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Sexsymbol oder Ikone? An Barbie scheiden sich die Geister

Sexsymbol oder Ikone des Fortschritts? An Barbie scheiden sich die Geister

Keine Puppe wurde öfters verkauft als Barbie. Und keine Puppe polarisiert mehr als sie. Nun wird die Plastikfigur, die einst in der Schweiz entdeckt wurde, zum Menschen – als Hauptdarstellerin eines Kinofilms.
16.07.2023, 10:31
Annika Bangerter / ch media
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So manch ein Supermodel wurde zufällig bei einem Spaziergang auf der Strasse entdeckt – so auch Barbie. Und zwar in der Schweiz. 1958 schlenderte Ruth Handler, Mitbegründerin der amerikanischen Spielzeugfirma Mattel, durch Luzern und sah im Schaufenster eine Hartplastikpuppe mit blondem Pferdeschwanz, langen Beinen und hohen Wangenknochen. Diese Figur hiess damals noch nicht Barbie, sondern Lilli.

bild lilli puppe barbie vorbild http://www.andreaschewedesign.com/blog/barbies-origins
Bild: andreaschewedesign.com

Ursprünglich als Lückenfüller für die erste «Bild»-Zeitung gezeichnet, begeisterte die sexy Comicfigur Lilli mit ihren vorlauten und aufreizenden Sprüchen in der Nachkriegszeit. Lilli war derart beliebt, dass sie als Puppe auf den Markt - und in ein Luzerner Schaufenster – kam.

Auch Spielzeugfabrikantin Handler war fasziniert von ihr und kaufte drei Exemplare. Eine für sich und zwei für ihre Tochter Barbara, genannt Barbie. Kurz darauf trat die Puppe – äusserlich leicht adaptiert und mit neuem Namen – ihren Siegeszug an. Das war vor 64 Jahren.

Barbara Millicent Roberts – so Barbies vollständiger Name – schaffte, was im echten Leben keiner Influencerin, keinem Model, keiner Geschäftsfrau gelang: Sie prägt seit Jahrzehnten ein Schönheitsideal, ist auch noch im AHV-Alter faltenlos und hat bis heute mehr als 100 Berufe ausgeübt.

Barbie kriegt die Krise und wird menschlich

Trotz all diesen Erfolgen: Barbie blieb stets in ihrer perfekten Welt aus Plastik verhaftet. Oder wie die Pop-Band Aqua in ihrem Hit singt: «Life in plastic, it's fantastic». Doch jetzt ändert sich das. Und zwar so richtig. Denn Barbie (gespielt von Margot Robbie) kriegt die Krise, verlässt ihr Universum und wird menschlich. Mit ihr schlittert Ken (Ryan Gosling) in die Realität.

Dies ist in aller Kürze zusammengefasst der Inhalt des Barbie-Films von Regisseurin Greta Gerwig («Lady Bird» und «Little Women»). Am Donnerstag läuft er in den Kinos an, doch bereits seit einem Jahr ist er ein mediales Ereignis. Das sagt viel über Mattels Marketing aus, die den Film mitfinanziert, aber auch über das Phänomen Barbie.

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Ryan Gosling und Margot Robbie posieren bei der Europapremiere von «Barbie» in London, 12. Juli 2023. Bild: keystone

Jede und jeder hat einen Anknüpfungspunkt. Sei dies, weil man als Kind der Puppe zuerst den Cowboyhut über den Kopf stülpte und ihr danach die Haare kurz schnitt, oder weil man als Eltern mit aller Kraft den rosaroten Plastikberg im Kinderzimmer verhindern wollte oder weil man als Grosseltern ebendiesen ermöglichte.

Revolutionär zu Beginn: Barbie verlangte nicht die Mutterrolle

Weltweit hat Mattel über eine Milliarde Barbie-Puppen verkauft. Ganz im Sinne des Herstellers ist Geld für Barbie kein Problem. Sie besitzt nicht nur Abertausende Kleidungsstücke, sondern auch Villen, Pferde, Boote und Wohnmobile. Sie ist Abbild und Kultfigur der Konsumgesellschaft. «Barbie verkörpert die perfekte weibliche Konsumentin», sagt Christine Lötscher. Sie forscht an der Universität Zürich zu populären Literaturen und Medien. Für sie ist es kein Zufall, dass Barbie Ende der 50er-Jahren derart einschlug. «Es war eine Zeit, in der sich eine ökonomisierte Popkultur etablierte und alle Welt auf die USA schaute.»

