Die Netflix-Miniserie «Baby Reindeer» fesselt das Publikum mit seiner offenen Darstellung männlicher sexueller Viktimisierung und Stalkings. Die auf Erlebnissen des britischen Komikers Richard Gadd basierende Serie trägt zur Sensibilisierung bei, dass auch Männer von Stalking betroffen sind. Und zeigt auf, wie schwer es ist, jemanden anzuzeigen, der einen täglich mit zig Nachrichten bombardiert.
Das gilt nicht nur in Grossbritannien, sondern auch in der Schweiz. Bislang gibt es hierzulande keinen Straftatbestand, der Stalking für illegal erklärt. Warum es immer mehr Stalking-Fälle gibt – und welche Handlungen am häufigsten vorkommen:
Grossmehrheitlich sind Frauen häufiger Opfer von Stalking, sagt Fabian Ilg, Geschäftsleiter der Schweizerischen Kriminalprävention. Allerdings werden auch Männer von Frauen gestalkt oder Frauen und Männer stalken ihre gleichgeschlechtlichen Mitmenschen. Schweizweite Zahlen zu Stalking-Fällen werden keine erhoben.
Denn Stalking ist kein Strafbestand, kann aber verschiedene Straftatbestände wie etwa Drohung oder Nötigung erfüllen. «Diese werden statistisch nicht separiert erfasst und können deshalb nicht ausgewiesen werden», teilt uns die Kantonspolizei Zürich mit.
Aufgrund von Schamgefühl haben viele Opfer Mühe, sich Hilfe zu holen. Diese Hemmschwelle ist laut Ilg bei Männern grundsätzlich höher. «Dies dürfte ein Grund sein, weshalb sich verhältnismässig weniger Männer melden.»
Stalking-Fälle nehmen laut der Schweizerischen Kriminalprävention zu – auch wenn es sich bei Stalking nicht um ein Massenphänomen handelt. Dies dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass immer mehr Opfer den Schritt zur Polizei oder einer Opferhilfestelle wagen. «Somit verlagern sich Fälle vom Dunkel- ins Hellfeld», sagt Fabian Ilg.
Die Motive und Beweggründe können ganz unterschiedlich sein. So kann eine Tatperson aus Rache wegen eines empfundenen Unrechts handeln, beispielsweise aufgrund einer enttäuschten Liebe oder einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Weitere Gründe sind Beziehungswünsche, Liebeswahn, Hass oder der Drang, jemanden zu kontrollieren, um ihn zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.
Die Motive können sich im Laufe der Zeit verändern. Allen Motiven gemein ist der Wunsch nach Aufmerksamkeit, der auf eine exzessive Art ausgelebt wird, so Ilg.
Je nach Forschungsmodell gebe es unterschiedliche Typen. Grundsätzlich unterscheide man aber zwischen drei Typen von Stalker:innen. Mehrheitlich komme Stalking nach einer Trennung unter Eheleuten oder Partner:innen vor. Weiter gebe es «Bekanntschaften», welche zu Stalker:innen werden, sowie Unbekannte, welche unter anderem auch bekannte Persönlichkeiten stalken – aber nicht nur.
Stalker:innen würden oft unter einer verzerrten Wahrnehmung leiden, so könne beispielsweise Ablehnung oder eine Reaktion falsch interpretiert oder gar nicht wahrgenommen werden.
In der Regel nehmen Stalking-Handlungen laut Fabian Ilg in ihrer Vielzahl mit der Eskalationsstufe ab, so sind beispielsweise Telefonanrufe, Messenger-Nachrichten, Briefe, Zustellen von Geschenken häufiger als Nachstellen oder Auflauern. Handlungen wie etwa das Verfolgen bis zum Arbeitsplatz oder Eindringen in die Wohnung kommen noch seltener vor.
Trotzdem sollte die Situation ernst genommen werden. Stalking nimmt der Kantonspolizei zufolge mit der Zeit eher an Intensität zu, wenn nichts dagegen unternommen wird.
Die Lebensqualität wird eingeschränkt, das Selbstvertrauen nimmt ab. Oftmals leiden Opfer unter Angstzuständen, Verfolgungswahn, Schlafstörungen, Kopf- und Magenbeschwerden, Reizbarkeit, Depressionen und Alpträumen.
«Dabei geht es den Stalker:innen vermutlich oft darum, die Schuld von sich zu weisen und die Verantwortung für das oft krankhafte Handeln abzuschieben», so Fabian Ilg von der Schweizerischen Kriminalprävention.
Oft handele es sich um Antragsdelikte, welche nur auf Strafanzeige des Opfers verfolgt werden, sagt Fabian Ilg. «Da es sich grundsätzlich um Einzeltaten und erst durch die Wiederholung um Stalking-Handlungen handelt, wagen viele den Schritt nicht zur Polizei oder finden nicht den richtigen Zeitpunkt.» Der Experte empfiehlt deshalb, sich zuerst von einer Opferhilfestelle beraten zu lassen. Zudem verfügen fast alle Kantonspolizeikorps über eine Stelle «Kantonales Bedrohungsmanagement», an welche Betroffene sich wenden können.