Im Vergleich zu seinem Vorgänger Thomas Jordan, 62, ist Martin Schlegel, 48, in der Schweiz noch wenig bekannt – er sei praktisch unsichtbar, lautet die Kritik. Nun hat sich Schlegel beim Swiss Media Forum erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Hier ein Ausschnitt aus dem Gespräch.
Beginnen wir mit einer Frage, die Roger Schawinski erfunden hat: Herr Schlegel, wer sind Sie?
Martin Schlegel: Oh, die schwierigste Frage gleich zu Beginn. Ich bin schon das 22. Jahr bei der Nationalbank. Zuerst war in der akademischen Forschung. Später von 2009 bis 2016 im Devisenhandel. Dann bin ich nach Singapur gegangen. 2018 durfte oder musste ich wieder zurückkommen. 2022 wurde ich Vizepräsident und seit sieben Monaten bin ich Präsident.
Das ist Ihr beruflicher Lebenslauf. Hat sich in Ihrem Privatleben etwas geändert, seit Sie die Nummer Eins sind?
Das ändert schon etwas im Privatleben. Vizepräsident ist schon ein Job mit sehr, sehr grossem zeitlichem Einsatz. Dieser zeitliche Einsatz ist jetzt noch grösser geworden. Auch bin ich noch mehr auf Reisen. Aber was fantastisch ist, man trifft sehr, sehr viele interessante Leute. Und auch in der Öffentlichkeit, im Tram, auf der Strasse, wird man eher erkannt, wenn man Präsident ist.
Und was sagen die Leute? Kommen die auf Sie zu? Sagen sie: «Super, ich kann jetzt billiger in die Ferien. Der Schweizer Franken ist stärker geworden?»
In der Schweiz sind die Leute extrem zurückhaltend. Dass ich angesprochen werde, kommt selten vor. In den Monaten vielleicht dreimal. Das ist sehr angenehm. Ich habe am letzten Wochenende mit meinen Kollegen aus anderen Ländern gesprochen und die haben gesagt, es komme vor, dass – wenn sie auf einem Trottoir gehen. – , ein Auto anhält und sie der Fahrer wegen den hohen Hypothekar-Zinsen beschimpft.
Nicole Brändle, die Ehefrau von Martin Schlegel, trat im September 2024 überraschend von ihrer Position als Direktorin von HotellerieSuisse zurück. Sie hatte diese Rolle erst im April übernommen. Der Grund: In der Öffentlichkeit wurde diskutiert, ob ihre Position bei HotellerieSuisse mit der ihres Ehemanns bei der SNB zu einem Interessenkonflikt führen könnte. Insbesondere da die Entscheidungen der SNB zu den Zinsen und zum Wechselkurs des Schweizer Frankens direkte Auswirkungen auf die Tourismusbranche haben.
Ihretwegen Amt musste Ihre Frau zurücktreten. Ist das noch zeitgemäss, 2025?
Gute Frage. Nicole hatte als Direktorin von HotellerieSuisse eine wichtige Position. Als ich dann Präsident wurde, haben wir nachgefragt, ob es einen Interessenskonflikt gebe. Die Experten haben gesagt: «Nein, das ist keiner, höchstens eine Interessenberührung». Allerdings, wenn dann mal ein Artikel kommt in der Zeitung, der die Interessenberührung thematisiert, heisst es schnell, Schlegel hat einen Interessenskonflikt. Das wollten wir unbedingt verhindern.
Hat Sie da der Skandal um Philipp Hildebrand geprägt?
Das hat nichts miteinander zu tun. Bei Philipp Hildebrand ging es um die Devisengeschäfte seiner Frau. Bei uns war es eher ein Frühstücksproblem, also die Frage, worüber sprechen die Schlegels beim Frühstück?
Und, worüber sprechen Sie?
Ich wäre froh, wenn wir über die Geldpolitik sprechen könnten. Typischerweise geht es eher darum, die Kinder zu zähmen und zu schauen, dass sie ein bisschen vorwärtsmachen.
Unter der Leitung von Thomas Jordan war die Kommunikation der SNB sehr zurückhaltend. Die SNB ist damit anachronistisch geworden. Fast überall werden sogenannte «Minutes» veröffentlicht, in denen die Diskussionen der Nationalbankspitze über anstehende Zinsentscheide öffentlich gemacht werden. Bei der SNB ist die Diskussion geheim.
Bleibt das so?
Das Thema Transparenz ist für das neue Direktorium ist ein sehr wichtiges Thema: Wir schauen uns das genau an. Wir geben schon heute recht viel Information nach aussen. Wir haben Pressekonferenzen und das Quartalsheft, das sehr detaillierte Informationen gibt. Wir machen auch viele Veranstaltungen wie diese, an der jede und jeder kann kommen und jede Frage stellen, die sie oder er will. Aber, Transparenz ist etwas, das sich auch weiterentwickeln kann.
Sie schliessen also nicht aus, dass sie künftig «Minutes» veröffentlichen?
