Die britischen Medien überbieten sich darin, das zweistündige Gespräch von Oprah und dem Paar, das mal royal war, es dann nicht mehr sein wollte, aber gerade daraus enorm viel symbolisches, emotionales und kapitales Kapital schlägt, hochzujazzen. Schliesslich muss jetzt einkassiert werden.
Nicht nur CBS, auch ausseramerikanische Sender wie ITV oder RTL müssen damit Quote machen, der Einkauf war nicht billig, die Werbeminuten wurden überteuert verkauft, das muss sich jetzt einfach lohnen. Und am kommenden Samstag, wenn wirklich alle schon alles wissen und das Ganze sowas wie Schnee vom letzten Jahr ist, wird es auch noch auf SRF gezeigt. Erwartet wurde ein Explosiv-Interview wie das mit Diana 1995, aber ein wirklich enthüllender Sprengsatz für die Ewigkeit wie Dianas «Well, there were three of us in this marriage, so it was a bit crowded» ist beim besten Willen nicht gefallen.
Natürlich ist es traurig, dass Meghan im goldenen Käfig derart verzweifelte, dass sie Suizidgedanken hegte. Und es ist unendlich bitter, dass die «Firma» ihr eine Therapie untersagt haben soll, weil der royale Ruf darunter zu leiden hätte. Und wenn es stimmt, dass Bedenken über die Hautfarbe des noch ungeborenen Archies geäussert wurden, so ist das skandalös. Aber war das jetzt all die Aufregung im Voraus wert? Ist es wirklich erstaunlich? War die Firma nicht gerade dafür bestens bekannt? Und waren es nicht schon immer die Liebesbeziehungen, die unter der Traditionsstarre einer Institution besonders litten?
Edward VIII. verzichtete aus Liebe zur geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson auf den Thron. Prinzessin Margaret verzichtete auf eine Ehe mit dem geschiedenen Peter Townsend, weil sie dann alle ihre royalen Privilegien verloren hätte. Diana war immer nur eine unzulängliche Ersatzfrau für Camilla. Und Meghan ist die Schauspielerin, die sich in einen Prinzen verliebte und sich – wie sie im Interview gesteht – keine Sekunde lang Gedanken machte, in was für eine Familie sie eigentlich einheiratet. Die ausblendete, dass die Windsors weder mit ethnisch durchmischten amerikanischen Self-Made-Milliardärs-Familien noch mit «Plötzlich Prinzessin» zu tun haben.
Innerhalb der Firma vermag die Liebe nicht allzu viel zu überwinden. Jedenfalls nicht die importierte Liebe. Der Selbstschutz der Windsors dagegen ist absurd und stossend. Zwar wurde Prinz Andrew nach Bekanntwerden seiner Verstrickungen mit dem Mädchenhändler Jeffrey Epstein seiner repräsentativen Pflichten vorübergehend enthoben, aber sonst fiel kein Wort des Missfallens und keine Entschuldigung. Als Prinzessin Michael von Kent an Weihnachten 2017 Meghan kennen lernte, kommentierte sie dies mit Tragen einer venezianischen Mohren-Brosche.
Die rassistischen Witze, die Queen-Gatte Prinz Philip auf seinen Reisen durch das Commonwealth allenthalben fallen liess und damit bewies, dass das Prinzip Commonwealth eben nicht auf einer gleichberechtigten Gemeinsamkeit vieler, sondern auf dem von allen erarbeiteten Wohlstand weniger beruht, wurden allgemein als der possierliche Humor eines knorrigen Individualisten bewertet. Und dass die Kostümparty, an der Harry 2005 (von William unterstützt) als Nazi verkleidet teilnahm, ganz offiziell «Colonials and Natives», also Kolonialherren und Eingeborene hiess, das störte in der Firma niemanden.
Was also hat Meghan erwartet? Dass Liebe alle Schranken niederreisst? So wie in «Bridgerton», wo ein weisser König eine Schwarze heiratet und plötzlich ist der halbe Hofstaat schwarz und Rassismus ein Gespenst aus der Vergangenheit? «Bridgerton» ist ein fiktionales Experiment, eine kreative Geschichts-Appropriation, angelehnt an mögliche Ereignisse, weit mehr Märchen als Historie.
Meghan und Harry erlebten in England die ganz normale royale Realität, vorbelastet durch Jahrhunderte an Traditionen und Konventionen. Dass die beiden jetzt einen Vertrag mit «Bridgerton»-Produzent Netflix haben, ist eine wahrhaft amerikanische und durchaus ironische Wendung des Schicksals. Sie werden dort noch viel, viel mehr Sendezeit erhalten als bei Oprah. Denn wie man die Medien als Multiplikator seiner Geschichte nutzt, mindestens das haben sie von Diana in aller Perfektion gelernt. Sie können daraus noch viel Kapital schlagen.