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Kostenbremse- und Prämien-Initiative: Der Abstimmungskampf ist flau

Das GZO Spital Wetzikon, fotografiert am Freitag, 5. April 2024 in Wetzikon. Das Kinderspital Zuerich und das Spital Wetzikon sind in finanzieller Schieflage. Die Zuercher Gesundheitsdirektion hat des ...
Auf der Baustelle beim Spital Wetzikon stehen die Kräne still.Bild: keystone
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Das Spital Wetzikon und die Misere im Schweizer Gesundheitswesen

Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen unaufhörlich. Dennoch verläuft der Abstimmungskampf zu den Volksinitiativen von Mitte und SP irritierend flau. Was ist da los?
15.05.2024, 17:56
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Wer erfahren will, was im Schweizer Gesundheitswesen schiefläuft, sollte sich in Wetzikon im Zürcher Oberland umschauen. Dort findet ein wüster Streit um die Zukunft des Spitals statt. Es steckt in einer Finanzkrise, doch der Kanton lehnte ein Darlehen von 180 Millionen Franken mit der Begründung ab, es sei für die Versorgung «nicht unverzichtbar».

Nun ist die Zukunft des Spitals Wetzikon ungewiss. Die Betreiberin befindet sich seit Anfang Mai in der Nachlassstundung. Darauf kündigte die verantwortliche Generalunternehmerin den Vertrag für einen Neu- und Erweiterungsbau, der zur finanziellen Misere beigetragen hat und zu rund 70 Prozent fertiggestellt ist. Jetzt herrscht Stillstand auf der Baustelle.

Regierungsraetin Natalie Rickli spricht an einer Medienkonferenz zu Finanzierungsgesuche der Spitaeler, am Donnerstag, 4. April 2024 in Zuerich. Das Kinderspital Zuerich und das Spital Wetzikon sind i ...
Regierungsrätin Natalie Rickli erläuterte Anfang April, warum sie das Kinderspital «retten» will, nicht aber das Spital Wetzikon.Bild: keystone

Der Konflikt zwischen Spital und Bauunternehmen ist zuletzt eskaliert. Es ist denkbar, dass das Spital schliessen muss und Wetzikon mit einer «Bauruine» konfrontiert ist. Gleichzeitig wurde eine Online-Petition lanciert, die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) zum Erhalt des Spitals auffordert. Sie wurde bereits von über 16’000 Personen unterzeichnet.

Pandemie als Richtwert?

Angeführt werden die üblichen Gründe, etwa dass die Fahrt in ein anderes Spital gerade für ältere Menschen «unzumutbar» sei (das Spital Uster ist weniger als zehn Kilometer entfernt, auch nach Zürich mit seinen diversen Kliniken ist es nicht weit). Erwähnt werden auch die Arbeitsplätze und selbst der Bettenbedarf während der Corona-Pandemie.

Man fragt sich, ob die Schweiz ihre Spitalplanung auf eine Pandemie ausrichten soll. Denn der Trend geht in die andere Richtung. Ambulante Behandlungen sollen gefördert werden. Sie sind günstiger und für die Patienten in der Regel weniger belastend. Eine entsprechende Reform hat das Parlament verabschiedet, doch von links wurde das Referendum ergriffen.

Strukturen und Fehlanreize

Eigentlich bedarf die Schweizer Spitallandschaft einer Bereinigung. Denn Wetzikon ist kein Einzelfall. Auch andernorts sind Kliniken defizitär. Ein Hauptgrund sind die Fallpauschalen, die seit Jahren nicht angepasst wurden, während die Kosten gestiegen sind. Doch sobald Schliessungen erwogen werden, steigt die Bevölkerung auf die Barrikaden.

ZUR KOMMENDEN ABSTIMMUNG IM MAI UEBER DIE MEDIZINISCHE GRUNDVERSORGUNG STELLEN WIR IHNEN HEUTE BILDER AUS UNSERER NEUEN BILDSERIE ZUM THEMA HAUSARZT ZUR VERFUEGUNG --- [EDITORS NOTE: POSED PICTURE] A  ...
Längst nicht jede Untersuchung ist notwendig.Bild: KEYSTONE

Zu teure und «überdimensionierte» Strukturen sind ein Grund, warum die Gesundheitskosten in der Schweiz scheinbar ungebremst ansteigen, und mit ihnen die Krankenkassenprämien. Neben nachvollziehbaren Aspekten wie der alternden Gesellschaft und dem medizinischen Fortschritt gehören dazu Fehlanreize, wie ein Beispiel aus meinem eigenen Umfeld zeigt.

