Anfang Jahr forderte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass die Vereinten Nationen (UN) das Mandat des Palästinenserhilfswerks UNRWA beendet. Gemäss Israel sei die Organisation von Hamas-Terroristen unterwandert. Ihr Geheimdienst habe Belege, die beweisen würden, dass zwölf UNRWA-Mitarbeitenden sich aktiv am terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 beteiligt zu haben.
Die UNRWA entliess die beschuldigten Mitarbeitenden umgehend, wobei einer von ihnen bereits als tot galt. Weiter kündigte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini eine unabhängige Untersuchung an. Durchgeführt von einer Untersuchungskommission der UN.
Am Montag (23. April 2024) präsentierte diese unabhängige Kommission nun ihren ersten Untersuchungsbericht. In diesem widmete sie sich der Frage, ob die UNRWA alles in ihrer Macht Stehende tue, um die Neutralität ihrer Mitarbeitenden sicherzustellen. Ihr Befund: Nein. Zwar gebe es bei der UNRWA eine Reihe robuster Mechanismen, die dafür sorgen sollten, dass ihre Mitarbeitenden die Neutralität wahrten. Allerdings habe die UNRWA trotzdem noch «Probleme bei der Neutralität» und Verbesserungspotenzial.
Die Behauptungen Israels, dass die UNRWA von Hamas-Terroristen unterwandert sei, konnte die Kommission allerdings nicht bestätigen. Denn Israel habe bisher keine Beweise vorgelegt. Weder der UNRWA noch der unabhängigen Untersuchungskommission. Entsprechend forderte die Untersuchungskommission Israel dazu auf, Belege einzureichen. Diese könne man dann im zweiten geplanten Untersuchungsbericht einfliessen lassen.
Gemäss der «New York Times», die sich auf Dokumente des israelischen Geheimdienstes, welche der US-Regierung vorliegen würden, bezieht, soll ein UNRWA-Mitarbeiter an der Entführung einer Frau aus Israel beteiligt gewesen sein, ein anderer habe Munition ausgeteilt, ein dritter sei an einem Massaker in einem Kibbuz beteiligt gewesen, bei dem 97 Menschen starben. Bei sechs Männern solle der israelische Geheimdienst anhand ihrer Handys festgestellt haben, dass sie am 7. Oktober in Israel waren. Bei anderen habe der Geheimdienst Telefongespräche innerhalb des Gazastreifens überwacht und so gehört, wie sie über ihre Beteiligung am Hamas-Anschlag sprachen.
Israel shared evidence with the U.S. that several U.N. workers received orders from Hamas and took part in kidnapping and killing on Oct. 7. https://t.co/pYGZtBg5pr
— The New York Times (@nytimes) January 29, 2024
Mehr als die Hälfte der beschuldigten UNRWA-Mitarbeitenden sollen als Lehrer oder in anderen Funktionen an Schulen des Hilfswerks tätig sein. Zehn von ihnen seien zudem Mitglieder der islamistischen Terrororganisation Hamas, so die «New York Times».
Wie die «New York Times» damals schrieb, hätten die USA die Behauptungen der israelischen Regierung noch nicht bestätigen können, hielten sie im Januar allerdings noch für glaubwürdig.
Die United Nations Relief and Works Agency, kurz UNRWA, ist ein Hilfswerk der Vereinten Nationen (UN) für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten. 1949 rief die UN-Generalversammlung die UNRWA ins Leben, um palästinensische Flüchtlinge zu unterstützen, die infolge des arabisch-israelischen Konflikts von 1948 aus ihrer Heimat vertrieben worden sind.
Heute ist die UNRWA mit über 30'000 Mitarbeitenden eines der grössten Hilfswerke der Vereinten Nationen. Ihr Einsatzgebiet ist in Jordanien, Libanon, Syrien, im Westjordanland, in Ostjerusalem und im Gazastreifen. Ihre Zentrale befindet sich in Amman und in Gaza. Der Grossteil ihrer Mitarbeitenden sind Palästinenserinnen und Palästinenser vor Ort.
Die UNRWA bietet schon seit 74 Jahren humanitäre Hilfe, Schutz und Unterstützung für registrierte Palästinenserinnen und Palästinenser an. Sie betreibt Schulen, versorgt die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Infrastruktur, leistet Nothilfe und sorgt für möglichst sichere und funktionierende Flüchtlingssiedlungen.
Gemäss der UNRWA sind in ihrem Einsatzgebiet heute fast sechs Millionen Menschen auf ihre Hilfe angewiesen. 1950, als die UNRWA ihre Aufgabe aufnahm, waren es noch 750'000 Menschen. Dieser Unterschied stammt daher, dass der Flüchtlingsstatus der Palästinenserinnen und Palästinenser von Generation zu Generation weitergegeben wird. Damit steigen aber auch die Ausgaben der UNRWA stetig an, um alle Menschen mit ihren Dienstleistungen versorgen zu können.
Nachdem die «New York Times» im Januar 2024 die Vorwürfe des israelischen Geheimdienstes an die UNRWA publik machte, stoppten zahlreiche Staaten ihre Unterstützungsgelder.
Die UNRWA erhält zwar einige Mittel direkt aus dem Haushaltsbudget der UN, womit sie hauptsächlich internationale Personalkosten deckt. Die restlichen Kosten deckten bis dahin jedoch fast ausschliesslich UN-Mitgliedsstaaten mit freiwilligen Beiträgen.
Die Hilfe, welche die UNRWA im Gazastreifen leistet, stand deshalb kurz vor dem Aus, wie UNRWA-Chef Philippe Lazzarini auf X (ehemals Twitter) noch im Januar schrieb: «Ich bin schockiert, dass solche Entscheidungen auf der Grundlage des angeblichen Verhaltens einiger weniger Personen getroffen werden, während der Krieg weitergeht, die Not immer grösser wird und eine Hungersnot droht.» Gemäss Lazzarini sind zwei Millionen Menschen im Gazastreifen auf die humanitäre Hilfe der UNRWA angewiesen.