Auf keinen Fall.
Von Donald Trump und seiner Regierung kommt immer wieder der Vorwurf, dass die Schweiz Währungsmanipulation betreibe. Das war mit ein Grund dafür, dass Trump der Schweiz Zölle von 31 Prozent aufbrummen wollte. Und tatsächlich, die SNB hat bis zu 1000 Milliarden Franken aufgewendet, um den Anstieg des Schweizer Frankens zu bremsen. Es fragt sich, ob sie das weiterhin tun kann, ohne dass es heisst, dass sie den Wechselkurs manipuliert.
Die Amerikaner sagen, die SNB sei unfair und manipuliere den Frankenkurs. Was entgegnen Sie?
Gut, über Details in den Gesprächen kann ich mich hier nicht äussern, aber die Linie der Schweiz ist klar. Wir haben nicht in den Devisenmärkten interveniert, um einen unfairen Vorteil für die Schweiz zu erlangen, sondern eben nur, um unser Mandat – die Preisstabilität – zu erfüllen, in einem Umfeld, wo die Zinsen schon sehr, sehr tief waren.
Das tönt jetzt ein bisschen gar harmlos. Es waren immerhin 1000 Milliarden, die die SNB eingesetzt hat, um den Frankenkurs tief zu halten. Das war ziemlich offensiv.
Nein, wir haben nur versucht, die Aufwertung des Frankens zu dämpfen. Aber es ist schon etwas passiert.
Was denn?
Vor der Finanzkrise hatte die SNB eine Bilanz von rund 100 Milliarden, davon waren etwa 50 Milliarden Devisenreserven. Das Währungsrisiko des Landes hat der Privatsektor getragen, die Pensionskassen, Versicherungen, Banken und Private. Während und nach der Finanzkrise waren die Privaten weniger bereit, dieses Wechselkursrisiko zu halten. Das heisst, die Nationalbank hat am Devisenmarkt interveniert, hat Franken geschaffen, die Fremdwährungen übernommen und damit das Fremdwährungsrisiko des Landes übernommen. Das heisst, aus einer gesamtschweizerischen Sicht hat sich eigentlich – ich vereinfache hier stark – das Wechselkursrisiko vom Privatsektor zum öffentlichen Sektor verschoben.
Trump hat mit seinem «Liberation Day», an dem er massive Zölle für fast alle Länder der Welt ankündigte, die Welt geschockt. Namhafte Ökonomen befürchteten eine weltweite Rezession. Seither ist Trump zurückgekrebst und die Börsen steigen wieder, fast so, als wäre nichts geschehen.
Was glauben Sie, ist die Krise überwunden oder kommt es doch zu einer Rezession?
Was vor allem prägend ist, ist die Unsicherheit. Die Unsicherheit, was passiert mit den Zöllen, mit der Handelspolitik, aber auch, was sind die Effekte auf die Wirtschaft und auf die Inflation. Zölle in der Grössenordnung, wie sie diskutiert wurden Anfang April, sind etwas, das die Modelle der Ökonomen eigentlich nicht so kennen. Das Resultat ist eine sehr, sehr grosse Unsicherheit.
Das heisst?
Wir gehen davon aus, dass das Wachstum wegen der Turbulenzen langsamer wird, aber wir erwarten nicht, dass wir eine Rezession haben werden in der Schweiz.
Die Nationalbank hat immer wieder gewarnt vor den hohen Immobilienpreisen. Jetzt gehen sie noch mehr hoch. Wie beurteilen Sie das Risiko einer Immobilienblase?
Die gegenwärtigen Bewertungen sind mit gängigen Methoden, Modellen, schwer erklärbar. Wir sagen nicht, sie sind überbewertet. Aber wir sagen, die Preise sind verwundbar für Korrekturen.
Die Nationalbank hat neben der normalen Geldpolitik noch eine andere Funktion, die des «Lender of Last resort». Das hat sich 2023 in der CS-Krise gezeigt, als insgesamt über 250 Milliarden Franken zur Verfügung stellen musste, um die Situation zu beruhigen. Damit das nicht wieder passiert, fordert den Bund von der UBS bis zu 25 Milliarden Franken mehr Eigenkapital. Die Nationalbank hat diese Position bisher gestützt, die UBS hingegen wehrt sich vehement gegen die neuen Auflagen und droht hinter den Kulissen sogar mit einer Verlegung des Hauptsitzes ins Ausland. In Kürze wird Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter ihre umstrittenen Vorschläge im Detail veröffentlichen.
Jetzt stehen neue Regulierungen an für die UBS an, die sind sehr umstritten. Was ist Ihre Position?
Die Nationalbank denkt: «Wir müssen Lehren aus der Krise ziehen.» Die betreffen die Liquidität, das Kapital und gewisse Governance-Themen. Bei der Liquidität ist klar, die wichtigste Lehre ist, die Credit Suisse hatte nicht ausreichend Sicherheiten vorbereitet, um bei der Nationalbank genügend Liquidität zu beziehen. Wir denken, wir müssen die Banken dazu verpflichten, sich vorzubereiten, sodass sie in einer Krise bei der Zentralbank Geld beziehen können.
