Die Coronapandemie hinterlässt, ungeachtet ihrer offiziellen Beendigung, nach wie vor ihre seelischen Spuren: Ungewissheiten, Lethargie, Suche nach einem Sinn, wo schlicht keiner vorhanden ist. Auch der texanische Regisseur Wes Anderson wurde von den Ereignissen der letzten drei Jahre stark affiziert – zumindest unbewusst, wie er anlässlich der Veröffentlichung seines elften Spielfilms erklärte.
Der fröhliche Pastellfarbenbastler legt mit «Asteroid City» ein Werk vor, bei dessen optischer Blendkraft jeder Instagramfilter vor Neid erblassen müsste. Die grossen Fragen nach unserem Platz im Universum werden aufgeworfen, zugleich sind weitaus kleinere, wie die nach dem Sinn der Vaterschaft, nicht zu Ende gedacht. Und so bleibt die Science-Fiction-Western-Komödie leider dröge, bleischwer und so charmant wie drei Wochen Lockdown mit dem Ex-Partner.
USA 1955: Mitten im wildesten Westen, in der Wüstenödnis ruht ein fiktives Nest namens «Asteroid City». Dessen 87 Einwohner werden höchstens kurz durchgeschüttelt, wenn während des Morgenkaffees im Diner mal wieder ein Atombombentest einen Pilz in den Horizont jagt.
Neben der Eisenbahn wehen die obligatorischen Buschgewächse, die Steppenläufer, über den Sand, manchmal stelzt ein künstlicher, kleiner Vogel durchs Bild. Das unbestrittene Highlight ist ein Asteroid, der hier vor 5000 Jahren eingeschlagen und die Stadt zu einem Mini-Mekka für Weltraumfans gemacht hat.
Zum Jahrestag des Einschlags versammelt sich die Wissenschaft und prämiert High-School-Forschungsprojekte. Etwa, wie man ein Bild auf den Mond projiziert, ersonnen vom hochbegabten Teenager Woodrow, der mit seinen drei kleinen Schwestern und dem Vater, einem verwitweten Kriegsfotografen (Jason Schwartzman), in Asteroid City gestrandet ist. Dort tröpfelt der Tag träge davon, mit deprimierend unlustigen Dialogen und Drinks aus den Automaten, die sogar Landparzellen verkaufen können.
Bis endlich etwas passiert: Ein Alien unterbricht die Feierlichkeiten und stiehlt den Asteroiden. Daraufhin wird die Stadt vom Militär zum Sperrgebiet erklärt.
All diese Geschehnisse sind Teil eines Theaterstücks, das uns Bryan Cranston als Moderator präsentiert, eine literarische Ebene, die Wes Anderson regelmässig in seine Filme einzieht. Und, neben all den gewohnten Set-Spielereien im Hintergrund ebenfalls typisch, schaut einmal mehr halb Hollywood auf einen Sprung vorbei: Tom Hanks, Scarlett Johansson, Adrien Brody, Tilda Swinton, Edward Norton und Dutzende weitere. Manche Stars wie Willem Dafoe oder Margot Robbie glimmen für maximal drei Minuten.
«Asteroid City» versammelt ein gigantisches Ensemble, das kein Cowboy und kein Erzähler dieser Welt mehr einfangen könnte. So sind die Figuren in dieser Fülle nur im Entstehen begriffen. Ein interessantes, erfülltes Sein erlaubt ihnen der Film nicht.
Mit seiner liebevoll-verspielten Puppenhausästhetik hat uns Wes Anderson mehrfach in kindliches Erstaunen versetzt, in «The Royal Tenenbaums» (2001), «Darjeeling Limited» (2007) oder «Grand Budapest Hotel» (2014). Doch bereits seinen letzten Film «The French Dispatch» (2021) durchwehte etwas Museales, erste nostalgische Ermüdungserscheinungen traten auf. Diesmal hat der Regisseur beim Auftürmen seiner Miniaturideen leider seine mitreissende Begeisterungsfähigkeit liegengelassen und ist dem selbstverliebten Bilderbuchzauber erlegen.
Ein ausgesprochen markanter Stil fällt früher oder später der Parodie zum Opfer. So passierte es auch Anderson, als in den vergangenen Wochen Twitter, Instagram und TikTok geflutet wurden mit Bildern und Videos, erstellt von Algorithmen. Ob «Star Wars», «Harry Potter», Geistesgrössen der deutschen Literaturgeschichte, oder der banale Alltag: Allem konnte per Knopfdruck der Wes-Anderson-Look übergestülpt werden. Hipster-Hut auf, Retro-Gegenstände daneben stapeln, Farbfilter drüber, in die Zentralperspektive gerückt – fertig.
Dass die KI diesen Stil so leicht imitieren kann, liegt daran, dass Anderson wie kaum ein zweiter Gegenwartsregisseur eine sofort wiedererkennbare Bildsprache kreiert hat. Inzwischen hat er sich darin eingerichtet, alles ist ordentlich an seinem Platz. Die Komik entsteht durch sanfte Störungen und Verschiebungen jener Ordnung, ohne diese jedoch grundsätzlich in Frage zu stellen. Es ist eine Welt, die im Kern konservativ ist und nun mit «Asteroid City» ganz zu erstarren droht. Vielleicht dreht die künstliche Intelligenz den nächsten Film von Wes Anderson. Oder hoffentlich er selbst etwas, in das wir uns wieder verlieben können.