Stell dir eine arbeitende Person auf der Baustelle vor und dann eine pflegende Person im Krankenhaus – haben Berufe ein Geschlecht?
Natürlich nicht. Aber es ist offensichtlich, dass es Berufsfelder gibt, die von einem Geschlecht deutlich dominiert werden. Die Vergangenheit zeigt, dass diese Muster auch geändert werden können. So gibt es einige Berufe wie z. B. Psychiater, Psychologe, Tierarzt, Apotheker oder Optiker, die früher als «Männerberufe» galten, heute aber mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.
Trotzdem gibt es heute Berufe, die in einer Geschlechtsgruppe unter- oder übervertreten sind. Hier ein Überblick zur heutigen Situation.
Für welche berufliche Grundausbildung sich eine Person entscheidet, hat Auswirkungen auf die zukünftige Karriere und berufliche Laufbahn.
Laut den Zahlen vom Bundesamt für Statistik ist bereits in der beruflichen Grundbildung eine Tendenz sichtbar, welche Berufe Frauen und welche Männer wählen. Besonders im Gesundheitswesen und Sozialwesen sind Frauen mehrheitlich vertreten. Rund 88 Prozent der Personen, die 2022 im Gesundheitswesen eine Ausbildung begonnen haben, sind Frauen. Männer hingegen wählen öfters technische Berufe. 2022 gab es einen Männeranteil von 93 Prozent, die sich für eine Ausbildung in den Berufsfeldern Informatik respektive Ingenieurwesen und Technik entschieden haben.
Die folgende Grafik zeigt noch etwas genauer, welche Ausbildungsfelder besonders von Frauen oder Männern vertreten sind. Die Bereiche Gross- und Einzelhandel, Gastgewerbe und Catering scheinen einen ausgeglichenen Männer- und Frauenanteil zu haben. Besonders die Kranken- und Geburtspflege, Sozialarbeit und Beratung werden häufiger von Frauen gewählt. 2022 haben sich besonders männliche Lernende mit einem Anteil von 95 Prozent für den Fachbereich Elektronik und Automation interessiert. Im Bereich Elektrizität und Energie sind weibliche Lernende mit nur drei Prozent am extremsten untervertreten.
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Und nun zurück zur Story …
Dasselbe Muster zeigt sich auch in der Wahl der Studienrichtungen an Fachhochschulen. Auch hier wählen Männer tendenziell öfters technische Themenfelder und Frauen eher Fachbereiche im Gesundheits- und Sozialwesen oder Sprachen. So haben 2022 im Bereich IT und Technik rund 86 Prozent Männer eine Fachhochschule begonnen. Der Bereich Angewandte Linguistik hatte bei Neustudierenden 2022 einen Frauenanteil von 85 Prozent. Relativ ausgeglichen scheinen die Bereiche Chemie und Life Sciences (53 % Frauen / 47 % Männer), Wirtschaft und Dienstleistungen (47 % Frauen / 53 % Männer) und Land- und Forstwirtschaft (46 % Frauen / 54 % Männer).
An Universitäten schreiben sich Frauen häufiger in den Bereichen Geistes- und Sozialwissenschaften, Recht, Medizin und Pharmazie in den Universitäten ein. Die Studienbereiche Wirtschaftswissenschaften, Technische Wissenschaften, Exakte und Naturwissenschaften scheinen dagegen vorwiegend Männer zu interessieren.
Frauen haben öfters eine niedrigere berufliche Stellung als Männer und sind öfters Angestellte ohne Leitungsfunktion. Diese Unterschiede bleiben auch bei gleichem Bildungsstand von Frauen und Männern bestehen. Seit 1996 gibt es aber eine leichte Zunahme der Frauen in Führungspositionen. Heute sind etwas mehr als ein Drittel der Führungspositionen von Frauen besetzt.
Natürlich stellt sich die Frage, weshalb es überhaupt «Frauen- und Männerberufe» gibt. Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt, dass Männer einen Beruf verlassen, wenn der Frauenanteil zu hoch wird. Laut dieser Studie wird somit die gängige Annahme, dass Frauen und Männer wegen unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen verschiedene Berufe wählen, infrage gestellt.
In der Studie wurden unter anderem zwei hypothetische Berufe verglichen, die sich nur darin unterscheiden, dass der Frauenanteil in einem Beruf bei 25 Prozent liegt und beim anderen Beruf bei 75 Prozent. Die Analyse zeigte, dass die Männer den frauendominierten Beruf mit doppelter Wahrscheinlichkeit verlassen.
Dies erklärt auch, weshalb es in der Vergangenheit Berufe gab, die mehr Männer ausübten, heute aber als «Frauenberufe» gelten. Beispielsweise war Primarlehrer früher ein männerdominierter Beruf, heute gibt es deutlich mehr Frauen in diesem Berufsfeld.
Typische «Frauen- und Männerberufe» existieren laut der Studie also nicht aufgrund von gewissen beruflichen Merkmalen, sondern sind die Ursache davon. Die Beschreibungen von Berufen würden dem vorherrschenden Geschlecht angepasst.
Ein Beispiel: Der Pflegeberuf wird eher mit stereotypischen weiblichen Attributen beschrieben: sozial, empathisch, kümmernd. Er könnte aber genauso gut mit stereotypischen männlichen Attributen beschrieben werden: verantwortungsbewusst, durchsetzungsstark oder körperlich anstrengend, so der Studienautor Per Block in einer Mitteilung der Universität Zürich.
Eigentlich könnte es egal sein, ob es in einem Beruf mehr Männer oder Frauen hat. Das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) zeigt jedoch einige Problematiken zum Thema auf:
Die Mehrheit der typischen «Frauenberufe» werden schlechter bezahlt als typische «Männerberufe». Dazu haben Frauen, die einen typischen Männerberuf ergreifen, laut EHB schlechtere Karriere- und Lohnaussichten in diesen Berufen.
Zudem ist es auch nicht optimal, wenn Personen die Berufe erlernen, die nicht wirklich für sie zutreffen. Das schwächt die Produktivität, und die Interessen und Fähigkeiten der Person können in der Gesellschaft nicht optimal zur Geltung kommen, so das EHB.