UNRWA lifesaving assistance is about to end following countries decisions to cut their funding to the Agency.
— Philippe Lazzarini (@UNLazzarini) January 27, 2024
Our humanitarian operation, on which 2 million people depend as a lifeline in Gaza, is collapsing. I am shocked such decisions are taken based on alleged behavior of a…
Inzwischen haben gemäss eines X-Posts von Lazzarini am 2. April 2024 aber die meisten UNRWA-Geldgeber ihre Beiträge wiederaufgenommen.
Thank you #Japan 🇯🇵 for your decision to resume funding for #PalestineRefugees in #Gaza & across the region. @UNRWA is fully committed to keep improving its governance & transparency.
— Philippe Lazzarini (@UNLazzarini) April 2, 2024
I too look forward to implementing the recommendations of the ongoing risk management review.… https://t.co/7MOYYPjiG1
Ja. Nach der Veröffentlichung des unabhängigen UN-Berichts, haben einige Unterstützungsstaaten, darunter Deutschland und Kanada, angegeben, die Organisation wieder unterstützen zu wollen.
Mit diesen Zusicherungen kann die UNRWA ihren humanitären Aufgaben besser nachkommen und diese längerfristig planen.
Nach den Vorwürfen Israels gegen UNRWA-Mitarbeitende im Januar liess Bundesrat und Vorsteher des Aussendepartements, Ignazio Cassis, die Hilfszahlungen an die UNRWA vorübergehend sistieren. Dabei handelt es sich um 20 Millionen Franken, die der Bund im Jahr 2022 eigentlich bereits für die Jahre 2023 und 2024 an die UNRWA genehmigt hatte.
Der unabhängige Untersuchungsbericht vermochte am verhängten Zahlungsstopp der Schweiz vorerst nichts zu ändern. Der Bundesrat wolle den Untersuchungsbericht der UN zuerst selbst «eingehend analysieren» und einen zweiten Untersuchungsbericht zur UNRWA abwarten, bevor eine Entscheidung getroffen werde, liess er am Mittwoch (24. April) mitteilen.
Den Entscheid des Bundesrats, erst einmal abzuwarten, unterstützen SVP, FDP und Teile der Mitte. Die SVP fordert gar einen kompletten Stopp der Gelder an die UNRWA. An dieser Haltung hat der unabhängige Untersuchungsbericht der UN nichts geändert.
Immer wieder ist von bürgerlicher Seite zu hören, dass die Bundesgelder besser an andere Hilfsorganisationen im Gazastreifen, etwa das Rote Kreuz, gehen sollten. Das Rote Kreuz selbst weist jedoch darauf hin, dass weder sie noch ein anderes Hilfswerk in der Lage wären, die umfassende humanitäre Hilfe der UNRWA im Gazastreifen zu ersetzen.
Auf linker Seite ist man über das Zögern des Bundesrats indes empört. Die Schweiz nehme so in Kauf, dass die Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter leide, sterbe und hungere. Die SP hat darum eine Petition gestartet, in der sie den Bundesrat auffordert, die Zahlungen an die UNRWA wiederaufzunehmen.
Eine Untersuchung der NGO «UN Watch» mit Sitz in Genf gibt an, dass die UNRWA an ihren Schulen Lehrerinnen und Lehrer einsetzt, die im Unterricht Hamas-Terroristen als Märtyrer glorifizieren oder gar zu Gewalt gegen Juden aufrufen.
Die israelische nicht-Regierungsorganisation IMPACT-SE, hat die UNRWA zudem schon mehrfach beschuldigt, an ihren Schulen Lehrmittel zu verwenden, in denen beispielsweise historische Verbindung zwischen Juden und dem Land, auf dem sich heute Israel befindet, geleugnet wird oder Israel von der Landkarte gestrichen ist. Im November 2023 veröffentlichte IMPACT-SE ausserdem einen Bericht, in dem die Organisation aufzeigt, wie mindestens vierzehn Lehrkräfte und Mitarbeitende der UNRWA-Schulen das Massaker vom 7. Oktober auf ihren Social-Media-Kanälen öffentlich guthiessen oder gar feierten.
Darüber hinaus hat die israelische Regierung der UNRWA mehrfach vorgeworfen, in ihren Gebäuden würden sich Hamas-Kämpfer versteckt halten – so etwa in Spitälern und Schulen.
Es gibt aber auch grundsätzliche Kritik an der UNRWA: Vor allem rechte Kreise warfen dem Hilfswerk in der Vergangenheit vor, mit ihrem Engagement die Integration der vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinenser in ihrem heutigen Wohngebiet zu verunmöglichen. Dies, weil sich die Organisation offen für das «Recht auf Rückkehr» aller Palästinenser und Palästinenserinnen einsetzt. Also auch für die Nachkommen derjenigen, die 1948 aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Die Neuansiedlung der palästinensischen Bevölkerung in ihrem heutigen Wohngebiet anerkennt die UNRWA nicht als Lösung des Nahost-Konflikts.
Unter anderem wegen letzterem warf Bundesrat Ignazio Cassis in der Vergangenheit bereits die Frage auf, ob die UNRWA im wirklich Teil der Lösung im Nahen Osten sei oder nicht eher Teil des Problems.
Das „Brudervolk“ ist denen also ega (warum dann diese Demos pro Palästina?). Lieber jemanden finanzieren der so viel kostet wie das 1-Jahres-Budget der UNWRA. Wie Ronaldo, Neymar beispielsweise.