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Streng vertraulich: So müssen Bundesräte ihre Geheimpapiere aufbewahren

Das Bundesratsfoto des Jahres 2023.
Hat viel mit vertraulichen Papieren zu tun: Der Gesamtbundesrat.Bild: bundeskanzlei/Matthieu Gafsou

Streng vertraulich: So müssen Bundesräte ihre Geheimpapiere aufbewahren

Amerikanische Präsidenten stehen in der Kritik, weil sie geheime Akten erstens auch nach Ausscheiden aus dem Amt noch besitzen und diese zweitens in privaten Räumen aufbewahren. Wie ist der Umgang in der Schweiz geregelt?
21.01.2023, 17:10
Anna Wanner und Linda Leuenberger / ch media
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Die Kritik an US-Präsident Joe Biden hält an: Immer neue Dokumente tauchen auf, erst an einem seiner privaten Arbeitsplätze in der Hauptstadt Washington, danach in der Garage und auch in anderen Privaträumen in seinem Haus im US-Bundesstaat Delaware.

Es handelt sich um Akten aus seiner Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama (2009 bis 2017), die er dem Nationalarchiv hätte zur Aufbewahrung übergeben müssen. Bei Ex-Präsident Donald Trump führte das FBI gar eine Razzia in seinem Golfclub Mar-a-Lago durch, weil er sich nach Amtsende geweigert hatte, die geheimen Dokumente abzugeben.

Natürlich gibt es sie auch in der Schweiz, die Geschäfte, die als «geheim» klassifiziert sind. Es handelt sich um Informationen, die im Interesse des Landes geschützt werden müssen. Geregelt wird dies über die Informationsschutzverordnung. Der Bund unterscheidet dabei zwischen drei Stufen: «geheim», «vertraulich» und «intern». Den höchsten Schutz geniessen «geheime» Dokumente. Die Klassifizierung greift dann, wenn Weitergabe oder Veröffentlichung von Informationen dem Land «schweren Schaden» zufügen würden – sei es der Bevölkerung, der Infrastruktur oder auch aussenpolitischen Interessen.

An allen bundesrätlichen Geschäften gemessen sind wenige «geheim», 2022 waren es 29. Das ist ein Prozent der 2876 Geschäfte, die der Bundesrat im vergangenen Jahr beraten und verabschiedet hat. 298 Geschäfte wiederum waren gemäss Bundeskanzlei als «vertraulich» klas­sifiziert. Auch diese Informa­tionen geniessen einen besonderen Schutz, weil deren Veröffentlichung dem Landesinteresse schaden könnte.

Kein Handy, nur mit Quittung und Shredder

Geheime und vertrauliche Geschäfte sind im Bundesrat an der Farbe erkennbar: Sie werden auf grünes Papier kopiert. Öffentlich sind jedoch auch die anderen nicht. Gemäss Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz sind Geschäfte, über die der Bundesrat zu beschliessen hat und die den Mitgliedern im Mitberichtsverfahren vorliegen, nicht öffentlich.

Informiert wird erst nach einem allfälligen Entscheid der Regierung. Und doch sickern immer wieder vorzeitig Informationen an die Öffentlichkeit, aktuelles Beispiel sind die Coronamassnahmen, die vor den jeweiligen Regierungsbeschlüssen bereits publik wurden, wie diese Zeitung berichtete.Aufgrund solcher Lecks wurden die Regeln zum Umgang mit den Bundesratsgeschäften zuletzt verschärft. So müssen die Bundesratsmitglieder seit 2012 ihre Handys vor der Sitzung im Bundesratszimmer abgeben. Sie können dadurch nicht mehr direkt mit der Aussenwelt kommunizieren. Gleichzeitig verhindert diese Massnahme das Mithören von Unbefugten.

Auch der Zugang zu geheimen und vertraulichen Dokumenten wurde erschwert, wie die Bundeskanzlei ausführt. Der Kreis von Personen, der auf die Datenbank der Bundesrats­geschäfte zugreifen darf, ist ­geschrumpft. Rund hundert Personen können in der Regel elektronisch auf vertrauliche Dokumente zugreifen. Jeder Zugriff wird protokolliert. Darüber hinaus sind in Bundesratssitzungen die Akten ausschliesslich in Papierform vorhanden.

Bei geheimen Geschäften ist der Adressatenkreis meist auf 17 Personen beschränkt, wie die Bundeskanzlei erklärt. Auch der Ablauf der Beratung eines geheimen Geschäfts ist genau geregelt: Will ein Bundesratsmitglied den Kolleginnen und Kollegen ein solches vorlegen, wird zunächst der zuständige Vizekanzler Viktor Rossi kontaktiert, er erhält die Geschäfte persönlich, kopiert sie in der nötigen Anzahl und nummeriert sie. Die Dokumente «GEHEIM 1» bis «GEHEIM 17» werden dann gegen Quittung persönlich an den Adressatenkreis verteilt. Der Vizekanzler kontrolliert die geheimen Geschäfte, er bewahrt die Originaldokumente auf und archiviert sie zu gegebener Zeit.

