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Energiesparen in der Schweiz: Es gibt noch viel Potenzial

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Zwei Ansatzpunkte: Bei Schaufenstern und der Weihnachtsbeleuchtung könnte in der Schweiz Strom gespart werden.Bild: keystone

Schaufenster und Weihnachtsbeleuchtung: Die Schweiz könnte mehr Energie sparen

Die Schweiz spart Energie für den Winter und reduziert wo möglich die Beleuchtung. Manche Regionen nehmen den Appell ernster als andere.
17.10.2022, 06:1517.10.2022, 09:33
Gabriela Jordan / ch media
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Und wieder einmal verändert ein externes Ereignis das Stadtbild von Schweizer Städten: Waren die Strassen und Gassen während der ersten Covid-Wochen noch wie leer gefegt, sind sie jetzt wegen der drohenden Energiekrise in Dunkelheit gehüllt. Oder zumindest dunkler als vorher. Um Strom zu sparen, wird in der ganzen Schweiz die Beleuchtung reduziert.

Doch wie viel Licht ist im öffentlichen Raum notwendig? Ähnlich wie zu Beginn der Pandemie finden derzeit hitzige Debatten und Lernprozesse statt, wie etwa der Blick nach Zürich zeigt: Die Stadtregierung wollte Strassenlampen in der Nacht ausschalten, ist wegen der daraufhin entflammten Diskussion um die Sicherheit aber zurückgekrebst.

Da der Bund aktuell (noch) auf freiwilliges Sparen setzt, gehen die Bemühungen von Städten, Gemeinden und Unternehmen unterschiedlich weit. Eine Übersicht über die wichtigsten Massnahmen – und ob sie ausreichen werden.

Strassenlampen brennen fast überall weiter

Am weitesten punkto Lichtreduktion auf den Strassen geht der Kanton Freiburg. Zwischen 23.30 und 05.30 Uhr bleiben die Lampen auf den Kantonsstrassen dunkel, Ausnahme sind Lampen bei Fussgängerstreifen. Die Umsetzung erweist sich allerdings als tückisch, wie SRF berichtet hat. Weil sich nicht alle Lampen fernsteuern lassen und umprogrammiert werden müssen, brennen einige vorerst noch die ganze Nacht hindurch.

Strassenbeleuchtung trägt zum Sicherheitsempfinden in der Nacht bei (Zürich, Juni 2016).
Nicht alle Kantone gehen gleich weit bei der Reduktion der Strassenbeleuchtung.Bild: Keystone/Christian Beutler

Auch die Kantone Schaffhausen und Solothurn schalten die Beleuchtung auf den Strassen früher aus, der Kanton Thurgau prüft ähnliches. Davon abgesehen leuchten Strassenlampen fast überall weiter, wenn auch nicht überall gleich stark: Der Kanton Bern, der erst vor einem halben Jahr ein neues Beleuchtungskonzept eingeführt hat, dimmt die öffentliche Beleuchtung in der Nacht vielerorts auf 50 Prozent der Leistung. Das Licht sei dadurch weniger grell aber noch genügend hell.

Dimmbar sind die Lampen nur mit geeigneten LED-Leuchten. Diese brauchen zudem 90 Prozent weniger Strom als herkömmliche Leuchten. Viele Schweizer Gemeinden stellen in diesen Wochen deshalb komplett auf LED um, etwa in Luzern, wie eine Umfrage dieser Zeitung gezeigt hat. Darüber hinaus drosseln praktisch alle Gemeinden soweit möglich die Beleuchtung in Verwaltungsgebäuden, Schulen, Universitäten – und teils in Quartieren. Die SBB reduzieren die Beleuchtung an Bahnhoffassaden.

Wahrzeichen bleiben vielerorts dunkel

Eine der Empfehlungen des Bundesrates ist das Abschalten der Aussenbeleuchtung von öffentlichen und historischen Gebäuden. Dieser Empfehlung folgen soweit bekannt sämtliche Behörden. Im Aargau ist die Beleuchtung der Schlösser wie Wildegg oder Habsburg bereits seit Mitte September abgestellt. In Bern sind Bauten wie das Münster und das Bundeshaus dunkel, in Luzern beispielsweise der Wasserturm und das Löwendenkmal. In Schaffhausen werden der Rheinfall und die Festung Munot nicht mehr beleuchtet.

Zur Sensibilisierung der Bevölkerung haben dunkle Denkmäler eine nicht unwesentliche Wirkung.

