Die SVP unternimmt mit der Begrenzungsinitiative einen zweiten Versuch, die Zuwanderung in die Schweiz zu bremsen. Wie bei der Masseneinwanderungsinitiative steht die Partei mit dem Anliegen alleine da. Die Ouvertüre zur Marathondebatte war vor allem eines: Wahlkampf.
Insbesondere die Initianten nahmen die Behandlung der Volksinitiative «für eine massvolle Zuwanderung» am Montagnachmittag zum Anlass, sich einen Monat vor den Parlamentswahlen in einem ihrer Schwerpunktthemen zu profilieren. Die SVP stellt die Hälfte der angemeldeten achtzig Rednerinnen und Rednern. Dass sie damit das Abstimmungsergebnis nicht beeinflussen dürfte, ist Nebensache.
Als einzige Partei kämpft die SVP dafür, dass die Schweiz die Zuwanderung wieder eigenständig steuern kann. Politisch geht es für sie darum, an den Erfolg von 2014 anzuknüpfen, als die Masseneinwanderungsinitiative von Volk und Ständen angenommen wurde.
Das Problem hat für die Partei nicht an Dringlichkeit verloren - obwohl die Einwanderungszahlen seit längerem rückläufig sind. Die Schweiz leide unter den negativen Folgen der Personenfreizügigkeit, sagte Roberta Pantani (Lega/TI) im Namen der SVP-Fraktion. «Einige EU-Länder würden das Abkommen aufkündigen, wenn sie könnten.»
Es bringe nichts, wenn die Wirtschaft wachse, ohne dass jemand etwas davon habe, gab Gregor Rutz (SVP/ZH) zu bedenken. Die Personenfreizügigkeit habe vor allem zu Dumpinglöhnen und zur Zunahme von Sozialhilfebezügern geführt. «Immer mehr Geld verschwindet im öffentlichen Sektor.» Zudem werde die Schweiz zunehmend verbaut.
Die Begrenzungsinitiative verlangt explizit die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, falls eine einvernehmliche Ausserkraftsetzung innerhalb von zwölf Monaten nicht gelingen sollte. Weil dieses mit sechs anderen Verträgen verknüpft ist, befürchten die Gegner des Volksbegehrens auch das Aus für die gesamten Bilateralen I.
Verschiedentlich war deshalb von der «Abschottungsinitiative», ja gar von einer «Mauerbauinitiative» zu hören. Andere sprachen etwas weniger wertend von der «Kündigungsinitiative». SP, FDP, CVP, Grüne, GLP und BDP waren sich in ihren Fraktionsvoten einig: Das Volksbegehren gefährde den Wohlstand der Schweiz.
Yvette Estermann im #Nationalrat zur Kündigungs-Initiative: "Welche Probleme löst diese Initiative nicht? Alle die mit der Zuwanderung zu tun haben." #truetalk
— Fabian Molina (@FabianMolinaNR) September 16, 2019
Samira Marti (SP/BL) sprach von einem «Angriff auf die arbeitende Bevölkerung in der Schweiz». Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sicherten heute beispielsweise den Lohnschutz. Fielen sie weg, sei der Weg frei für schädliches Lohndumping.
Auch die übrigen Fraktionen strichen die Vorteile des Status quo hervor. Der Zugang zu Fachkräften, beispielsweise im Gesundheitswesen, müsse garantiert bleiben, sagte Marianne Streiff-Feller (EVP/BE). Sonst könnten viele Dienstleistungen nicht mehr erbracht werden.
Rosmarie Quadranti (BDP/ZH) warnte vor einer Schweiz wie zu Gotthelfs Zeiten, falls die Initiative angenommen würde. «Ich glaube nicht, dass diese Welt eine bessere war.» Beat Flach (GLP/AG) nahm Bezug auf die chaotischen Zustände in Grossbritannien seit dem vom Volk geforderten Brexit. Ein ähnliches Szenario in der Schweiz wäre aus seiner Sicht eine «Katastrophe für die Wirtschaft und die Kultur».
Für Matthias Jauslin (FDP/AG) und seine Partei steht der Zugang zu Arbeitsmärkten in der EU im Zentrum der Argumentation gegen die Initiative. Die Personenfreizügigkeit sei in Zeiten eines gesteigerten Mobilitätsbedürfnisses Gold wert.
Die Grünen, die sich als einzige Partei nicht auf die lange Rednerliste setzen liessen und einzig mit dem Fraktionsvotum ihre ablehnende Haltung begründeten, äusserten ihre Angst vor dem Ende des Lohnschutzes. Balthasar Glättli (Grüne/ZH) konnte sich einen Seitenhieb an die Adresse der SVP nicht verkneifen: «Unsere Argumente sind so klar, dass man sie nicht vierzig Mal wiederholen muss.»
Der Ausgang der Abstimmung ist so gut wie sicher. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates, welche die Vorlage vorberaten hat, will die Begrenzungsinitiative mit 16 zu 8 Stimmen Volk und Ständen zur Ablehnung empfehlen.
Auch der Bundesrat lehnt die Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» (Begrenzungsinitiative) ab. Justizministerin Karin Keller-Sutter spricht in diesem Zusammenhang von einem «Schweizer Brexit».
Falls der Nationalrat das Geschäft am Montagabend nicht fertig berät, wird dies am Mittwoch der letzten Sessionswoche nachgeholt. Über die Abstimmungsempfehlung zur Begrenzungsinitiative muss dann noch der Ständerat befinden. (sda/dac)