Drei Parteien haben am Samstag die heisse Phase des Wahlkampfs 2023 eingeläutet: die Grünen, die SP und die SVP. Bei der Volkspartei überraschte die Location. Ihre Wahlpartys finden in der Regel in einem Festzelt im ländlichen Raum statt. Dieses Jahr lud sie in die neue Eishockey-Arena der ZSC Lions in der rotgrünen Hochburg Zürich.
Abschrecken liessen sich die «liäbä Fraue und Manne» nicht. Rund 4000 waren nach offiziellen Angaben angereist, eine stattliche Zahl. Und der Austragungsort machte Sinn, denn zu den wichtigsten Financiers der Halle gehören Walter Frey und Peter Spuhler, zwei ehemalige Nationalräte, sowie Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig, seit kurzem SVP-Mitglied.
Die drei Wirtschaftsgrössen liessen einige belanglose Fragen von Moderator Roman Kilchsperger über sich ergehen. Der TV-Mann outete sich als SVP-Sympathisant (aber nicht Mitglied!), was nicht sonderlich überraschte. Man hatte es schon länger geahnt, spätestens seit seiner kurzzeitigen Late-Night-Show «Black’n’Blond» mit Chris von Rohr.
Als Stimmungsmacher taugte Kilchsperger nur bedingt, was an den eher flachen Witzen und mehr noch an der Akustik lag. In den oberen Rängen der steilen Arena verstand man teilweise kaum ein Wort. Überhaupt erwies sich der Hockey-Tempel als suboptimaler Ort, um die von einem SVP-Wahlauftakt gewohnte feurige Stimmung zu erzeugen.
Dabei hatten sich die Organisatoren alle Mühe gegeben, um eine Folkore-Schweiz in die Halle zu zaubern, mit Sägemehl-Ringen und einer Holzhütte. Auch ein paar Tännchen waren vorhanden (dem auf der Tribüne anwesenden alt Bundesrat Adolf Ogi dürfte es warm ums Herz geworden sein). Trychler, Alphornbläser und Hudigääggeler fehlten nicht.
Es waren alle Accessoires einer erträumten Klischee-Schweiz vorhanden, die es so nie gegeben hat. Doch sie konnten nicht kaschieren, dass die ZSC-Arena eine hochfunktionale Sportstätte ist, aber auch ein steriler und komplett charmebefreiter Klotz aus Beton, Stahl und Plastik. Und trotz des dichten Programms musste man gegen Langeweile ankämpfen.
Woran lag es? An Christoph Blocher, der noch vor vier Jahren mit seiner Brandrede das Publikum von den Sitzen gerissen hatte? Dieses Mal liess er sich mit Tochter Magdalena auf einem Heuballen in die Arena karren und klopfte ein paar eher müde Sprüche. Mit seinen bald 83 Jahren fühlt sich Blocher vielleicht zu alt für den ganz grossen Auftritt.
In die Rolle des Brandredners schlüpfte Roger Köppel, obwohl er nicht mehr zur Wahl antritt. Fehlt es der SVP an zündendem Personal? Die beiden Exponenten der Jungen SVP feuerten zwar heftige Breitseiten ab gegen die Classe politique, das liebste Feindbild der Partei. Aber in der Schweiz hat bekanntlich das «Volk» bei wichtigen Themen das letzte Wort.
Die Beschwörung des Volkswillens ist bei der SVP schon lautstärker erfolgt. Kein Wunder, denn dieser Volkswille hat der Partei in den letzten Jahren bei fast allen für sie zentralen Themen eine Niederlage beschert. Auch die vor zwei Jahren mit grossem Trara lancierte Anti-Stadt-Kampagne (zum Beispiel gegen das rotgrüne Zürich) kam nie auf Touren.
Man wurde am Samstag den Eindruck nicht los, dass die SVP in der Endlos-Schlaufe ihrer Klischee-Schweiz feststeckt und mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht mithalten kann. Also verlegt sie sich auf das Thema, mit dem sie am besten punkten kann: Sie zieht gegen Ausländer (vorzugsweise «Asylanten») und die Zuwanderung vom Leder.
Besonders effektiv tat dies der neuerdings bärtige alt Bundesrat Ueli Maurer. Er erinnerte an die 4-Millionen-Schweiz seiner Kindheit und schürte die Ängste vor Identitätsverlust (seit seinem Rücktritt «dörf ers wider lut säge»). Mit seiner Aussage, die starke Zuwanderung führe zu Fachkräftemangel, stellte sich Maurer jedoch unabsichtlich selbst ein Bein.
Nicht, dass er damit falsch liegen würde, im Gegenteil. Aber welche Partei lockt mit ihrer Tiefsteuerpolitik viele Unternehmen und Zuwanderer an und sorgt dafür, dass das «Schreckgespenst» einer 10-Millionen-Schweiz immer näher rückt? Natürlich die SVP, und gerade Ueli Maurer hat als Finanzminister dazu seinen aktiven Beitrag geleistet.
Wird sie etwa vom «Sonntagsblick» mit diesem Widerspruch konfrontiert, schiebt die SVP das Problem auf das «Asylchaos» ab. Oder sie behauptet, es kämen «zu viele und die Falschen in die Schweiz». Was aber heisst das? Der hoch qualifizierte Expat darf kommen, aber nicht seine Familie? Und auch nicht die Reinigungskraft, die seine Wohnung putzt?
Die SVP ist sich des Problems bewusst. Sie will Menschen mit Migrationshintergrund für sich gewinnen. Mit überschaubarem Erfolg. Auf der Secondos-Liste der SVP Zürich konnten für die 36 Plätze nur 25 Personen aufgetrieben werden. Und auf «normalen» Listen werden Kandidierende mit «unschweizerischen» Namen oft durchgestrichen.
Mehr denn je ist die SVP deshalb von der Mobilisierung ihrer Basis abhängig. Während der grün-feministischen Welle 2019 klappte das nicht. Jetzt könnte die Rechnung aufgehen. Vieles spricht dafür, dass die SVP am 22. Oktober zulegen wird. Aber ob die Strategie langfristig trägt, fragt man sich nach dem uninspirierten Wahlauftakt mehr denn je.
Die Symbolik ist perfekt!