Vergangenen Juni ereignete sich im Schweizer Unterhaltungssektor ein Erdbeben von beachtlicher Stärke. Epizentrum: das Kaufleuten Zürich. Auslöser: der gestartete Ticketverkauf für die im Dezember im Volkshaus Zürich angesetzte Show der Podcasterinnen Gülsha Adilji, Yvonne Eisenring und Maja Zivadinovic («Zivadiliring»).
In fünf Minuten legten 80'000 Klicks das hauseigene Ticketing-System lahm. Die 1000 in den Verkauf gegebenen Karten waren in zehn Minuten ausverkauft. Mit den zwei nachträglich aufgeschalteten Zusatzvorstellungen gingen nochmals 2000 Tickets ähnlich rasant über den Ladentisch. Die drei weiblichen Hosts hatten in ihrem Podcast die Werbetrommel gerührt – ihre Followerinnen liessen sich nicht zweimal bitten.
«Ich bin seit 32 Jahren im Kulturbusiness. So etwas habe ich noch nie erlebt», sagt der Geschäftsleiter des Kaufleuten, Marc Brechtbühl. Der Mann, den eine Sehschwäche zum passionierten Podcasthörer gemacht hat, ist in der Schweiz so etwas wie der Vater der Podcast-Bühnenshows.
In Deutschland, wo das Konzept schon länger erprobt ist, füllen Fans von True-Crime-Formaten, etwa dem seit 2019 tourenden Podcast «Zeit Verbrechen» mit rund 1,28 Millionen Hörerinnen und Hörern pro Folge, zuverlässig Hallen. Für den deutschen «Zeit»-Verlag sind die Veranstaltungen zu einem wichtigen Businessmodell geworden, auch Schweizer Verlagshäuser haben das Potenzial erkannt.
Die meisten Bühnenshows werden unterdessen gar nicht mehr aufgezeichnet, sondern haben sich vom Hörerlebnis zu einem eigenständigen Bühnenformat weiterentwickelt, das vom Dialog und vom Live-Moment lebt. Auch Comédienne Hazel Brugger tritt neben ihren klassischen Soloabenden als Podcasterin auf – zusammen mit ihrem Mann Thomas Spitzer. Was in diesen Laber-Podcastformaten zählt, sind Authentizität, nicht geschliffene Auftritte. Verkauft werden Gefühle und intime Inhalte. Auch deshalb besteht das Bühnenbild meistens aus einem zerknautschten Sofa.
Die Macher dieser Shows wollen ihren Hörerinnen und Hörern einen Mehrwert liefern. Für die drei Hosts des SRF-Podcasts «Zivadiliring» ist die Bühne auch eine Art Schutzraum, in dem sich der Seelenstriptease – das Geheimrezept jedes Laber-Podcasts – noch mit mehr Exhibitionismus ausleben lässt. Schliesslich hört kein Mikrofon mit.
Das garantiert Gänsehautmomente. Die Fans seien deshalb bereit, sich in diesen exklusiven Raum einzukaufen, sagt der Medienpsychologe Gregor Waller von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Marc Brechtbühl hat das Potenzial dieser Formate früh erkannt. Er und sein Team brachten nach der Pandemie den beliebten Psychologiepodcast «Beziehungskosmos» mit der Paartherapeutin Felizitas Ambauen und der Journalistin Sabine Meyer auf die Bühne. Im Programm des Kaufleuten sind Podcastshows neben Konzerten und Buchvernissagen fest einprogrammiert. Auch kleinere Veranstalter, etwa das Südpol in Luzern, setzen inzwischen auf diese neue Unterhaltungsform. Die Angst vor Tickets, auf denen man sitzen bleibt, hat sich gelegt.
Für diese Angst gibt es auch keine rationalen Gründe: Nirgendwo sonst hat man bei der Werbung im Veranstaltungssektor eine 100-prozentige Zielgruppendeckung. Und weil sich, anders als bei einem Kabarettprogramm, keine der Shows je gleichen, werden sie von den Podcastfans auch gerne mehrfach besucht.
Für die auftretenden Künstler sind sie wertvolle Marketinginstrumente, mit denen sich weitere Produkte vermarkten lassen, sei es ein Buch, eine eigene Show oder einfach nur Merchandise. Der Comedyveranstalter «Das Zelt» nahm letztes Jahr zum ersten Mal mit den Radio-Energy-Moderatoren Simon Moser und Michel Schelker («Die Sprechstunde») zwei Podcaster mit auf Tournee. «Stündeler» nennen die zwei ihre 50'000 Fans, die ihnen jede Folge zuhören. Im Onlineshop gibt es Merch-Produkte wie T-Shirts mit «Stündeler»-Aufprägung und «Dosenwasser» (also Bier) – einer unter vielen Insidergags, mit denen die Fanbindung gefestigt wird.
