Schweiz
AHV

Daniel Lampart, der Denker und Lenker hinter der 13. AHV-Rente

Wie aus einem punkigen Kontrabassisten der Lenker hinter der 13. AHV-Rente wurde

Er gilt als «Ökonom der kleinen Leute»: Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes (SGB), spielt eine zentrale Rolle bei der 13. AHV-Rente und beim geplanten Abkommen mit der EU. Wer ist dieser Mann?
02.03.2024, 13:40
Othmar von Matt / ch media
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Im Gewerkschaftsbund selbst sieht man Daniel Lampart als «Ökonom der kleinen Leute».
Im Gewerkschaftsbund selbst sieht man Daniel Lampart als «Ökonom der kleinen Leute».Bild: Keystone

Nach einer Stunde Gespräch im Büro an der Monbijoustrasse 61 erhebt sich Daniel Lampart. «Leider muss ich an einen anderen Termin», sagt der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Sie dürfen gerne mitkommen, wir können unterwegs weiterreden.»

Lampart eilt quer durch das Zentrum der Bundesstadt in Richtung Hotel Bern. Die 13. AHV-Rente sei eine Abstimmung, wie es sie nur alle paar Jahre gebe, sagt er. «Überall wird diskutiert, die Menschen bilden sogar Abstimmungsgruppen.» Nachbarn und Arbeitskollegen besprächen sich und passten auf, dass alle abstimmen. Es zeichnet sich eine überdurchschnittliche Stimmbeteiligung ab. Sie könnte am Sonntag bei weit über 50 Prozent liegen, sagte Politololge Lukas Golder vom Forschungsinstitut GFS Bern im «Blick».

Lampart gilt als Denker und Lenker im Hintergrund, als «Ökonom der kleinen Leute», wie es im Gewerkschaftsbund heisst. «Er hat ein breites Wissen in wirtschaftlichen Themen, kennt die Mechanismen, wie man Dossiers in der Bundesverwaltung voranbringt und ist unglaublich gut organisiert», sagt sein Chef Pierre-Yves Maillard.

Die Nase für Themen, die unter den Nägeln brennen

Lampart hat eine gute Nase für Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Das zeigte sich 2020 in der Pandemie, und das ist auch in der Debatte zur 13. AHV-Rente offensichtlich.

2020 drängte der Gewerkschaftsbund Bundesrat Guy Parmelin zu einem runden Tisch. Es ging darum, Antworten zu finden auf die existenziellen Sorgen von Arbeitnehmenden, KMU und Selbstständigen in der Covid-Krise. Parmelin willigte ein, und Lampart schrieb in drei Tagen ein dreiseitiges Konzept. Es enthielt Lohngarantien für Arbeitnehmende über die vereinfachte Kurzarbeit und den Erwerbsersatz - auch für Eltern, die Kinder betreuten mussten. «Bundesrat Parmelin setzte das Papier in der Folge praktisch integral um», sagt Maillard.

Bundesrat Parmelin habe das Covid-Papier von SGB-Chefökonom Daniel Lampart praktisch integral umgesetzt, sagt dessen Chef, Pierre-Yves Maillard.
Bundesrat Parmelin habe das Covid-Papier von SGB-Chefökonom Daniel Lampart praktisch integral umgesetzt, sagt dessen Chef, Pierre-Yves Maillard.Bild: Keystone

Das Problem der Pensionskassen

Auch bei der 13. AHV-Rente roch Daniel Lampart die Probleme frühzeitig. Mit der Entwicklung hin zum Null- und Negativzinssatz sanken Umwandlungs- und Zinssätze und damit die Renten der Pensionskassen. Für Lampart war - mit Paul Rechsteiner - der Moment gekommen, die 13. AHV-Rente zu lancieren. Zwar hatte der SGB das Thema bereits 2002 auf dem Tisch. In jenen Jahren musste er seine Kräfte aber darauf verwenden, einen drohenden Sozialabbau zu verhindern. Lanciert wurde die 13. AHV-Rente am Gewerkschaftskongress von 2018, als Maillard zum Nachfolger von Rechsteiner gewählt wurde.

