Wer infiziert ins Spital eingeliefert wird, wird statistisch als Covid-Patient gezählt. Die Unterscheidung ist nicht simpel. Entscheidend ist aber die Belegung der Intensivstationen. Die Gründe, warum diese Zahlen trotz Rekordinfektion stabil bleiben.
Bruno Knellwolf, Niels Anner, Chiara Stäheli, Kari Kälin / ch media
126 neue Hospitalisationen meldete das Bundesamt für Gesundheit am Freitag. Aber was bedeutet diese Zahl ganz genau? Sicher ist, dass alle diese Patienten eine Covid-Infektion haben. Nicht sicher ist aber, ob diese auch wegen Covid-19 eingeliefert wurden.
Erleidet jemand beispielsweise einen Beinbruch, muss deswegen ins Spital und wird dort bei der Einweisung positiv getestet, zählt das BAG ihn zu den Covid-Hospitalisierungen. Es geht nicht bloss um Einzelfälle, wie der «Blick» und der Westschweizer TV-Sender «Léman Bleu» berichteten. So gab der Kanton Genf bekannt, dass rund die Hälfte der Hospitalisationen wegen eines anderen Grundes erfolgt ist – und Corona nur eine Nebendiagnose ist.
Der Infektiologe Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich bestätigt dieses Verhältnis gegenüber der «Schweiz am Wochenende». Und Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Aarau, sagt:
«Unter den Positiven sehen wir fast 50 Prozent, welche mit Covid-19 als Begleitdiagnose kommen, die also andere Beschwerden ins Spital führen.»

Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Aarau.Bild: Chris Iseli
Das klinische Bild der eingelieferten Patienten habe sich mit dem Auftreten von Omikron klar verändert, sagt Fux. Covid-Patienten kommen nicht mehr nur mit Atembeschwerden, sondern teilweise mit nichts als schweren Kopfschmerzen oder Bauchbeschwerden. «Omikron scheint die Lunge weniger zu befallen, macht aber weiterhin eine schwere Entzündungsreaktion mit Thromboseneigung. Wenn dies dann zu Lungenembolien oder einem Herzinfarkt führt, ist das auch Covid», sagt Fux. Die Trennung der Fälle ist also nicht so einfach.
In Dänemark sind es ein Viertel an Patienten mit anderen Gründen
Die Problematik ist aus anderen Ländern bekannt. Die dänische Gesundheitsbehörde kam zum Schluss, dass ein Viertel der momentan 750 Patienten nicht wegen Corona-Symptomen, sondern aus anderen Gründen eingeliefert und dann positiv getestet wurde.
In den USA erklärte Chef-Virologe Anthony Fauci kürzlich zum vermeintlich starken Anstieg der Covid-Hospitalisierungen bei Kindern: Die Statistik sei in diesem Punkt schlicht falsch. Das Problem: Auch Kinder, die aus anderen Gründen in ein Spital eingeliefert und dann positiv getestet würden, tauchten in der Statistik als Covid-Hospitalisierungen auf. Das müsse man dringend anpassen, forderte Fauci.

Falsche Statistiken müssen umgehend angepasst werden, fordert Anthony Fauci.Bild: keystone
Schweizer Politikerinnen und Politiker äussern sich
In der Schweiz reagieren viele Politiker irritiert. Der Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission Erich Ettlin (Mitte, OW) sagt:
«Es ist nicht gut, dass es wieder Verwirrung um Zahlen gibt.»
Das beschädige die Glaubwürdigkeit der Coronapolitik, zumal die Massnahmen auf den Spitaleinweisungen beruhten. Unter dem Strich ändere sich durch die Art und Weise der ausgewiesenen Covid-Hospitalisierungen zwar nichts an der Tatsache, dass die Intensivstationen sehr stark ausgelastet seien.