Nach Amtsende gehen die Dokumente zurück

Was passiert nun, wenn ein ­Bundesratsmitglied die geheimen Akten in Ruhe im Homeoffice studieren will? In der ­Verordnung heisst es dazu lediglich, die «Mitnahme ab dauerndem Standort» sei nur «eingeschränkt zulässig». Es ist aber möglich. Denn die Informationsschutzverordnung regelt weiter, dass geheim klassifizierte physische Akte nur in «Tresors» gelagert werden dürfen, beim Transport müssen sie unter «permanenter Aufsicht» stehen und eine physische Übergabe ist nur gegen Quittung möglich.

Auch Bundesrätinnen und Bundesräte dürfen ihre geheimen Dokumente nicht beliebig in der Bibliothek, der Garage oder im eigenen Golfclub aufbewahren. Möglich wäre es theoretisch aber schon. Im Unterschied zu den US-Magistraten dürfen die Bundesratsmitglieder die Dokumente nicht über ihre Regierungszeit hinaus behalten. «Spätestens am Amtsende müssen alle sich noch im Besitz der Empfänger befindlichen Exemplare der Bundeskanzlei zurückgegeben werden», schreibt die Bundeskanzlei.

Weil sie nummeriert sind, kann der zuständige Vizekanzler nachverfolgen, welche Exemplare fehlen. Zudem muss er nach der Kontrolle der Quittung die Dokumente auch vernichten. Das geschieht im Beisein eines Informationssicherheitsbeauftragten und wird zusätzlich protokolliert.

Wie es sich in der Praxis verhält, dazu geben die Gesetze und Verordnungen wenig Auskunft. Historiker Sacha Zala leitet die Forschungsstelle Diplomatische Dokumente Schweiz (Dodis) und forscht seit drei Jahrzehnten im schweizerischen Bundesarchiv und auch im nationalen Archiv der USA. Er kennt sich mit klassifizierten ­Akten aus. Die Bundesratsdokumente sieht er mit anderen Historikern ein, sobald deren Schutzfrist nach 30 Jahren verstrichen ist.

Zala sagt, im Unterschied zur Schweiz hätten die Amerikaner «richtige» Geheimnisse. «Sie sind geradezu paranoid, wenn es ums Klassifizieren von Dokumenten geht.» Doch das hat auch einen Grund, wie er sagt: «Die USA sind eine Supermacht, sie haben Dokumente über geheime Technologien, Atomwaffen oder Satelliten.» In der Schweiz lägen die wichtigen Geheimnisse eher in den Banken als im Bundesarchiv.

Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg klassifizieren die USA ihre Dokumente formell in die Kategorien «confidential», «secret» oder «top secret», also vertraulich, geheim oder streng geheim. Seither kriege fast jedes Dokument, das in der Verwaltung oder der Armee über irgendeinen Tisch geht, mindestens einen «Confidential»-Stempel, wie Zala sagt.

«Unmengen von Geld für sinnlose Arbeitsstellen»

Das führe zu absurden Situationen, sagt Zala. Als er in den 90er-Jahren im Nationalen Archiv der USA eine alte Ausgabe der «Washington Post» hatte kopieren wollen, wurde er von einem Beamten gestoppt. «Secret Agreement with Russia?» lautete die Titelgeschichte. Die Schlagzeile reichte für die Behörden, um die Zeitung zu ­klassifizieren, obwohl sie gemäss dem Naturell von Zeitungen vor Jahren für die Öffentlichkeit geschrieben und gedruckt worden war. Der Beamte musste sie mit einem «Declassified»-Stempel zuerst deklassieren, bevor Zala sie kopieren durfte.

Das US-amerikanische Gesetz verlangt, dass die Beamten jedes klassifizierte Blatt einzeln deklassieren müssen, sagt Zala. «Das verschlingt Unmengen an Geld für Arbeitsstellen, die völlig sinnlos sind.» Eine solche Geheimhaltungskultur gebe es in der Schweiz nicht. Zala muss es wissen. Seit 30 Jahren forscht er in den Schweizer Archiven. Die Forschungsstelle Dodis, die er leitet, sichtet jährlich 1,5 Millionen Dokumente.

Und: In den allermeisten Fällen sei der Inhalt der Papiere, die das Bundesarchiv nach 30 Jahren Archivierungsfrist freigibt, längst bekannt.

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