ein Problem sei, wenn ich jeden Tag zwei Gläser Wein trinke. Die Antwort hat mich gar nicht interessiert, aber ich wollte mal gefragt haben. Ich wusste schon lange, dass ich a) zu regelmässig trinke und b) immer mal wieder nicht aufhören kann.

Sind Sie ein Sucht-Typ?
Ich denke nicht, bei allem anderen bekomme ich es ja auch hin. Aber Alkohol war mein Ding.

Warum? Was hat er Ihnen gegeben?
Aufregung! Nicht zu wissen, was passieren wird – auch in Verbindung mit Männern. Das hat für mich sehr lange untrennbar zusammengehört: Beziehung und Alkohol, Daten und Alkohol, Männer und Alkohol.

Inwiefern? Haben Sie sich eher getraut, einen anzusprechen?
Nein, das kann ich auch so. (lacht) Es sind einfach mehr aufregende Sachen passiert. Natürlich kann man auch ohne Alkohol tanzen, flirten, daten, küssen, aber man muss alles neu lernen, wenn man dabei immer getrunken hat.

Ihr Buch richtet sich vorwiegend an Frauen – warum?
Weil der Alkoholkonsum bei allen Gesellschaftsgruppen zurückgeht, nur bei den emanzipierten Frauen nicht. Dieser Trend gilt für die ganze Welt. Gerade in den Jahrgängen ab 1980 und besonders ab 1990 zeigte sich, dass Frauen fast so oft zum Rausch neigen wie Männer und – da sie weniger vertragen – fast ebenso häufig von alkoholbedingten Schäden betroffen sind. Warum? Das versuche ich in meinem Buch zu beantworten.

Und?
Saufen wird zu Self-Care, im Sinne: Du arbeitest wie ein Mann, hast – zwinker, zwinker – dieselben Rechte wie ein Mann, also kannst auch saufen wie einer! Du hast es dir verdient, Sister! Gleichzeitig ist die Gleichberechtigung noch nicht erreicht. Heisst, einerseits haben Frauen all diese neuen Rechte, andererseits werden sie von alten Pflichten bestimmt. Überall auf der Welt trinken Frauen gegen die unmöglich zu erfüllenden Erwartungen an, die sich aus dieser Kombination ergeben.

Noch nie waren so viele Frauen an den Unis wie jetzt – zumindest in Ländern, in denen sie Zugang dazu haben. Ist es nicht logisch, dass der Alkoholkonsum steigt, wenn die Gesellschaftsgruppe grösser wird?
Das unterstützt ja nur die These: Je mehr emanzipierte Frauen es gibt, desto mehr trinken sie, weil es einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Grad an Emanzipation in einem Land und dem Anteil trinkender Frauen gibt. Da müsste man ansetzen.

Wie?
Indem man Alkohol nicht mit Emanzipation und Self-Care gleichsetzt und die Vorzüge eines nüchternen Lebens in den Vordergrund stellt.

Frauen mit Uniabschluss trinken mit doppelt so grosser Wahrscheinlichkeit täglich Alkohol als solche ohne. Haben die nicht einfach mehr Zeit als andere, um sich aufs Sofa zu fläzen und eine Flasche Wein aufzumachen?
Während der Covid-19-Pandemie hatten auch die berufstätigen Mütter keine Zeit mehr, und doch stieg die Zahl von Frauen, die problematisch trinken, an. Man findet immer einen Weg. Auch bei den Männern trinken die sogenannten «Unterschichten» weniger als die sogenannten «Oberschichten» – auch wenn wir, voller Vorurteile, vom Gegenteil ausgehen.

Es ist interessant: Einerseits sagt die Statistik, emanzipierte Frauen trinken mehr denn je, und andererseits ist das alkoholfreie Bier in meiner millennialen Bubble bei Frauen so beliebt wie nie zuvor. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Das Überdenken des eigenen Alkoholkonsums, das mit den Schlagworten «Sober Curious» oder «Mindful Drinking» einhergeht, passt zur millennialen Selbstreflexion. Auch in meiner Bubble in Berlin und Wien wird bewusst weniger getrunken, aber ich glaube nicht, dass es auf dem Dorf oder anderswo ein flächendeckender Trend ist, alkoholfreies Bier zu trinken. Sonst wären die Zahlen ja nicht so, wie sie sind.

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197 Kommentare
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Pr0di
23.01.2023 07:23registriert Februar 2017
Dass in der Gesellschaft ein Problem besteht zeigt alleine schon die Berichterstattung zum Thema Dry January. Die positiven Effekte der Abstinenz werden dabei angepriesen. Dabei wird oftmals unterschlagen, dass die vermutlich positiven Effekte lediglich die negativen Effekte des Alkoholkonsums sind, die weg bleiben... Es käme z.B. Niemandem in den Sinn, die positiven Effekte anzupreisen, wenn man mal kein Heroin (o.Ä) konsumiert.
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D. Valldumatin
23.01.2023 07:25registriert September 2020
《Manchen fällt es leichter, mal keinen Alkohol zu trinken, wenn sie den «Dry January» als Ausrede anführen können.》
Finde ich eine gute Aussage weil es das Problem ganz gut beschreibt.
Es passt gut zu dem, wass ich von Nichtalkoholkonsumenten immer wieder bestätigt bekomme.
Nämmlich dass man sich in der Geselschaft schon fast dafür entschuldigen muss, keinen Alkohol zu konsumieren.
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wirklich wundervoll wuschiger Waschbär
23.01.2023 06:23registriert Juli 2019
schon schräg das man etwas efinden muss um nicht zu trinken
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