Knapp drei Wochen sind vergangen, seit ein verheerender Bergsturz das Lötschentaler Dorf Blatten weitgehend zerstört hat. Was nicht unter der Eis- und Schuttlawine begraben wurde, versank in den Fluten der aufgestauten Lonza. Die eindrücklichen Bilder der Naturkatastrophe in den Schweizer Alpen dominierten weltweit die Schlagzeilen.
Fast noch grösser war das Erstaunen, dass beim heutigen Stand nur ein Mensch ums Leben kam. Die Walliser Behörden hatten den bröckelnden Fels am Kleinen Nesthorn, der den darunterliegenden Birchgletscher ins Rutschen brachte, seit Jahren auf dem Radar. Als es immer kritischer wurde, ordneten sie die Evakuierung der Blattner Bevölkerung an.
Der Schock bei den Einwohnerinnen und Einwohnern, die ihre Heimat und teilweise ihre Existenz verloren, war dennoch gross. Bereits gibt es Pläne für einen Wiederaufbau von Blatten. Der umtriebige Gemeindepräsident Matthias Bellwald stellte sie letzte Woche an der Gemeindeversammlung vor, die notgedrungen im Nachbarort Wilen stattfand.
Spätestens 2030 sollen wieder Menschen im Dorfkern wohnen und leben, sagte Bellwald dem SRF. Am Ende der Versammlung gab es stehenden Applaus. Experten jedoch stimmt der Zeitplan skeptisch. Wegen der Gefahr weiterer Bergstürze und des instabilen Schuttkegels ist an Aufräumarbeiten nicht zu denken. Die Armee musste unverrichteter Dinge abziehen.
Hinzu kommt die Kostenfrage. Das Parlament hat in der Sommersession einer Bundeshilfe von 5 Millionen Franken zugestimmt, und die Glückskette hat 17 Millionen für Blatten gesammelt. Hinzu kommen weitere Spendenzusagen. Der Versicherungsverband aber geht laut einer Mitteilung vom Dienstag von einem Schaden von 320 Millionen Franken aus.
Selbst wenn die Privatversicherer über den solidarisch finanzierten Elementarschadenpool dafür aufkommen: Naturkatastrophen sind kostspielig. Weshalb nach dem Bergsturz die Frage aufkam, ob man Bergregionen nicht evakuieren sollte. Der Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» stellte die Frage nach der «Zahlungsbereitschaft für den Mythos Alpen».
Die Reaktionen aus den betroffenen Gebieten, vor allem dem Wallis, waren erwartungsgemäss heftig. «Bedenklicher Angriff auf Bergdörfer», kommentierte der «Walliser Bote». Francesco Walter, Gemeindepräsident von Ernen, empörte sich in einem Leserbrief: Die Forderung, Dörfer einfach aufzugeben, sei «nicht nur zynisch, es ist entmenschlichend».
Ähnliche Töne schlug der Geograf Werner Bätzing im «Tages-Anzeiger» an: «Prinzipiell gilt, dass es nirgends und nie eine hundertprozentige Sicherheit vor Naturgefahren gibt. Auch nicht im Flachland und in den Städten.» Es stimmt, ein Bergsturz wie in Blatten ist ein seltenes Ereignis, und auch im Mittelland treten Flüsse und Seen über die Ufer.
Dennoch ignorieren solche Wortmeldungen eine unangenehme Tatsache: Das Berggebiet ist aufgrund seiner Topografie besonders anfällig für Naturkatastrophen, und mit dem fortschreitenden Klimawandel werden sie wahrscheinlicher. Dazu ein paar Beispiele:
Diese Meldungen stammen nicht aus den letzten Wochen oder Monaten, sondern aus den letzten Tagen. Schon im letzten Sommer war es in mehreren Gebirgskantonen zu massiven Schäden als Folge von Unwettern gekommen. Im Misox in Graubünden wurde die Autobahn Richtung San Bernardino weggeschwemmt, das Saastal im Wallis wurde zweimal verwüstet.
Es lässt sich nicht leugnen: Das Leben in den Bergen wird kompliziert. Im Raum stehen Forderungen, die Schutzbauten zu verstärken. Der aus dem Lötschental stammende Mitte-Ständerat Beat Rieder postulierte im CH-Media-Interview indirekt, man könnte das Geld im Budget des Bundesamts für Umwelt bei Posten wie dem Recycling einsparen.
Besser wäre es, endlich eine ehrliche Debatte über dieses unbequeme Thema zu führen. Denn klimabedingte Gefahren wie Hochwasser, Murgänge, Gletscher- und Bergstürze lassen sich mit baulichen Massnahmen nur bedingt abwehren. Noch lässt sich die Kostenfrage verdrängen, aber mit der absehbaren Häufung der Ereignisse geht das immer weniger.
Eine «Entvölkerung» der Berggebiete ist keine Lösung. Sie leisten viel für das Mittelland, etwa bei der Energieversorgung. Doch gerade hier lässt sich ansetzen, etwa beim heiklen Thema Windenergie. Dabei geht es nicht darum, die Alpen mit Windrädern «zuzupflastern». Doch die Schweiz hat beim Wind etwa im Vergleich mit Österreich viel Luft nach oben.
Deshalb ein Vorschlag: Die Schweiz hilft Blatten beim Wiederaufbau und erhält ein paar Windanlagen – sofern machbar. Auch bei alpinem Solarstrom gibt es trotz Rückschlägen immer noch Potenzial. Der Bergsturz im Lötschental mag ein einmaliges Ereignis gewesen sein. Aber die nächste Katastrophe kommt bestimmt, und das vermutlich schon bald.
Unsere Bergdörfer werden aktuell in erster Linie nicht wegen Naturgefahren entvölkert, sondern von Zweitwohnungsbesitzern. Die dann aber doch nur ein paar Wochen pro Jahr vor Ort sind und den Rest des Jahres ihre Wohnung nicht bewirtschaften.
Ein ziemlich selbstgewähltes Schicksal unserer Bergler, gäbe es doch reichlich Möglichkeiten, da Gegensteuer zu geben.
Könnte der Versicherungsverband vielleicht auch mitteilen wie viele Gebäudeversicherungen bestehen für Blatten und welche Summe da zusammenkommt von den Versicherungen?
Im Wallis herrscht ja bekanntlich die von sehr vielen Parteien beschworene "Eigenverantwortung" und eine Gebäudeversicherung ist nicht obligatorisch...