Meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner und ich haben uns für unseren diesjährigen Auffahrts-Ausflug für das Fondei entschieden. Ein 10 Kilometer langes Tal ins Nichts. Dort dürfen wir ein paar Tage auf dem Maiensäss von Luis' Familie verbringen. Ein Maiensäss, eine Sonderform der Alp, eine gerodete Fläche mit Hütten und Ställen, unter der Baumgrenze, auf ca. 1200 bis 2000 Metern Höhe.
Drei Tage ohne Strom, ohne warmes Wasser, kaum Handy-Empfang, geheizt wurde mit Holz, gekocht über dem Feuer. Ich habe in diesen Tagen weder geduscht noch mein Handy laden müssen. Oder wollen. Weil ich es ja eh nicht nutzen konnte.
Immerhin hatten wir einen Parkplatz ganz in der Nähe des Hauses, Luxus! Sonst hätte es eine 1,5-Stunden-Wanderung zum Haus gegeben, mit allem Gepäck und Essen für drei Tage. Das wäre ja der Gipfel gewesen.
Auf jeden Fall haben wir schnell gemerkt, dass wir hier oben alles etwas bewusster und langsamer angehen können. Und dass wir ganz viele Sachen als selbstverständlich betrachten. Diese acht Dinge haben wir auf unserem Maiensäss gesagt – und so unsere Augen geöffnet.
Dieser Beitrag wird eine kleine Hommage an meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, mit denen es sich ganz gut leben lässt. Egal, wo. Auch zu zehnt in einer kleinen Holzhütte auf 2000 Metern über Meer. Wer also nicht zwischen den Zeilen lesen will, wie toll ich meine WG finde, kann hier raus.
Der intuitive Griff an die Wand, sobald wir einen dunklen Raum betreten, ist uns allen passiert. Und jedes Mal dann das Kopfschütteln. Strom ist nicht. Deshalb müssen wir auch jedes Mal eines der solarbetriebenen Lämpchen mitnehmen, die wir überall im Wohnzimmer hängen haben. Sobald wir nämlich diesen Raum verlassen, ist es wieder stockdunkel. Und wehe uns, wenn wir morgens vergessen, die Lämpchen rauszustellen in die Sonne. In der Hoffnung, dass sie dann noch genügend Licht erhielten, um vollständig zu laden.
Für ein bisschen musikalische Unterhaltung und um unsere verschiedenen Musikgeschmäcker abzudecken, müssen wir immer mal wieder ein Lied auf Spotify laden. Netz im Wohnzimmer? Kannst du vergessen. Ausser Luis drückt das Handy gegen das Fenster neben der Holzbank. Von der er natürlich nicht aufstehen will. Und natürlich reicht's nur im oberen Drittel der Scheibe für ein Strichli Empfang. Das Problem ist: Der Krampf im Arm ist vorprogrammiert. Das Laden dauert auch jedes Mal eher lange.
Aber nicht nur der WC-Sitz ist kalt, sondern der ganze Raum. Wobei Raum übertrieben ist: Die winzige Zelle, die sich Bad nennt. Die wurde, erklärt uns Luis in einer kurzen Geschichtsstunde zum Häuschen, erst später am Haus angebaut, ohne Isolation. Dementsprechend frisch ist auch jedes Mal der Gang zur Toilette. Ich hab das Thermometer kontrolliert, solide 5 Grad stand da einmal. Jedes Mal kam die Frage auf: Muss ich jetzt WIRKLICH?
Ohne die ganze Lichtverschmutzung der Stadt tauchen Lichter am Nachthimmel auf in einer Anzahl, die uns die Sprache verschlägt. Wir sind uns so gewöhnt, dass überall immer eine Lichtquelle ist, egal ob Strassenlaterne oder auch die Lichter an elektronischen Geräten. Aber es ist dunkel. Mega dunkel. So dunkel, dass man abends die eigene Hand vor Augen nicht sieht. Ich mein's ernst!
Die Polarlichter haben wir übrigens auch gesehen. Quote dazu: «Hübsch, aber ist mir zu kalt hier draussen.»
