«One for the road» – so nannten unsere Boomer-Eltern jeweils ihren letzten Drink, bevor sie ordentlich beduselt in ihr Auto stiegen und den Heimweg in Angriff nahmen, vollkommen unbekümmert ob der kompletten Unverantwortlichkeit ihres Handelns. Und so heisst auch die finale Episode von «The Grand Tour», welche am 13. September auf Amazon Prime Premiere feiert.
Diese Episode markiert auch den letzten gemeinsamen Auftritt von Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May. Es ist ein Abschied.
Vor run zwei Jahren schrieb ich: Aus. Fertig. Schluss. Verpiss' dich, Clarkson.
Und, ja, ich stehe zu meiner Meinung (dazu später mehr). Ebenfalls meine Meinung: Mit diesem letzten «Grand Tour»-Special geht eine historisch ungemein prägende und wichtige Ära der TV-Geschichte – nein, gar der globalen Populärkultur – zu Ende.
Es ist schlicht nicht zu unterschätzen, welch seismische Verschiebungen in der TV-Landschaft in Bewegung gesetzt wurden, als anno 2003 drei schusselige Engländer namens Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May die Moderatoren-Rollen bei der «Top Gear» übernahmen. Ein Jahr zuvor war das seit 1977 existierende TV-Automagazin der BBC neu lanciert worden – mit Jeremy Clarkson, Richard Hammond und Jason Dawe als Präsentatoren. Für die zweite Staffel wurde Dawe durch James May ersetzt und das Erfolgstrio war geboren.
Sofort warfen Clarkson, Hammond und May die Biederkeit des Auto-Journalismus aus dem Fenster und lenkten den Fokus auf das, was den Menschen wirklich an Autos interessiert. Kurzum: Wie geil ist ein Auto? Wie viel Spass macht es?
Und so liessen sie etwa Vertreter diverser Religionen Autorennen fahren, um «the fastest faith» – den schnellsten Glauben – zu küren. Grosis wurde beigebracht, Powerslides zu vollziehen und Uni-Professoren mussten Burnouts machen. Mithilfe einer Gaskanone wurde Car Darts gespielt (oben). Einmal bekamen die drei Moderatoren je 100 Pfund und mussten damit je ein Occasion-Auto kaufen, mit dem sie dann eine Reihe von Challenges zu meistern hatten.
Vor allem letzteres Konzept erwies sich als ungemein ausbaufähig. Nach der «Extremely Cheap Car Challenge» gab es bald einmal es die «£ 1'500 Porsche Challenge», die «Cheap Italian Supercar Challenge», die «Police Car Challenge»:
Und aus diesem Erfolgskonzept wuchsen dann die «Specials», welche die Prämisse des billigen Autokaufs in eine entfernte Location versetzten und damit das Format einer Reisedoku usurpierte. Unvergessen ist der «USA Special», als das Moderatoren-Trio in den Südstaaten ihre Autos mit provokativen Sprüchen verzierten («Country music is rubbish!») und bald einmal vor erbosten Rednecks fliehen mussten. Ähnlich ikonisch war auch die Fahrt im Toyota-Pickup zum Nordpol, als May und Clarkson sich während der Fahrt Gin & Tonics gönnten (legal, weil sich unter dem Polareis das Meer befindet, weshalb das Strassengesetz gegen Trunkenheit am Steuer ungültig sei). Und natürlich – bis heute unübertroffen – der «Vietnam Special».
Ja, Auto-Rezensionen gab es auch. Nur waren diese etwas … anders: Da wurde auch mal eine Verfolgungsjagd in einem Shopping-Center inszeniert, um die Wendigkeit eines Kleinwagens zu testen. Und natürlich wurden stets auch sensationelle Supercars und Rennwagen vorgestellt – zuweilen nicht ohne Risiko. Richard Hammond wurde zweimal in verheerende Unfälle verwickelt: Ein Mal, als sich sein Raketen-Dragster mit 460 km/h überschlug (Hammond war danach mehrere Monate auf der Intensivstation) und ein Mal – Jahre später, bereits bei «The Grand Tour» – als beim Hemberger Bergrennen im Kanton St. Gallen sein Elektro-Supercar Rimac Concept One vollständig in Flammen aufging (Hammond konnte sich aus dem Fahrzeug retten und zog sich eine Fraktur am Knie zu).
So kreativ auch alle «Specials» waren, letztendlich funktionierten alle «Top Gear»-Formate nur aufgrund der einzigartigen Chemie, die Clarkson, Hammond und May untereinander hatten (etwas, das alle späteren Nachahmer schmerzlich erfahren mussten). Und vielleicht waren es nicht die aufwendigen Sondersendungen, sondern das improvisierte Geplauder in den «News»-, «The Cool Wall»- und «Conversation Street»-Segmenten, welches das Trio in Bestform zeigte. «Challenges» und Reisedokus konnten zuweilen den Mief einer «scripted reality» haben; konnten manchmal etwas gar inszeniert wirken. «True but not real» – wahr aber nicht echt –, wie es James May treffend formulierte.
