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Israel-Gaza-Krieg: UN-Palästinenserhilfswerk massiv unter Druck

UN-Palästinenserhilfswerk massiv unter Druck – das Nachtupdate

28.01.2024, 06:36
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Während das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA wegen der mutmasslichen Beteiligung einiger ihrer Beschäftigten am Massaker der Hamas in Israel immer stärker unter Druck gerät, könnte ein Geisel-Deal zwischen den Konfliktparteien näher rücken. Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf US-Regierungskreise, US-Unterhändler hätten einen Entwurf auf Grundlage von Vorschlägen Israels und der islamistischen Terrororganisation Hamas ausgearbeitet, der an diesem Sonntag in Paris besprochen werden solle. Der Deal sehe demnach vor, dass die Hamas mehr als 100 Geiseln freilässt und Israel dafür sein militärisches Vorgehen im Gazastreifen für etwa zwei Monate einstellt.

Derweil kündigten Deutschland und acht weitere Länder an, ihre Zahlungen an die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen im Gazastreifen vorerst einzustellen. Grund: Zwölf der mehreren Tausend UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen stehen im Verdacht, in die brutale Attacke der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres verwickelt zu sein. Die Organisation entliess die verdächtigten Angestellten umgehend.

Schon während einer siebentägigen Feuerpause im November waren gefangen gehaltene israelische Kinder und Frauen gegen in Israel inhaftierte Palästinenser ausgetauscht worden. Doch etwas mehr als 130 Menschen sollen noch in der Gewalt der Terroristen sein – vor allem Männer und Soldaten. Nun könnte mit den Gesprächen in Paris Bewegung in weitere Verhandlungen kommen.

Geisel-Deal: Rückt eine Vereinbarung näher?

Die «New York Times» berichtete, CIA-Geheimdienstchef William Burns solle am Sonntag mit Vertretern Israels, Ägyptens und Katars in Paris sprechen. Dem Entwurf zufolge sollen in einer ersten Phase die Kämpfe für 30 Tage pausieren. In dieser Zeit solle die Hamas weibliche, ältere und verletzte Geiseln freilassen. Parallel dazu sollten beide Seiten über eine zweite Phase verhandeln, in der als Geiseln genommene israelische Männer und Soldaten für weitere 30 Tage Feuerpause freigelassen würden. Die Verhandler seien «vorsichtig optimistisch». Unklar ist aber noch, wie viele inhaftierte Palästinenser Israel freilassen muss. Die Hoffnung sei, dass Israel die Kämpfe nach einer zweimonatigen Feuerpause nicht in der Art wie jetzt wieder aufnehmen werde.

UNRWA verliert wichtige Geldgeber

Nach der Ankündigung mehrerer Länder, Zahlungen zu stoppen, warnte das Hilfswerk UNRWA vor dem Ende der Hilfe im Gazastreifen. «Unser humanitärer Einsatz, von dem zwei Millionen Menschen als Rettungsanker in Gaza abhängen, kollabiert», schrieb UNRWA-Chef Philippe Lazzarini auf der Online-Plattform X (vormals Twitter). Er sei schockiert, dass solche Entscheidungen auf der Grundlage von mutmasslichem Verhalten einiger weniger Leute getroffen hätten. «Die Palästinenser in Gaza haben keine zusätzliche kollektive Bestrafung gebraucht.» Das Hilfswerk betreibt nach eigenen Angaben Unterkünfte für mehr als eine Million Menschen und stellt Nahrung und medizinische Grundversorgung bereit. Es wurde 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Das UNRWA ist etwa in Jordanien, im Libanon und in den Palästinensergebieten tätig.

Zuvor hatten neun wichtige Geldgeber wie Deutschland, die USA, Grossbritannien oder Kanada angekündigt, vorerst keine Zahlungen mehr an die UN-Organisation zu bewilligen. «Bis zum Ende der Aufklärung wird Deutschland in Abstimmung mit anderen Geberländern temporär keine neuen Mittel für UNRWA in Gaza bewilligen», teilten das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium in Berlin mit. Ohnehin stünden derzeit keine neuen Zusagen an. Zugleich betonten die Ministerien, die humanitäre Hilfe für die Palästinenser laufe weiter. Vor wenigen Tagen habe man die Mittel für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und das UN-Kinderhilfswerk Unicef um sieben Millionen Euro aufgestockt. UNRWA sei für die Grundversorgung der palästinensischen Bevölkerung lebenswichtig.

Israel fordert Rücktritt von UNRWA-Chef

Israel hatte dem Hilfswerk Informationen zu den zwölf verdächtigen Mitarbeitern übermittelt. UNRWA-Chef Lazzarini und UN-Generalsekretär António Guterres zeigten sich entsetzt und drohten den Betroffenen mit strafrechtlichen Konsequenzen. Die Vorwürfe sollen nun unabhängig untersucht werden.

Israel kritisierte Lazzarini scharf. «Herr Lazzarini, bitte treten sie zurück», schrieb Aussenminister Israel Katz in der Nacht zum Sonntag auf X. Der israelische Regierungssprecher Eylon Levy warf dem UNRWA zudem vor, eine «Front der Hamas» zu sein. «Es deckt die Hamas buchstäblich», erklärte er auf X. Die Hamas hatte zuvor von einer Hetzkampagne Israels gegen internationale Organisationen, die den Palästinensern helfen, gesprochen. «Das skrupellose Nazigebilde» versuche damit «alle Lebensadern unseres Volkes abzuschneiden».

Dagegen nannte Schottlands Regierungschef Lazzarinis Ankündigung, die Vorwürfe unabhängig untersuchen lassen zu wollen, «wichtig». «Die Menschen in Gaza sterben mitten in einer humanitären Katastrophe, sie dürfen nicht kollektiv bestraft werden», schrieb Humza Yousaf auf X. Der Leiter des UN-Nothilfebüros, Martin Griffiths, schrieb auf X: «Jetzt ist nicht die Zeit, die Menschen in Gaza im Stich zu lassen.»

Appelle und Proteste zum Holocaust-Gedenken

Unterdessen schwor Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Landsleute erneut auf einen Sieg über die Hamas ein. «Wenn wir die Hamas-Terroristen, diese neuen Nazis, nicht eliminieren, ist das nächste Massaker nur eine Frage der Zeit», sagte er in Tel Aviv. Die Hauptlehre aus dem Holocaust sei, dass «es nur wir sind, die da sind, um uns zu verteidigen». Parallel demonstrierten in Tel Aviv Tausende Menschen, die den Rücktritt Netanjahus verlangten. Sie warfen ihm vor, seine Mitverantwortung an den Umständen, die zum Massaker der Hamas führten, zu leugnen.

Am Samstag wurde international der Holocaust-Gedenktag begangen. Bei der Gedenkfeier zum 79. Jahrestag der Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers Auschwitz äusserte eine Überlebende ihr Entsetzen über die Massaker der Hamas. «Es fallen die Söhne und Töchter der wenigen geretteten Holocaust-Überlebenden, nachdem sie ein neues Leben begonnen, eine neue Heimat in Israel gefunden haben», sagte die 94-jährige Halina Birenbaum.

Was am Sonntag wichtig wird

Am Sonntag treffen sich laut «New York Times» in Paris Vertreter Israels, Ägyptens, Katars und der Vereinigten Staaten, um über einen Geisel-Deal zu verhandeln. (sda/dpa)

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