Über dem Feuer kochen ist tricky. Hohe, mittlere, tiefe Temperatur? Fehlanzeige. Schon nur das Feuer in so einem Ofen in Gang zu bringen, ist eine Kunst für sich. Deshalb an dieser Stelle ein Shout-Out an Marius, der die beste Gerstensuppe über den Flammen gekocht hat, die möglich gewesen ist. Und dann auch gleich daran denkt, Wasser zu kochen, damit wir später den Abwasch machen können.
Ja, was haben wir denn erwartet? Die Leitung ist direkt an einer Quelle angeschlossen. Immerhin: Wir können den Brunnen vor dem Haus auch als Kühlschrank nutzen. Auch der Bergbach hinter dem Haus ist eiskalt. Drin gebadet haben wir trotzdem. Quasi als Fake-Duschen. Weil, nie und nimmer hätte ich es lange genug im Wasser ausgehalten, um mich einzuseifen. Und «chly stinke mueses».
Ladekabel haben wir in aller Selbstverständlichkeit eingepackt – aber genügend Powerbanks natürlich nicht. Auch wenn Luis uns gewarnt hat, dass es KEINEN STROM gibt. Die einen stresst es (nur ein bisschen), die anderen lassen bewusst den Akku einfach zugrunde gehen. Die obige Frage kommt dann trotzdem auf. Wohl auch, weil man sich plötzlich Fragen stellt, die bei stetigem Zugang zu Strom gar nicht nötig sind. Und weil wir für den Fall vorbereitet sein wollen, falls jetzt plötzlich zwei Leute UNBEDINGT gleichzeitig ihre Handys hätten laden wollen.
Die schnell wechselnden Wetterverhältnisse sind für uns viel mehr spürbar, weil wir mehr oder weniger den ganzen Tag draussen auf der Terrasse verbringen. Als (hauptsächlich) Bürogummis sind wir uns tagsüber konstante 21-Grad-Heizungsluft gewöhnt. Wie mühsam ist denn bitte das dauernde An- und wieder Abziehen?! Frage für einen Freund.
Es gäbe noch viel mehr Momente und Aussagen der letzten Tage, bei denen ich schmunzeln muss. Dass Aline und ich morgens aufwachen, in unseren drei Kleiderschichten im Schlafsack unter drei Wolldecken, und uns erstmal drüber beschweren, dass die Strohmatratzen zu weich sind. Oder dass Nadine sich irgendwann darüber entrüstet, dass wir jetzt nicht einfach bei der nächsten Tankstelle noch mehr Prosecco holen können. Nachdem wir notabene bereits sechs davon geköpft haben. Aber genug davon.
Leben geht auch einfach. Das wusste ich schon vorher. Aber wir haben alle unsere Zeit gebraucht, um in diesen Nichts-Machen-Modus reinzukommen. In diesem Setting, in welchem wir eigentlich nur unsere Grundbedürfnisse abdecken mussten und sonst einfach NICHTS zu tun hatten, musste ich in meinem Kopf den Regler schieben und das Gefühl ablegen, einfach nichts machen zu können oder müssen. Und nicht immer das Gefühl zu haben, jetzt muss etwas passieren, weil wir haben ja frei und müssen das ausnützen. Wir müssen jetzt wandern gehen. Wir müssen jetzt den Tag voll effizient planen. Nö.
Ich bin ready für eure Kommentare. Sagt mir, wie verwöhnt wir doch alle sind und wie das früher alles Normalzustand war. Aber sagt mir auch gerne, wenn ihr das ebenso geniesst, ab und zu mal wieder ein bisschen mehr Aufwand zu betreiben fürs Kochen, Essen, Warmhaben. Und wie krass es doch ist, wie egal plötzlich die Uhrzeit wird. Essen, wenn Hunger da und schlafen, wenn Müdigkeit reinkickt. Und sonst einfach ein bisschen sein. Jetzt? Hier? Ja.
„wer mit dem technischen Zeug heute zurechtkommt, hätte das früher auch überlebt ohne beim einheizen umzukommen. Musch halt üebe“
I däm Sinn, es ist noch kein Champion vom Himmel gefallen.