Manuela Weichelt von den Grünen ortet ein «grundsätzliches Datenproblem beim BAG». Auch Damian Müller sieht Korrekturbedarf bei der Statistik. «Spitäler sollten bei der Klassifizierung vorsichtiger sein, aber es ist nicht immer einfach, Covid-Fälle von anderen Fällen zu unterscheiden», sagt der Luzerner FDP-Ständerat. «Ausschlaggebend bleibt die Besetzung der Intensivstationen», sagt der Vizepräsident der Gesundheitskommission.
Ohne Corona eingeliefert, aber im Spital angesteckt
Wie sieht das im Spitalalltag aus? «Auch Patienten mit Covid als Begleitdiagnose müssen isoliert werden, sind also in der Betreuung aufwendiger. Zudem können Covid-assoziierte Komplikationen auftreten. In der Regel ist der Verlauf aber günstig, mit kurzer Hospitalisation ohne Intensivstation-Bedarf», sagt der Infektiologe Fux. Und Günthard erklärt: «Zum Teil entwickelt sich die Covid-Erkrankung dann erst im Spital. Das heisst, man muss genau hinschauen.» Ins Spital eintretende Menschen werden im Universitätsspital Zürich seit 1½ Jahren alle mit PCR auf Covid getestet. Es gebe auch immer wieder Fälle von Ansteckungen im Spital, sagt Günthard.
Übertragungen seien selten, ergänzt Fux: «Weil sowohl Patienten wie Betreuende bei jedem Kontakt eine Maske tragen und die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden geboostert ist.» Ein Teil der Patientinnen und Patienten, die zuerst negativ getestet wurden, könnten sich aber kurz vor Einlieferung angesteckt haben.
Gründe dafür, warum die Spitalzahlen trotzdem tief bleiben
Generell sind die Spitalzahlen im Vergleich zu den Rekordwerten an Infektionen aber immer noch tief geblieben. Für Günthard gibt es dafür mehrere Gründe. Erstens hält er Omikron für weniger virulent. Dafür sprechen die vorliegenden Daten insbesondere bei Geimpften und noch mehr bei Geboosterten. Zweitens findet momentan der grosse Teil der Infektionen bei Jüngeren statt, die generell weniger krank werden. «Drittens sind Risikopatienten und ältere Menschen sehr gut geimpft, über 90 Prozent, und auch sehr gut geboostert», sagt Günthard.
«Problematisch ist aber, dass unsere Intensivstationen noch voll sind von den Delta-Patienten.»
Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Aarau
«Wir stehen am Fuss der Omikron-Welle. Erfahrungsgemäss dauert es rund zwei Wochen nach der Ansteckung, bis die Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass Hospitalisationen notwendig werden», sagt Fux dazu und führt weitere Gründe auf. Zum einen befalle Omikron die Lunge weniger und schwere Lungenschädigungen wie in früheren Wellen seien wohl seltener. «Zudem hilft die Impfung mehr als erwartet», sagt Fux. Die Grundimpfung versage zwar nach wenigen Monaten als Schutz vor Ansteckung, verhindere aber schwere Verläufe mit Spitalbedarf doch sehr gut. «Wer sich dann boostern lässt, ist vor einer Ansteckung wieder gut geschützt.»
Weniger Intensivfälle im Verhältnis zu Fallzahlen in anderen Ländern
Entscheidend sind die Belegungen der Intensivstationen. Fux blickt deshalb auf Länder, in welchen die Omikron-Epidemie schon weiter fortgeschritten ist. «Dort sehen wir deutlich weniger IPS-Patienten relativ zur Fallzahl. Problematisch ist aber, dass unsere Intensivstationen noch voll sind von den Delta-Patienten.» Gut möglich sei deshalb, dass die Belastung eher die Bettenstationen treffen werde, da viele Patienten mit mittelschweren Verläufen hospitalisiert werden müssten. Auch mittelschwere Fälle können das Gesundheitswesen überfordern, wenn sie in zu grosser Zahl vorkommen, betont Fux. (aargauerzeitung.ch)
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