Die Krankenkasse zahlt

Eine mir nahestehende Person musste sich Anfang Jahr am Universitätsspital Zürich einem grösseren Eingriff unterziehen. Eine Nachkontrolle ergab einen guten Heilungsverlauf, doch danach wurde sie noch zum Hausarzt geschickt. Der schaute sich die Sache kurz an und fand ebenfalls, alles sei bestens. Besagte Person fragte sich, was das sollte.

Medizinisch war diese «Zweitkontrolle» nutzlos, der Hausarzt aber konnte der Krankenkasse eine Rechnung schicken. Man könnte das wohlmeinend als Massnahme zur Förderung der Hausarztmedizin einstufen, um die es in der Schweiz nicht gut bestellt ist (das ist ein Thema für sich). Aber es zeigt auch, was im Gesundheitswesen schiefläuft.

Sparpotenzial von acht Milliarden

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) bezifferte das Sparpotenzial auf «mehrere Milliarden Franken», ohne dass die Behandlungsqualität leide. Konkreter wurde Preisüberwacher Stefan Meierhans im Tamedia-Interview: «20 Prozent aller Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung sind überflüssig.» Das entspricht acht Milliarden.

Selbst wenn man sämtliche Gesundheitskosten berücksichtigt, die 2022 erstmals auf über 90 Milliarden Franken angestiegen sind, wären das knapp zehn Prozent. Doch Sparen im Gesundheitswesen ist leichter gesagt als getan, gleichzeitig steigt der Leidensdruck. Mitte und SP haben deshalb je eine Volksinitiative lanciert, über die am 9. Juni abgestimmt wird.

Wenig Emotionalität

Der Abstimmungskampf aber verläuft seltsam flau. Man spürt nicht die gleiche Emotionalität wie bei der 13. AHV-Rente, deren Brisanz Bürgerliche und Wirtschaft sträflich unterschätzt hatten. Die von der eidgenössischen Finanzkontrolle (EKF) veröffentlichten Kampagnenbudgets erhärten den Befund, dass die Gesundheitsinitiativen wenig bewegen.

Das meiste Geld fliesst in den Kampf für oder gegen das Stromgesetz, obwohl die Umfragen auf ein klares Ja hindeuten. Bei Kostenbremse- und Prämienentlastungs-Initiative ist das Rennen enger, doch das Engagement ist überschaubar. Und obwohl die Folgen der SP-Initiative potenziell weitreichender sind, wird bei der Kostenbremse mehr aufgewendet.

Privilegien verteidigen

Das überrascht nur auf den ersten Blick. Obwohl selbst Mitte-Politiker im vertraulichen Gespräch bezweifeln, dass ihre Initiative viel bewirken dürfte, wird sie von jenen Kreisen bekämpft, die trotz des erwiesenen Sparpotenzials möglichst nichts am heutigen System ändern wollen. Denn sie profitieren davon, etwa so wie der erwähnte Hausarzt.

Flyer zum "Nein zur Kostenbremse Initiative" liegen im Medienzentrum auf, am Montag, 15. April 2024, in Bern. Am 9. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevoelkerung ueber dies Initiative ab. (KEY ...
In den Kampf gegen die Kostenbremse-Initiative fliesst mehr Geld als in die Kampagne gegen die Prämien-Initiative.Bild: keystone

Als Mittel gegen die steigenden Prämien werden oft mehr Verbilligungen gefordert. Eine offene Empfehlung für die Prämienentlastungs-Initiative aber findet man selten, auch weil bei einer Annahme höhere Steuern drohen. Die Gegner sprechen von 1200 Franken pro Jahr und Haushalt, doch sie argumentieren mit dem Maximalszenario des Bundes.

Gefahr durch Ständemehr

Dieses rechnet mit Mehrkosten von knapp 12 Milliarden für Bund und Kantone bis 2030. Schätzungen in diesem Bereich sind schwierig. Es kommt auch darauf an, welches Prämienmodell als Referenz verwendet wird. Aber teurer wird es bestimmt. In den Umfragen befinden sich beide Volksinitiativen derzeit noch im grünen Bereich.