Rund 8000 «Stündeler» kamen dieses Jahr ins «Zelt». Bei einem Ticketpreis von 50 Franken dürfte sich das rechnen. Dass derart erfolgreiche Formate wie «Zivadiliring» oder «Die Sprechstunde» bald das Hallenstadion entern, dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein.
Für «Zelt»-Direktor Adrian Steiner ist der Trend zum Bühnenpodcast Ausdruck eines grundlegenden Wandels im Unterhaltungsgeschäft. «Die Menschen wollen Marken, dann kommen sie. Die Berichterstattung grosser Medien ist für den Markt weniger relevant geworden, wenn es um den Verkauf von Tickets geht. Wer heute als Künstler erfolgreich sein will, muss Influencer sein», so Steiner. Und genau das sind diese Podcasterinnen und Podcaster meistens.
Was Steiner in seiner Argumentation ausblendet: Podcasts wie «Comedymänner» und «Zivadiliring» sind SRF-Produktionen. Auch Schelker und Moser verdanken ihre Popularität einer Radio-Morgenshow. Grosse Medienhäuser haben den Grundstein zum Erfolg dieser Formate gelegt, auch wenn sie selbst nicht mehr von ihnen profitieren.
Denn Podcasts lassen sich schwer monetarisieren. Popularität hingegen schon. Die Podcaster haben das vor den grossen Medienhäusern erkannt. So sieht man beim SRF von den 3000 verkauften Tickets à 45 Franken (153'000 Franken Einnahmen), welche die drei Frauen von «Zivadiliring» dieses Jahr erwirtschaften, keinen Rappen. Auf Anfrage bestätigt man beim SRF, man habe «nichts mit der Organisation und Durchführung dieser Events zu tun.»
Diese neue Möglichkeit der Selbstvermarktung birgt viel Potenzial, auch für diejenigen, die von Medien und Kulturinstitutionen weitgehend ignoriert werden. Denn es geht tatsächlich auch ohne die grossen Medienhäuser im Rücken. Die Winterthurer Serhat Koca und Yoldaş Gündoğdu machen es vor. Ihr Podcast «kurds und bündig» hat sich in Kürze in die Herzen der kurdischen Community gespielt. 10'000 Menschen hören ihnen regelmässig zu und besuchen ihre Podcastshows. Inzwischen haben sie eine eigene Show bei Pro 7 Schweiz.
Es soll Menschen geben, die wegen dieses Podcasts schon ihre Ehe gerettet haben. Den Einfluss der Paartherapeutin Felizitas Ambauen und der Journalistin Sabine Meyer sollte man nicht zu gering schätzen. Das kluge, unaufgeregte Duo ist Herr und Frau Schweizers beliebteste Anlaufstelle bei Beziehungsproblemen, das gleichnamige Buch der beiden für manche eine Bibel.
«Zivadiliring»», ein Kunstwort, geschaffen aus den Nachnamen dreier Frauen, die in ihrem Podcast intim und doch für alle hörbar über ihren Alltag sprechen. Das Rezept ist simpel, aber erfolgreich, vor allem bei jungen Frauen, die den gelebten Individualismus der erfolgreichen Podcasterinnen Gülsha Adilji, Yvonne Eisenring und Maja Zivadinovic bewundern und feiern.
Sie sind das Kreativteam vor und hinter der Kamera von «Late Night Switzerland» (SRF): Michael Schweizer, Stefan Büsser und Aron Herz sind so etwas wie die männliche Version von «Zivadiliring» und mit ihrem Plauder-Podcast «Comedymänner» enorm erfolgreich: Drei männliche Normalos verquatschen sich da die Zeit – manchmal auch live auf einer Bühnencouch.
Ihr Umfeld fand sich in Schweizer Podcasts nirgendwo gespiegelt, also machten sie sich zum Spiegel für sie. Der Podcast von Serhat Koca und Yoldaş Gündoğdueine ist eine Art Service public für eine Minderheit. 2021 fingen die zwei in einer Garage in Winterthur mit dem Podcasten an. Inzwischen sind sie auch wegen ihrer Bühnenshows Stars in der kurdischen Diaspora.
Als DJ- und Moderatoren-Duo bei Radio Energy wurden sie bekannt. Mit ihrem Podcast haben Simon Moser und Michel Schelker einen Coup gelandet. Dieses und letztes Jahr tourten die zwei mit dem «Zelt». Zwei Dudes, die entspannt über die banalsten Dinge reden. Ihre Fans nennen die zwei kumpelhaften Plaudertaschen liebevoll «Stündeler».