Der Klimawandel schreitet munter voran, doch in der öffentlichen Agenda verschwindet er in der Versenkung. Nach der Corona-Pandemie und mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist es für Klimaaktivistinnen schwieriger geworden, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
Das zeigen Gespräche mit zwei Klimaaktivisten. Einer ist aus der Schweiz, der andere aus Russland. Sie stehen für das Gleiche ein, kämpfen allerdings gegen komplett andere Mauern.
Beim Zürcher Klimastreik-Aktivist Cyrill Hermann und seinen Verbündeten macht sich Resignation breit. «Ich bin psychisch am Anschlag», sagt der Kantischüler. Der Kampf fürs Klima habe bisher nicht das gebracht, was nötig wäre.
Hermann sitzt am hölzernen Tisch in der watson-Redaktion. Direkt nach Schulschluss kommt der 18-Jährige vorbei und erzählt, was er zuvor unter anderen auch schon gegenüber dem «SonntagsBlick» geschildert hat. Der Klimastreik ist in der Krise.
Momentan diskutierten die Schweizer Klimaaktivistinnen, welche Strategien sie in Zukunft fahren wollen. «Gerade bei den Demonstrationen stellt sich die Frage, was die noch bringen», erzählt Hermann. Es sei immer schwieriger, die Leute auf die Strasse zu bringen und der Effekt sei klein. «Wir werden belächelt, weil wir bloss junge Menschen sind. Wir haben halt keinen wirtschaftlichen Einfluss.»
Fest stehe: Einige Klimaaktivistinnen wollen weiterhin auf zivilen Ungehorsam setzten. «Wir greifen direkt die Konzerne an, die unsere Zukunft zerstören», so Hermann. Andere wiederum treten in die institutionelle Politik ein. So etwa Dominik Waser, der jetzt für die Grünen im Zürcher Gemeinderat sitzt. Und wieder andere hören einfach auf.
Sich in etablierte Parteien zu integrieren und dort kompromissfähige Vorschläge durchzubringen, sei für Hermann keine Option. «Wofür?», fragt er. «Die Politik weiss seit über 40 Jahren, dass sich das Klima zu schnell erwärmt. Selbst der Grünrutsch vor drei Jahren hat nichts gebracht.» Ihn enttäusche, dass die Realpolitik keine Antwort auf diese Krise hat.
Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht mal in Reichweite. Selbst das CO₂-Gesetz ist gescheitert. Wir erinnern uns: Auch Teile des Klimastreiks revoltierten gegen die Vorlage. Das Nein verdankte die Schweiz jedoch hauptsächlich den ländlichen und preisempfindlichen Bürgern.
Für das Versagen macht Hermann grüne und linke Politikerinnen und Politiker mitverantwortlich. Konkrete Handlungsinstrumente wie den Klimaaktionsplan, den der Klimastreik gemeinsam mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschrieben hat, hätten sie verpuffen lassen. Gleichzeitig stachelten sie die Jugend nachdrücklich zum Protest an. «Jacqueline Badran hat mal zu mir gesagt: ‹Super, haltet den Druck von der Strasse aufrecht!›», erzählt Hermann.
Ein Druck, mit dem er sich als junger Mensch überfordert fühlt. «Eigentlich ist es nicht unsere Aufgabe, auf die Klimaerwärmung aufmerksam zu machen. Es müsste im Interesse unserer ganzen Gesellschaft sein», so Hermann. Doch Aufgeben ist für ihn keine Option. «Zu gross ist die Schweizer Verantwortung in der globalen Klimapolitik.»
Auch andere Klimaaktivisten stecken in der Krise. Allerdings aus anderen Gründen: Der Russe Arshak Makichyan lebt seit rund drei Monaten im Exil. Am 20. März, als der Krieg bereits einen Monat lang tobte, ist er mit seiner Frau aus Moskau geflohen. «Am Tag, als der Krieg ausbrach, habe ich geheiratet und wir wollten eigentlich unsere Hochzeit feiern. Es war fürchterlich.»
Arshak Makichyan ist wohl einer der bekanntesten Klimaaktivisten Russlands. 2019 hat er über 40 Wochen lang jeden Freitag auf dem Puschkinplatz in Moskau gestreikt. Damals war er Violine-Student am Konservatorium. Internationale Medien wie der «Spiegel», BBC, «The Guardian» und «Al Jazeera» haben über ihn berichtet.