Die Kostenbremse aber wird es angesichts der Warnungen vor Rationierungen und langen Wartezeiten schwer haben. Die Prämienentlastungs-Initiative hat Chancen auf ein Ergebnis von über 50 Prozent, dank massiver Zustimmung in der Romandie und im Tessin. Aber sie könnte am Ständemehr und den konservativen Deutschschweizer Kleinkantonen scheitern.

Eine gewisse Resignation

Es ist das Problem, dass wenige von der Initiative profitieren werden, aber alle dafür zahlen müssen. Aus einem möglichen doppelten Nein spricht aber auch eine gewisse Resignation. Die Prämienanstiege werden als eine Art Naturgesetz betrachtet. Gleichzeitig anerkennen wir den im Vergleich mit anderen Ländern hohen Standard der medizinischen Versorgung.

Müssen wir uns also auf weitere Fälle wie in Wetzikon gefasst machen? Müssen wir die unnötigen Untersuchungen und Eingriffe einfach in Kauf nehmen? Eine weitsichtige Strategie ist das nicht, eher ein Herumwursteln. Vielleicht wird es besser, wenn die Schweiz endlich über ein funktionstüchtiges elektronisches Patientendossier (EPD) verfügt.

St.Gallen macht es vor

Ein Indiz für ein Umdenken ist der St.Galler Gesundheitsdirektor Bruno Damann (Mitte). Er hat in den letzten Jahren vier von neun Spitälern im Kanton geschlossen und wurde bei den Wahlen im März trotzdem wiedergewählt. Ein Vorgänger und Parteikollege war noch abgewählt worden, weil er laut über eine solche Massnahme nachgedacht hatte.

Über die Anspruchsmentalität der Bevölkerung wird von bürgerlicher Seite oft geklagt. Sie ist vorhanden, wie die Petition in Wetzikon zeigt. Ausgerechnet St.Gallen mit seinem ausgeprägt regionalen Denken von Rapperswil-Jona bis St.Margrethen zeigt jedoch, dass Reformen möglich sind. Man muss sie nur genau erklären und klug umsetzen.

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Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
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Rezept gegen die Prämien-Explosion gesucht
Die Gesundheitspolitik dürfte zu einem der grossen Themen im Wahljahr 2019 werden. So will die CVP per Volksinitiative eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einführen. Die Prämien sollen nicht mehr stärker wachsen dürfen als die durchschnittlichen Löhne. (Bild: Parteipräsident Gerhard Pfister)
quelle: keystone / peter schneider
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Krankenkassenprämien steigen um 8.7 Prozent – das sagt die Bevölkerung
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121 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gen X
15.05.2024 18:12registriert August 2023
Das Kantonsspital Zug ist auch ein gutes Beispiel. Es ist ein Regionalspital, das nicht alle Sparten abdeckt, sprich eigene Ärzte angestellt hat. Viele Spezialisten haben ein Sprechstundezimmer im Spital, sind aber im Spital Luzern angestellt, das auch die meisten Operationen durchführt.
Nicht jede Region muss ein Spital haben, das für alle Möglichkeiten gerüstet ist, wenn ein voll ausgestattetes Spital in der Nähe liegt.
Und was weitere Sparmassnahmen angeht: nehmt endlich die Zuckerkügelchen aus der Grundversicherung! Und seht zu, dass der Datenaustausch zwischen Spitälern funktioniert!
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StormHunter
15.05.2024 18:19registriert April 2016
Schön, dass der Kanton St.Gallen endlich die Kurve im Gesundheitswesen zu kriegen scheint. Das bis dahin entstandene Loch in der Kantonskasse war auch nicht mehr schwer zu erklären. Nur schade, dass derartige Schritte erst mit dem Rücken zur Wand gemacht werden🤦🏻‍♂️
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Feuerblümchen
15.05.2024 19:56registriert Juli 2019
Nebenthema: „ Eine mir nahestehende Person…“ so sollte in einer sachlichen Diskussion einfach nicht argumentiert werden. Ist ja schön, dass in diesem Fall postoperativ alles gut ging, aber es gibt so vieles, das schief laufen und zudem von Laien schlecht eingeschätzt werden kann. Wenn es dann Komplikationen gibt, ist wieder der Arzt schuld, weil keine Kontrollen gemacht wurden. Vielleicht könnte man mit dem behandelnden Arzt direkt besprechen, ob und wieviele Termine notwendig sind anstatt den Einzelfall anonymisiert und ohne Fakten einem Onlinemedium anzuprangern…
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