Sechs Jahre später steht der SGB vor einem Abstimmungssonntag, der die Menschen bewegt wie selten zuvor. «Da ist etwas Neuartiges im Gang», sagt der Chefökonom. Die Mittelschicht artikuliere «erstmals ihr stilles Leiden» mit der Rente. Menschen mit einer Lehre und einem Monatslohn von 6000 Franken erhielten «gerade mal eine Rente zwischen 3500 und 4000 Franken». Die Zinsprobleme der Pensionskassen hätten zu einer «verlorenen Generation» geführt. Aus Scham habe sie geschwiegen. Das habe sich aber in den letzten Wochen geändert.

Ein Monolog ohne Punkt und Komma

Daniel Lampart holt in seinem Büro an der Monbijoustrasse 61 tief Luft – und redet sich dann ins Feuer. Er wird nicht laut, aber scharf. Er spricht jetzt ohne Punkt und Komma. «Und das in einem Land mit so vielen Reichen. Man muss nur durch die Strassen laufen. Ich weiss gar nicht, wer all die teuren Autos zahlt. Der Reichtum wird in einem Ausmass zelebriert, dass man sich nicht wundern darf, wenn sich bei den Menschen einiges aufgestaut hat.» Er kritisiert die «Härte der Arbeitgeber», die keinen Teuerungsausgleich gewährten und Mitarbeitende per E-Mail und Google-Kommunikationstools entliessen.

«Es gibt die Menschen zweiter Klasse und die neue überhebliche Lohn- und Kapitaloberschicht der ersten Klasse», sagt er. Die Elite sei nicht mehr am Gesellschaftsvertrag interessiert. Weshalb denn ein Elektriker in Zürich wohnen müsse, habe ihn ein hochrangiger Banker gefragt. Die Elite gestehe es sich zu, nichts mehr mit normalen Menschen zu tun haben zu wollen. «Viele kennen die Realitäten in diesem Land nicht mehr.»

Die Sprache jener Arbeiter, die er vertritt, spricht Lampart zwar nicht. Dafür wirkt er zu intellektuell. Und doch kennt er ihre Mentalität und ihre Sorgen. Das hat auch mit seinem Vater und seiner Verwandtschaft zu tun. Sein Vater führte ein Elektroinstallationsgeschäft. Und seine Verwandten sind alle Gewerbler und sympathisieren oft mit der SVP. Lampart kam in Willisau im Luzerner Hinterland zur Welt. Seine Eltern zogen dann ins Steuerparadies Hergiswil NW, weil der Vater dort einen Job erhielt. Danach führte sein Weg in die Stadt Luzern.

Sah nicht immer so geschniegelt aus: Daniel Lampart, Generalsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes
Sah nicht immer so geschniegelt aus: Daniel Lampart, Generalsekretär des Schweizerischen GewerkschaftsbundesBild: Thomas Egli

«Im Rückblick betrachtet war das ein Glücksfall», sagt Lampart. «Pubertierend in der Stadt ist eindeutig besser als auf dem Land. Vor allem, wenn man so pubertiert wie ich.» Er bewegte sich damals nicht so geschniegelt in den Strassen wie heute. Schwarze Kleider waren sein Outfit – von der Punk-Bewegung inspiriert. Geld verdiente er als Kontrabassist in klassischen Orchestern. Nebenbei spielte er Jazz. Und an der Uni Zürich studierte er Philosophie, Germanistik und Wirtschaftsgeschichte.

Der lange innere Kampf

Im Innern focht er einen Kampf aus: Musiker werden? Oder das Studium beenden? Er entschied sich für Letzteres. «Zum Glück endete ich nicht als Musiker», sagt er heute. «Ich hätte es maximal in ein Berufsorchester geschafft.» Lampart mutierte zum Musterschüler. Lizenziat, Zweitstudium in Volkswirtschaftslehre an der Uni St. Gallen, 2006 Doktortitel in Phil I.

