Tiziana, du lebst seit drei Jahren in Portugal und hast die ganzen Corona-Massnahmen miterlebt. Am Mittwoch gilt wieder Masken- und Zertifikatspflicht trotz einer Impfquote von 88 Prozent. Hast du nicht langsam keine Lust mehr auf Einschränkungen?
Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich trotz der erneuten Massnahmen nicht wirklich eingeschränkt.
Warum nicht?
Einerseits arbeite ich sowieso von zu Hause aus. Das heisst, die Homeoffice-Pflicht, die wir dann im Januar 2022 bekommen sollten, erfülle ich sowieso. Und andererseits habe ich trotz der aufgehobenen Maskenpflicht weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz getragen. Und mit mir taten das sehr viele andere Menschen in Portugal auch.
Du hast dich bei uns gemeldet, weil du nicht ganz verstehst, warum man sich in der Schweiz über die Corona-Massnahmen aufregt. Was genau verstehst du nicht?
Ich verstehe einfach nicht, wie man in der Schweiz das Gefühl haben kann, dass man in seinem Alltag eingeschränkt sei. Ich sehe ja, wie meine Freunde aus der Schweiz und meine Familie umtriebig sind. Sie können praktisch alles machen, an jede Veranstaltung gehen und weiterhin in die Ferien reisen. Das sah bei uns in Portugal ganz anders aus. Es macht mich einfach sprachlos zu sehen, über welche Massnahmen man sich im Gegensatz dazu in der Schweiz aufregt.
Aber in Portugal hattet ihr den Sommer hindurch praktisch keine Einschränkungen mehr.
Das stimmt. Aber wir hatten Anfang des Jahres ebenfalls Zertifikats- und Maskenpflicht. Diese wurden dann einfach hinfällig, weil 88 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Und wie gesagt, mehr als die Hälfte der Einheimischen trug weiterhin eine Maske – auch draussen auf öffentlichen Plätzen. Das Land wurde so hart vom Virus getroffen, da will man sich auch weiterhin schützen.
Anfang 2021 verzeichnete Portugal einen enormen Anstieg der Fallzahlen …
Zwei Wochen nach Weihnachten sind die Infektionszahlen explodiert. Die Spitäler waren voll. Vor den Intensivstationen haben die Krankenwagen teilweise drei Stunden gewartet, bis die Patienten aufgenommen werden konnten. Und die Notfälle waren ja nicht nur jene mit einer Covid-Infektion.
Wie hast du diese Zeit erlebt?
Es war hart. Das ist dem ganzen Land extrem eingefahren. Portugal verzeichnete unglaublich viele Tote. Daraufhin wurde im Januar ein strikter Lockdown verhangen. Man durfte nur noch für die nötigsten Besorgungen aus dem Haus. Wir wohnten damals etwas ausserhalb von Lissabon und ich konnte von meinem Fenster auf das Meer sehen. Doch bis an den Strand spazieren durfte ich nicht, weil der Radius, in dem wir uns noch bewegen durfte, dafür zu klein war. Aber wir haben uns alle daran gehalten. Jeder schaute auf jeden und machte alles in seiner Macht Stehende, um der Gesellschaft zu helfen.
Das war bereits Lockdown Nummer zwei. Dagegen hat sich wirklich niemand gewehrt?
Es gab vielleicht die eine oder andere Demonstration. Aber da gingen die Leute primär auf die Strasse, weil sie in einer existenziellen Notlage waren und kein Geld verdienen konnten, weil zum Beispiel der Tourismussektor stark eingeschränkt war. Aber niemand protestierte, weil er oder sie sich in seinen Freiheiten eingeschränkt fühlte.
Du hast es bereits erwähnt, Portugal ist eines der Länder mit der höchsten Impfquote. 88 Prozent der Bevölkerung sind bereits doppelt geimpft. Wie erklärst du dir das?
Das hat sehr viel mit den Erlebnissen im Januar zu tun. Danach wurden die Impfzentren praktisch überrannt, als die ersten Impfstoffe zugelassen wurden. Und ich habe das Gefühl, dass man hier einfach solidarischer ist. Wir sind geimpft, damit die Pandemie irgendwann vorbei ist. Und wir tragen eine Maske, um andere zu schützen. Man hat bereits die eine oder andere Krise erlebt und weiss, dass man nur gemeinsam irgendwie durchkommt. Und wenn man sich dafür zweimal in den Arm stechen lassen muss, dann macht man das halt ohne grosses Tamtam.
Dank der Impfung verzeichnet Portugal aktuell 70 Prozent weniger Infektionen und 80 Prozent weniger Todesfälle. Das hat eine Datenanalyse der Nachrichtenagentur Lusa gezeigt. Und dennoch wurden die Massnahmen wieder verschärft. Auch da gab es keine Proteste?
Nicht, dass ich wüsste. Wirkliche Einschränkungen sind es ja nicht, weil ja sowieso fast alle die Maske weiterhin getragen haben und sowieso ein Zertifikat haben. Und solange man noch nach draussen spazieren oder so wie in meinem Fall ans Meer gehen kann, überleben wir auch diesen Winter (schmunzelt).
Was würdest du dir für die Massnahmen-Diskussion in der Schweiz wünschen?
Ich blicke ja nur aus der Ferne auf die Diskussion. Aber es ist schon befremdlich, dass das Tragen einer Maske, die ja eigentlich einfach ein medizinisches Tool ist, plötzlich zum politischen Statement wird. Es wäre einfach schön, würde man das Ganze etwas solidarischer angehen.
Ist hingegen ein Drittel der Bevölkerung am unwissenschaftlich rumschwurbeln platzt dem Rest bald mal der Kragen und man fühlt sich ungerecht eingeschränkt.