Damit gehen die Schweizer Städte übrigens weiter als so manche Destinationen im Ausland. In Paris und Wien leuchten die Wahrzeichen Eiffelturm und Stephansdom zwar kürzer – ganz ausgeschaltet werden die Lichter aber nicht. Der Eiffelturm leuchtete bisher bis tief in die Nacht, neu noch bis 23.45 Uhr. Zur Sensibilisierung der Bevölkerung haben dunkle Denkmäler eine nicht unwesentliche Wirkung.

Flickenteppich bei Schaufenstern und Firmenlogos

Sobald es um Regeln für die Wirtschaft geht, werden hiesige Behörden vorsichtig. Bloss Appenzell Innerrhoden und St. Gallen kennen Einschränkungen für Leuchtreklamen und Schaufensterbeleuchtungen. In beiden Kantonen müssen sie von 22 bis 6 Uhr ausgeschaltet bleiben. In allen anderen Kantonen gibt es dazu keine Vorgaben. Anders im zentralistisch regierten Frankreich: Dort gilt es, Schaufenster und Logos über Nacht auszuschalten.

Etliche Firmen und Ladenketten reduzieren aber auch ohne Vorgaben die Beleuchtung – nicht zuletzt, um selber Kosten zu sparen und um eine Strommangellage und Kontingentierung zu verhindern. So schalten die Warenhäuser Manor, Jelmoli und Loeb ihre Schaufenster nach Ladenschluss aus. «Ausnahmen gibt es immer, die meisten unserer Mitglieder reduzieren die Beleuchtung aber deutlich», sagt Dagmar Jenni, Geschäftsführerin des Verbands Swiss Retail Federation, der an seine Mitglieder Energiesparleitlinien mit 37 Massnahmen verschickt hat.

Bloss Appenzell Innerrhoden und St. Gallen kennen Einschränkungen für Leuchtreklamen und Schaufensterbeleuchtungen.

«In den Innenstädten von Bern, Zürich oder Basel ist es schon dunkler geworden», sagt Jenni weiter. Richtig dunkel allerdings nicht. Dazu Jenni: «Manche Läden müssen technisch noch aufrüsten und etwa Zeitschaltuhren installieren. Ich schätze, dass wir bis Ende Oktober ein klareres Bild haben werden.» Die aktuelle Situation wertet Jenni auch als Chance: Nicht wenige Händler hätten bisher gar nicht gewusst, wo ihre Stromfresser seien. Das ändere sich jetzt.

Sorge um Sicherheit im Dunkeln

Die Kehrseite dieser Sparmassnahme: Ältere Menschen und Frauen fühlen sich weniger sicher. Die Politik hat diesen Missstand bereits aufgegriffen. Heidi Z'graggen (Mitte) und neun weitere Ständerätinnen haben eine Interpellation eingereicht, in der sie den Bundesrat auffordern, Möglichkeiten zu evaluieren, mit denen das Sicherheitsgefühl erhöht werden kann. Ein Beispiel ist mehr Aufsichtspersonal in Bussen und Zügen.

Doch ist es im Dunkeln wirklich gefährlicher? Nicht unbedingt. Studien belegen zwar, dass Licht oder künstliches Licht vor Kriminalität schützt. Das gilt aber nur bei Delikten wie Diebstählen oder Einbrüchen. Bei Körperverletzungen ist der Effekt sehr gering, wie «SRF» berichtet hat. Dunkelheit führt statistisch gesehen nicht zu einer Zunahme von Gewalt. Allerdings scheint es sich hier um ein Huhn-Ei-Problem zu handeln: Da sich die Leute im Dunkeln unsicherer fühlen, gehen sie seltener raus, was zu weniger Kontaktmöglichkeiten führt.

Gegen dunkle Städte wehrt sich auch der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband. Dies hätte fatale Folgen für die Orientierung damit für die Sicherheit von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung. Diese Menschen könnten sich dadurch nicht mehr selbstständig im öffentlichen Raum bewegen. Weniger helle Städte kommen derweil der Umwelt zugute. Eine zu hohe Lichtverschmutzung ist erwiesenermassen schädlich für die Biodiversität.

Weihnachtsbeleuchtung scheidet die Geister

Kein Thema der Sicherheit, aber trotzdem umstritten und emotional sind Sparmassnahmen bei der Weihnachtsbeleuchtung. Auf leuchtende Weihnachtsdekorationen verzichten dieses Jahr praktisch alle grossen Unternehmen: Die Grossverteiler Migros und Coop, Warenhäuser wie Manor und Einkaufszentren wie das Glatt in Wallisellen ZH.