So neuartig Barbie auch war, sie reiht sich doch ein in eine lange Tradition. Ende des 14. Jahrhunderts sind die ersten Modepuppen in Paris erschienen. In einer Zeit, in der es noch keine Modezeitschriften gab, reisten Modemacher, Haarkünstler oder Juweliere mit ihnen an verschiedene Höfe Europas, um dem Adel die neusten Trends zu präsentieren. Entsprechend verkörperten sie stets die Schönheits- und Modevorstellung ihrer Zeit.

epa04084497 A swimsuit Barbie doll is seen on display during the Barbie Celebrates 50th Anniversary of Sports Illustrated Swimsuit Issue party in New York, USA, 17 February 2014. EPA/JASON SZENES
Barbie im ikonischen Badeanzug.Bild: EPA/EPA

Das zieht sich bis und mit Barbie durch, die sich aber als Modepuppe nicht mehr an Erwachsene, sondern an Kinder richtete. Ein Novum. «Bevor Barbie auf den Markt kam, gab es fast nur Babypuppen. Wer mit ihnen spielt, muss fast zwangsläufig in die Mutterrolle schlüpfen. Anders mit Barbie: Um sie muss man sich nicht kümmern, sondern kann sich an Weiblichkeitsidealen, wie sie von Stars verkörpert werden, abarbeiten», sagt Lötscher.

Kommerz und Konsum: Barbie nimmt jeden Trend auf

Dabei ist Barbie stets auch ein Spiegel der Zeit. Kein Trend zieht an ihr vorbei. Etwa 150 Mal hat Barbie ihr Gesicht geliftet. Galt Jacky Kennedy als Schönheitsideal, glich Barbie ihr. Später ähnelten ihre Gesichtszüge jenen von Claudia Schiffer oder Paris Hilton. Steht die Puppe heute auf der Yoga-Matte oder tüftelt seit Corona als Immunologin in einem Labor, war sie in den 60er-Jahren Astronautin und in den 70er-Jahren Blumenmädchen und Disco-Queen. Ihr Freundeskreis hat sich im Laufe der Zeit, wie auch ihre Verwandtschaft, stets vergrössert, wobei auch diese Figuren verschiedene, angesagte (Frauen-)Typen aufnehmen.

Mit der Zeit wurde Barbie immer diverser. Sie kam mit unterschiedlichen Hautfarben und Nationalitäten, weitaus später auch mit verschiedenen Konfektionsgrössen, non-binär und mit Beeinträchtigungen auf den Markt. In diesem April hat Mattel die erste Barbie-Puppe mit Downsyndrom vorgestellt. «Diese Lancierungen zeigen, dass wir als Gesellschaft sehr viel diverser geworden sind», sagt Katja Rost, Soziologin an der Universität Zürich.

Doch bei all dieser Diversität und Inklusion sei Barbie ihrem Stereotyp stets treu geblieben. «Es sind auch diese Exemplare, die am meisten verkauft werden», sagt Rost. Blond, langhaarig und gertenschlank: Das zieht. Wieso eigentlich? «Schöne Menschen sprechen Kinder an. Dazu kommt, dass Barbie ein sehr starkes Gender-Marketing aufweist. Mattel hat dies mit Barbie als eine der Ersten systematisch durchgezogen», sagt Rost.

Sie selbst ist in der DDR gross geworden. Ohne Barbie. Als Inkarnation des Konsums und amerikanischen Kommerzes durfte deren pinke Welt nicht im Kommunismus glänzen. Die Soziologin sagt: «Je wohlhabender ein Land ist, umso stärker bedienen Firmen stereotype Vorstellungen.» Wo Geld vorhanden ist, lässt sich viel verkaufen. «Das gelingt, indem Produkte in Blau und Rosa erscheinen oder sich trotz fast identischem Inhalt wie beispielsweise ein Shampoo spezifisch an Männer oder an Frauen richten», sagt Rost. Auch deshalb spielt Ken im Barbie-Universum nur eine Nebenrolle. Das stereotype Mädchen, das Mattel im Fokus hat, spielt mit weiblichen Puppen.