Ein Weg letztlich mit viel protestantischem Arbeitsethos, könnte man meinen. Mit dem Schönheitsfehler, dass er katholisch aufgewachsen ist. «Wie fast alle in den Führungsfunktionen beim SGB», sagt Lampart – und meint lachend: «Niemand kann das richtig erklären.» Eine Gewerkschaft sei eben eine Community. «Und das ist eher katholisch.»

Nun steht Daniel Lampart eine Woche lang doppelt im Rampenlicht: Erstens entscheidet sich am Sonntag, ob die 13. AHV-Rente das Ja von Volk und Ständen findet. Und zweitens entscheidet der Bundesrat am Freitag über das Verhandlungsmandat für ein Abkommen mit der EU. Dort gilt er mit seinem Fachwissen und Netzwerk als Schlüsselfigur, wie Gewerkschaftsinsider sagen.

Ist es möglich, die Gewerkschaften nach Jahren der Opposition für ein Abkommen mit der EU zu gewinnen? Lampart nennt zwei Bedingungen. Erstens müsse die EU-Kommission beim Lohnschutz Zugeständnisse machen. Er denkt dabei zuerst an das umstrittene Spesenreglement, über das Lohndumping möglich wäre. Innenpolitisch müsste zweitens das Gesetz zur Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) von 1956 modernisiert werden, um deren Wirkung erhalten zu können. «Dann», sagt er, «kann es eine Lösung geben.»

Eine Einigung mit den Arbeitgebern dürfte schwierig werden. «Die Gewerkschaften sind im Zusammenhang mit den GAV-Bestimmungen mit extremen Forderungen unterwegs», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. «Sie sind in der Mitte des letzten Jahrhunderts unterwegs, als man noch mit Lochkarten ein- und ausstempelte.» Sie zeigten überhaupt keine Bereitschaft, sich der digitalen Welt von heute anzupassen.

Noch etwas deutet aber darauf hin, dass die Gewerkschaften bereit sein könnten, einzulenken. Lampart sprach beim «Nebelspalter» davon, man werde eine Volksabstimmung «ohne Ständemehr» haben. Auf die Nachfrage, weshalb ohne Ständemehr, sagte er: «Das ist eine Anpassung an die bilateralen Verträge.»

Was schlagen die Gewerkschaften als Nächstes vor, sollten sie den Kampf um die 13. AHV-Rente gewinnen? Lampart lässt sich nicht in die Karten blicken. «Bei einem Ja gibt es erstmals seit 1975 höhere Renten zum Erhalt der Kaufkraft», sagt er. Und stapelt tief: «Alles andere sehen wir dann.»

Das allerdings nimmt man dem Mann nicht ab, dessen Talent als Stratege für wirtschaftssoziale Anliegen so ungleich grösser ist, denn als Musiker. (aargauerzeitung.ch)

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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Glungge-Bur
02.03.2024 14:41registriert November 2022
Pierre-Ives Maillard und Daniel Lampart, sowie Ihre Mitstreiter der Gewerkschaft sind Vorbilder für unsere Gesellschaft welche droht bald auseinander zu fallen! Sie setzen sich vehement für die Arbeitnehmerschaft, für die Rentner- und Rentnerinnen, sowie für die Leute welche nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen ein. Ihren uneigennützigen Einsatz für den Mittelstand, sowie die Kleinen verdienen hohen Respekt, aber auch Aner-
kennung! Ihr Auftreten, auch für "eine soziale Sache" ist überzeugend und glaubwürdig! Ihnen allen wünsche ich herzlich, dass die 13. AHV angenommen wird!
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Whatsonn
02.03.2024 15:04registriert November 2021
Wer JA stimmt, hat die AHV verstanden!
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naturwald
02.03.2024 14:41registriert Oktober 2023
Ich hoffe dass er Morgen gewinnt und dann noch mehr ähnliche Initiativen aufspuren wird die der Bevölkerung mal einen echten Nutzen bringen.
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