«Die Befürchtung, dass wegen der fehlenden oder reduzierten Weihnachtsbeleuchtung weniger Kundinnen und Kunden in die Läden kommen, teile ich nicht», sagt Dagmar Jenni vom Detailhandelsverband. «Weihnachtsstimmung lässt sich auch mit anderen Mitteln erzeugen. Jetzt ist Kreativität und Ladenschmuck ohne Licht-Elemente gefragt.»

Weihnachtsbeleuchtung an der Bahnhofstrasse (Viale della Statione) in Bellinzona, aufgenommen am Donnerstag, 17. Dezember 2015. (KEYSTONE/Ti-Press/Carlo Reguzzi)
Fraglich, ob es das in diesem Jahr geben wird: Die Weihnachtsbeleuchtung in Bellinzona.Bild: TI-PRESS

Behörden und City-Vereinigungen von Genf bis St. Gallen haben sich über leuchtende Sterne, Bäume oder Engel ebenfalls den Kopf zerbrochen – und unterschiedliche Schlüsse gefällt. Kantone wie Solothurn, Bern, Luzern oder Appenzell Innerrhoden rufen zum Verzicht auf. Zum Beispiel in Luzern leuchten dieses Jahr Kerzen in Laternen statt LED-Lampen. Andere Städte wie St. Gallen halten an ihren Lichtern bewusst fest. Auch in Zürich bleibt die Weihnachtsbeleuchtung «Lucy» weiter in Betrieb, statt bis Mitternacht aber nur noch bis 22 Uhr. Ebenso in Zug, wo sie statt elf Stunden pro Tag bloss noch 4.5 Stunden brennt.

Beleuchtung als wichtiger Hebel zum Stromsparen

Für viele Politiker gehen die Massnahmen nicht weit genug, Grünen-Nationalrat Kurt Egger etwa plädiert für einheitliche Regeln. Auch Experten räumen ein, dass es «noch Luft nach oben gibt», wie Fabien Lüthi, Sprecher vom Bundesamt für Energie, sagt. «Man kann immer noch mehr machen», sagt auch Jan Flückiger, Generalsekretär der Konferenz kantonaler Energiedirektoren. «Die Massnahmen müssen aber immer verhältnismässig sein und in der Bevölkerung auf Akzeptanz stossen. Zudem befinden wir uns noch im freiwilligen Bereich – da gilt es, gewisse Unterschiede in Kauf zu nehmen.»

Wie viel macht die öffentliche Beleuchtung am Gesamtstromverbrauch aus? Gerade in urbanen Gebieten stellt die Beleuchtung einen nicht unwesentlichen Teil des Verbrauchs dar. Schweizweit macht die Aussenbeleuchtung laut dem Bundesamt für Energie knapp 0.8 Prozent aus – mit der Innenbeleuchtung sind es gesamthaft rund 9 Prozent.

Zur Sensibilisierung der Bevölkerung kommt solchen sichtbaren Stromsparmassnahmen eine wichtige Rolle zu. Denn bisher scheint der Sparappell des Bundesrates nicht gefruchtet zu haben. Im September ist der Verbrauch in der Schweiz weiter angestiegen. Optimistisch stimmt eine Auswertung von Werten des Stadtzürcher Elektrizitätswerks EWZ via Open Data Zürich: Der Verbrauch der Stadt Zürich an einem Wochentag im Oktober ist im Vergleich zum Vorjahr demnach leicht gesunken. (aargauerzeitung.ch)

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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wellenrit
17.10.2022 07:26registriert Juni 2020
Schneekanonen dürften auch interessant werden. Will man im dunkeln sitzen nur damit andere künstlichen Schnee befahren dürfen?!
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ELMatador
17.10.2022 07:24registriert Februar 2020
Bie den Strassenbeleuchtungen verstehe ich die Argumentation. Bei den Verkaufsflächen und Bürogebäude hingegen nicht. Diese müssten meiner Meinung nach ausserhalb der Öffnungszeiten abgestellt werden.
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Fip
17.10.2022 06:57registriert April 2019
Bei uns wurden die Strassenlaternen bei der Umstellung auf LED auch mit dimmenden Bewegungsmeldern ausgestattet.
So muss nie jemand im dunkeln heim laufen.
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