Mit wie viel Korruption und strafbaren Gegengeschäften mit mächtigen Medienunternehmern hat sich Sebastian Kurz (ÖVP) den Weg ins Kanzleramt gesichert? Diese Frage beschäftigt Österreich einmal mehr.
Der Auslöser der jüngsten Affäre: Eine Hausdurchsuchung im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) am vergangenen Donnerstag in der Wiener Innenstadt. Rund 25 Beamte stellten dabei in den Büros der AHHV GmbH - der Herausgeberin der Gratiszeitung «Heute» - Daten und Dokumente sicher.
Das grösste Schweizer Verlagshaus, die Zürcher TX Group (ehemals Tamedia), ist über eine Beteiligungsgesellschaft mit 25.5 Prozent an der AHHV GmbH beteiligt. Das Digitalgeschäft der «Heute»-Verlagsgruppe, darunter Österreichs reichweitenstärkstes Newsportal «heute.at», ist in der DJ Digitale Medien GmbH gebündelt. Hier ist die TX Group mit 51 Prozent sogar Mehrheitseignerin.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bestechung und Untreue gegen Eva Dichand, die «Heute»-Verlegerin, Mehrheitsbesitzerin und Co-Geschäftsführerin der AHHV GmbH, sowie Co-Geschäftsführer und Mitbesitzer Wolfgang Jansky. Ebenfalls Ziel der Ermittlungen sind Ex-Kanzler Kurz und Eva Dichands Ehemann Christoph Dichand. Dieser ist Herausgeber und Chefredaktor der «Kronen Zeitung», der auflagenstärksten Zeitung Österreichs. Für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.
Die Korruptionsjäger von der WKStA gehen dem Verdacht einer «strafrechtlich relevanten Vereinbarung» zwischen «Amtsträgern der Republik Österreich» und dem Ehepaar Dichand nach. Die Ermittlungen sollen Klarheit schaffen, ob eine solche Vereinbarung vorlag und Anklage erhoben wird oder nicht.
Die zentrale Figur auf Regierungsseite ist Thomas Schmid, langjähriger Kabinettschef des Bundesfinanzministeriums und enger Vertrauter von Ex-Kanzler Kurz. Schmid ist die Schlüsselfigur in zahlreichen Korruptionsskandalen aus der Zeit der Regierungskoalition zwischen der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ (2017-2019).
Mehr als 300'000 Nachrichten von Schmids Handy wertet die Justiz seit dreieinhalb Jahren aus. Sie zeigen ein erschütterndes Sittenbild von Kurz' Regierungszeit und von dessen Aufstieg vom jungen Aussenminister zum ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler. Gefälschte Umfragen, Missbrauch von Steuergeldern, Postengeschacher: Kurz und sein Umfeld, so scheint es, waren zu allem bereit, um die Macht zu erlangen und abzusichern.
Nachrichten zwischen Schmid und Verlegerin Eva Dichand lassen auf ein freundschaftliches Verhältnis schliessen. Dichand bot Schmid ihre Wohnung in Paris zur Übernachtung an. Mit den Worten «Bussi Thomas» beendete Schmid eine Nachricht an Dichand.
Im Oktober 2022 wurde bekannt, dass Schmid mit der Justiz kooperiert und umfassend ausgesagt hat. Er möchte einen Kronzeugenstatus erhalten, der ihm bei den gegen ihn gerichteten Verfahren Strafminderung bringen würde.
Bei den jüngsten Ermittlungen skizziert die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft folgendes, strafrechtlich relevantes Tauschgeschäft. Das Bundesfinanzministerium schaltete grosszügig Inserate in den Zeitungen «Heute» und «Krone». Ausserdem soll es sich für eine dem schwerreichen Ehepaar Dichand (geschätztes Vermögen: über 600 Millionen Euro) genehme Reform des Privatstiftungsrechts eingesetzt haben.
Im Gegenzug für Inserategelder und politische Schützenhilfe soll das Ehepaar Dichand das «journalistische Wohlwollen» in der Berichterstattung über Sebastian Kurz und die ÖVP in den Zeitungen «Heute» und «Krone» gesichert haben. So steht es in einem Dokument der WKStA. Ausserdem sollen die Dichands Kurz und seinen Mitarbeitenden ermöglicht haben, wichtige Themen im redaktionellen Teil der beiden Blätter «zu platzieren» und «die Berichterstattung über kritische Stimmen möglicht gering gehalten» haben.
Verlag und Redaktionen von «Heute» und «heute.at» haben die Anschuldigungen bereits letzte Woche als falsch bezeichnet. Die Redaktionen weisen «den Vorwurf der Gefälligkeitsberichterstattung aufs Schärfste zurück».
Auf Anfrage von CH Media schreibt die TX Group, «Heute» sowie der Eigentümerschaft sei an einer vollumfänglichen Kooperation mit den Ermittlungsbehörden und einer raschen Aufklärung des Sachverhalts gelegen. Der TX Group liegen «Stand heute keine Hinweise vor, die die erhobenen Anschuldigungen bestätigen». Ihr seien die redaktionelle Unabhängigkeit sowie die Qualität ihrer Medien sehr wichtig. Ob das Vertrauensverhältnis zu Eva Dichand gestört ist, verrät die TX Group nicht. (aargauerzeitung.ch)