«Top Gear» der Clarkson-Hammond-May-Ära war aber eindeutig ein Kind ihrer Zeit. Geboren in einer Ära, in der der Hedonismus von Cool Britannia mit der Paranoia des War On Terror einherging, war die Sendung unverhohlen eskapistisch in ihrer Verweigerung jeglicher Ernsthaftigkeit. Dazu passte auch die Zelebrierung politischer Unkorrektheit. Doch wenn ab und an derber Humor einem saloppen Rassismus wich, wirkten solche nachlässig zur Schau gestellten Haltungen bald einmal nicht mehr zeitgemäss.
Was mich zum eingangs erwähnten «Es reicht, Clarkson!»-Kommentar von 2022 bringt.
Damals ging es darum, dass Jeremy Clarkson in seiner Kolumne in der Boulevardzeitung «The Sun» üble frauenfeindliche Kommentare zu Meghan Markle gemacht hatte. Etwas, das 20 Jahre zuvor vielleicht als freche Provokation eines schrägen Prolls geduldet worden wäre, kam nur noch als hasserfüllter Frust eines alten Knackers rüber. Clarksons Äusserungen wurden in der Folge von allen Seiten verurteilt – allen voran von seiner eigenen Tochter Emily Clarkson.
Sie hatte die Schnauze voll. Wir alle hatten die Schnauze voll. Denn über die Jahre hatte Jeremy immer und immer wieder beleidigende Aussagen gegen Einzelpersonen gemacht, immer wieder die Grenzen des Akzeptablen ausgelotet, wenn es um Rassismus, Sexismus oder Behindertenfeindlichkeit ging. Und diese wiederholt auch überschritten.
Natürlich waren solche Clarkson-Sprüche immer in ihrem jeweiligen Kontext zu lesen. Und der Kontext war stets: «Showtime!». Weil er die Äusserungen in seiner Rolle als rechthaberischer Proll machte, wurden diese als Ausrutscher geduldet. Widerwillig zwar, aber geduldet. Selbst als er gewalttätig gegenüber einem Mitarbeiter seiner Filmcrew wurde und dies zu seiner Entlassung von der BBC führte, gönnte sein Publikum ihm einen Neustart bei «The Grand Tour».
Letztendlich liebte die grosse Mehrheit von Clarksons Publikum ihn nicht wegen solcher skandalösen Äusserungen und Fehltritte, sondern trotz solcher. Man verzieh ihm, weil er trotz allem immer noch ein unglaublich lustiger Entertainer war.
Betonung auf «war». Denn die letzten paar «Grand Tour»-Staffeln waren längst nicht mehr das, was man von der «Top Gear»-Blütezeit Ende der Nullerjahre gewohnt war. Unvergessen bleibt die 2019er-Episode «Seamen», in der James Mays Anschiss schlicht nicht mehr zu verbergen war. Damals schon war der Zenit längst überschritten.
Somit ist es nur richtig, dass nun Schluss ist. Die Innovationen der frühen «Top Gear»-Sendungen können nicht wiederholt werden. Die Qualität eines «Vietnam Special» kann nie wieder erreicht werden. Nur noch bestehende Formate kopieren und den Dreien dabei zusehen, wie sie vergreisen, will auch Amazon Prime seinem Publikum nicht zumuten ... ausser ein letztes Mal.
Ein letztes Mal werden die drei Herren eine ihrer typischen «epic trips» unternehmen. Ein letztes Mal muss jeder wieder einmal mit knappem Budget ein Occasions-Auto erstehen und damit eine mühselige Reise durch ein fernes Land vollziehen. Diesmal scheint es ein Ford Capri, ein Lancia Montecarlo und ein Triumph Stag zu sein, und Austragungsort ist Zimbabwe. Gewiss wird es unterwegs diverse telegene Challenges geben, eine Fülle an wunderschönen Landschaftsaufnahmen und vor allem jede Menge situativ entstehende Komik durch die spontane Interaktion der drei alten Männer.
Aber eigentlich ist's egal.
Es ist egal, wo und wie genau was passiert. Es ist gar egal, wie gut oder schlecht die Episode ist.
Viel wichtiger ist der Event: «The Grand Tour: One For the Road» markiert das Ende der 22-jährigen Zusammenarbeit von Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May. Das Ende eines Lebensabschnitts für eine ganze Generation. Auch für mich.
What could possibly go wrong?
TopGear hat mich definitv geprägt, ich fahre eigentlich nur aus einem Grund einen Hilux: Killing a Toyota