Sehr umstritten ist diese ganze Frage nach dem Eigenkapital. Wenn ich bei der UBS anrufe, dann kriege ich einen Vortrag mit dem Inhalt, dass es praktisch zum Untergang unserer letzten Grossbank führt, wenn sie 20 Milliarden Franken mehr Eigenkapital halten muss. Was sagen Sie dazu?
Auch auf der Kapitalseite muss man Lehren ziehen. Klar, Credit Suisse ist nicht gleich UBS, aber es gibt gewisse Parallelen. Das fängt da an: Was kann als Eigenkapital angerechnet werden? Beispielsweise kann immer noch Software als Teil des Eigenkapitals angerechnet werden. Dabei ist es eine kühne Annahme, dass Software in einer Krise verlustabsorbierend ist. Ein anderes Beispiel sind latente Steuerguthaben. Wenn ein Teil des Business wegfällt, fallen auch diese Steuerguthaben weg. Beides sollte nicht als regulatorisches Kapital angerechnet werden.
Der umstrittenste Punkt ist die Behandlung der ausländischen Beteiligungen beim Stammhaus. Die Vorschläge von Keller-Sutter führen dazu, dass die UBS rund 20 Milliarden mehr Eigenkapital braucht. Ist das gut so?
Auch dort hat sich einfach in der Krise gezeigt, dass diese Beteiligungen, weil sie einfach zu hohen Preisen oder zu stolzen Preisen in den Büchern waren, in einer Krise praktisch eine Restrukturierung verunmöglicht haben. Wenn man die veräussert hätte, verwertet hätte, hätten sie weniger Erlös gehabt, als das in den Büchern war. Das heisst, es hat einen Verlust gegeben und hat praktisch dann die Restrukturierung verhindert. Genau in der Krise hat das prozyklisch gewirkt. Und diese Prozyklität sollte man reduzieren.
In den USA stellt Trump die Unabhängigkeit der Nationalbank infrage und fordert ultimativ tiefere Zinsen. In der Schweiz ist die Unabhängigkeit der Nationalbank anerkannt. Allerdings gibt es von links-grüner Seite immer wieder Forderungen, die von der Nationalbank eine ökologischere Anlagepolitik verlangen. Bisher meist ohne Erfolg. Doch kürzlich wurde bekannt, dass die SNB nicht nur aus dem Kohlegeschäft ausgestiegen ist, sondern auch ihre Beteiligungen an den Ölkonzern en Chevron und Shell reduziert hat. Es geht um Milliarden.
Wird Anlagepolitik der SNB jetzt grün?
Wir haben kein Mandat, gewisse Sektoren zu bevorzugen und andere zu benachteiligen, mit der Idee, auf die Wirtschaft steuernd einzuwirken. Sollten wir ein Mandat haben? Die Antwort ist klar: Nein. Unser Mandat ist die Preisstabilität. Wenn wir einen ein breiteres Mandat hätten, wäre die Gefahr von Zielkonflikten gross. Ganz abgesehen davon sind Anlagen kein effizientes Mittel, den Klimawandel zu beeinflussen. Wenn man diesen beeinflussen will, dann muss das die Politik machen.
Trotzdem ist zu beobachten, dass ihr plötzlich bei grossen Ölfirma raus sind und das hat international Aufsehen erweckt. Also nochmals die Frage, warum?
Wir haben gewisse Ausschlusskriterien. Wir sagen, Firmen, die nicht mit den grundlegenden Werten der Schweiz übereinstimmen, schliessen wir aus. Und in diesem Kontext haben wir unser Portfolio angepasst.
Seit der Corona-Zeit wurde das Bargeld oft totgeschrieben. Insbesondere in den skandinavischen Ländern spielt Bargeld im Alltag kaum noch eine Rolle. Doch gemäss dem neuesten Swiss Payment Monitor ist bei Zahlungen im Laden Bargeld wieder das am häufigsten verwendete Zahlungsmittel. Zudem benützen nach wie vor viele die 1000er-Note, um ihr Vermögen aufzubewahren. Im Durchschnitt tragen die Schweizerinnen und Schweizer rund 130 Franken Bargeld im Portemonnaie. In diesem Zusammenhang kommt eine Frage aus dem Publikum:
Haben Sie überhaupt noch Bargeld dabei und falls ja, wie viel?
Ich weiss es nicht auswendig, aber ich kann schnell nachschauen. (Schlegel öffnet sein Portemonnaie und zwischen den Kreditkarten finden sich zwei Noten, die er dann hochhält.) Ich hab 30 Franken bei mir. (aargauerzeitung.ch)
Sollte Herr Schlegel über die Worte hinweg seinen Job auch genau so machen, wie er es hier darstellt, dann ist er der richtige Mann auf dem Posten.