Jetzt ist der 28-Jährige für knapp drei Tage in der Schweiz. Wo, soll geheim bleiben. Zuvor war er in Deutschland und kämpfte dort für ein Embargo gegen russisches Erdgas und Erdöl. Doch die Situation spitzte sich zu. «Dieser Krieg dauert nun drei Monate und es wurde immer noch kein Embargo beschlossen», kritisiert Makichyan. «Mir scheint, als würden die Europäer den Krieg zusehends vergessen. Auch der Schweiz scheint dieser Krieg egal zu sein. Ich verstehe das nicht.»
An dieser Stelle sei gesagt: Die EU-Spitzen haben am 31. Mai ein Öl-Embargo gegen Russland beschlossen. Allerdings handelt es sich um einen Kompromiss, vorerst nur russische Öl-Lieferungen über den Seeweg zu unterbinden.
Via Videocall erzählt Makichyan, wie der Krieg sein Dasein als Klimaaktivist beeinflusst. Kurz nachdem Russland die Ukraine im März angegriffen hatte, verabschiedete dessen Parlament neue, strengere Gesetze. Damit sollten angebliche «Falschinformationen» über das «russische Militär» verhindert werden. Die Folge für Aktivisten wie Makichyan: «Wenn du dich gegen die Regierung aussprichst, wirst du verfolgt und musst damit rechnen, eingesperrt zu werden.» So würde es auch Makichyan und seiner Frau ergehen. Mehrere Gerichtsverfahren liefen gegen sie.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Makichyan ins Gefängnis müsste. Im Dezember 2019 verurteilte ein Moskauer Gericht den Aktivisten zu einer sechstägigen Haftstrafe. Er hatte an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen. Dieses Mal wäre es länger, befürchtet Makichyan. Das neue Gesetz sieht bis zu 15 Jahre vor.
Viele seiner Verbündeten seien seit Kriegsausbruch ebenfalls nach Europa geflohen. Sie versuchen Antikriegs-Aktivismus zu betreiben und gleichzeitig kämpfen sie mit dem Problem, dass sie keine Visa bekommen. Makichyan fordert: «Europäische Länder sollten die russische Zivilbevölkerung nicht vergessen.»
Was sich für Russinnen ebenfalls verändert hat: Im Ausland begegnen sie jetzt häufig Hass und Häme. Makichyan sagt dazu: «Ich kann die Leute verstehen, die die Russen für den Krieg verantwortlich machen, denn natürlich sind wir das. Wir hätten mehr tun müssen, um das russische Regime zu stoppen, aber es war sehr schwierig.»
Vor dem Kriegsausbruch konnten Makichyan und seine Verbündeten die russische Regierung offen kritisieren. Jetzt hat Russland Kommunikationskanäle wie Tiktok oder Instagram gesperrt. Ausserdem würden laufend Menschen verhaftet. «Die russische Polizei war schon vorher nicht zimperlich mit Verhaftungen, aber jetzt ist es viel schlimmer. Die meisten Aktivisten müssen neue Strategien finden.» Viele würden offenen Aktivismus vermeiden, andere verschwinden einfach.
Mit jedem Tag werde die Situation schlimmer. «Ich bekomme jeden Tag schreckliche Nachrichten aus Russland. Das Regime geht gegen meine Freunde vor, gegen Menschen, die mir nahestehen.» Mehr könne er dazu nicht sagen. Makichyans Augen sind nicht mehr geradeaus gerichtet, sondern gegen die Decke und füllen sich mit Tränen.
Bald wollen Makichyan und seine Frau weiterreisen. Wohin, wissen sie allerdings nicht. «Wir müssen uns kurz erholen und herausfinden, was wir als Nächstes machen.» Er wolle nach Russland zurück, aber die Situation sei kompliziert. Die drohende Verhaftung allein sei nicht der Grund. «Dieser Krieg beeinflusst mein Leben stark. Ich muss mich fast jeden Tag an eine neue Realität anpassen.» Auch hier könne er zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr dazu sagen.
Die deutsche watson-Journalistin Josephine Andreoli hat Arshak Makiychan und seine Frau getroffen, als sie in Berlin waren. Hier geht's zu ihrer Story.
Die ganzen Plakate zu Feminismus, Transgenderrechte, Flüchtlingspolitik, Rojava, etc. nahmen ihrer Botschaft den Raum und vergraulte die Unterstützer.