Die einen lieben sie, die anderen hassen sie

Es sind diese Geschlechterrollen und die Vorstellung von Weiblichkeit, weshalb die Geschichte von Barbie nicht nur rosarot ist. Die Puppe polarisiert wie kaum ein anderes Spielzeug – und dies seit ihrem ersten Auftritt. Sie changiert zwischen Ikone und Horrorpuppe im rosaroten Trash-Universum. Für die einen ist sie ein Symbol der weiblichen Befreiung, für die anderen ein Mittel zur Unterdrückung der Frauen.

Die feministische Bewegung der 70er-Jahre kämpfte unter anderem gegen die Objektivierung der Frauen. Und wer ist schon oberflächlicher als Barbie? Der Fixpunkt zwischen all dem Pink und Glitzer ist ihre Körperlichkeit. Ihre in Plastik gegossenen Proportionen (99-46-84) sind nicht nur unerreichbar, sondern schlicht nicht realistisch. In ihrem Bauch fehlt beispielsweise der Platz für alle Organe.

Entsprechend lehnen die Barbie-Kritikerinnen die Puppe nicht nur wegen des konsumistischen Lifestyles ab, sondern auch wegen eines übertriebenen und einseitigen Schönheitsideals. «Anhand dieser Puppe werden Frauenbilder verhandelt», sagt Christine Lötscher.

Sie teilt die Ablehnung nicht. Kinder könnten durchaus zwischen Puppe und Menschen unterscheiden, sagt die Popkulturwissenschafterin. Zu einfach sei es, Barbie für Schönheitswahn und Optimierungssucht verantwortlich zu machen. «Die Körperproblematik vieler junger Frauen rührt nicht von Barbie her, sondern von gesellschaftlichen Normen und Werten», sagt Lötscher.

Auch für Soziologin Rost zeigt Barbie primär, wie die Gesellschaft tickt. «Sie hält uns vor, was uns wichtig ist. Aber vor allem bedient sie den Massenkonsum und zeigt auf, was die Masse verlangt.» Barbie, ein Produkt des knallharten Kapitalismus also.

Verkörpert Barbie eine Prinzessin? Expertinnen sind sich uneinig

Wie alle anderen namhaften Spielzeugfiguren ist inzwischen auch Barbie ein multimediales Ereignis. Es gibt Hörspiele, Animationsfilme und Videospiele mit ihr. Häufig tritt Barbie dabei als Prinzessin auf. Ist sie das? Ja, findet Soziologin Katja Rost. «Sie verkörpert dieses Mädchen, das die kleine Prinzessin ihrer Eltern ist und der alles in den Schoss fällt.» Nein, findet Christine Lötscher, zu deren Forschungsschwerpunkte auch Kinder- und Jugendliteratur gehört. «Prinzessinnen - etwa aus den Märchen – erleben viel Schweres und werden vermögend durch eine Heirat.» Bei Barbie sei es ganz anders. Sie sei steinreich, ohne sich durch den ganzen Müll durchgearbeitet zu haben. «Sie ist höchstens eine Prinzessin des Kapitalismus, aber sie entwickelt sich nicht», sagt Lötscher.

Sie sieht Barbie vor allem als «Girl Boss»; als eine taffe, weibliche Figur, die alles habe, was sie wolle. Die Prinzessinnenrolle in den Hörbüchern und Animationsfilmen sei hingegen gewählt worden, weil sich dieses Narrativ gut verkaufe, sagt Lötscher. «Das sind ultrabillige Produktionen. Mit dem Spielfilm von Greta Gerwig setzt sich in der Popkultur erstmals überhaupt jemand ernsthaft mit Barbie auseinander.» Und ob man sie nun hasst oder liebt: Dies hat sie nach 64 Jahren Weltruhm auch mal verdient.

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