Herr Hegglin, Sie haben als Präsident der Finanzdelegation 2024 im Dezember an der Mängelliste der Armee zuhanden von Viola Amherd mitgeschrieben. Wie gross sind die Probleme?
Peter Hegglin: Sie sind substanziell. Das sehe ich als Mitglied von Aufsichtskommissionen und als Medienkonsument. Auch die Armee selbst kommuniziert, dass sie Fähigkeitslücken hat, Ausrüstung fehlt und die Einsatztauglichkeit erst in einigen Jahren gegeben ist. Das zeigt viel.
Wo müsste der neue Verteidigungsminister oder die neue Verteidigungsministerin ansetzen?
Es gibt bisher keine klare politische Beurteilung, wie die Armee ausgerichtet werden soll. Zwar gibt es verschiedene Berichte der Armee. Und in der Armeebotschaft 2024 skizziert der Bundesrat vier Szenarien: Abwehr eines umfassenden militärischen Angriffs, schwerwiegende Bedrohung der inneren Sicherheit, staatliche Machtpolitik aus Distanz und hybride Formen der Kriegsführung. Wir können uns nicht auf alle Bedrohungsszenarien ausrichten, das würde unsere Kapazitäten sprengen. Es braucht eine Fokussierung.
Das neue Bundesratsmitglied muss sich tief reinknien?
Das erwarte ich. Ein Departementsvorsteher muss die Geschäfte im Detail kennen, Antworten geben auf die neuen Herausforderungen. Parallel dazu muss er sich vertieft in problematische Projekte hineinknien – und sie neu justieren.
Die Finanzdelegation äusserte in einem Brief an Viola Amherd Besorgnis über sieben IT-Projekte – vor allem über die Neue Digitalisierungsplattform (NDP), die künftig als Betriebsplattform verschiedenste Armeesysteme integrieren soll.
Ja, die Finanzdelegation hat aufgrund von mehr Risiken im Statusbericht ihre Besorgnis geäussert.
Wie gravierend sind die Probleme?
Der Statusbericht der Armee, den wir erhalten, zeigt: Das System ist risikobehaftet. Weiterhin unklar bleibt, ob der Bedarf vollständig durch interne Ressourcen oder durch strategische Partnerschaften mit externen Dienstleistern gedeckt werden muss. Dazu kommt: Andere Staaten wollten ähnliche Systeme aufbauen, auch sie haben damit Probleme und suchen andere Lösungen.
Muss man die Digitalisierungsplattform abbrechen?
So weit möchte ich nicht gehen. Zuerst müssen alle möglichen Optionen geprüft werden.
Wo gibt es weitere Probleme?
Vor allem bei den Drohnen Hermes-900 aus Israel. Da muss man sich fragen: Bringt diese Drohne tatsächlich, was man von ihr erwartet – auch im Betrieb? Oder könnte man Aufklärung mit neuen Modellen nicht deutlich billiger haben? Vielleicht muss man den Mut haben und sagen: Das war ein Fehlentscheid. Nicht der Kauf, aber der Swiss Finish.
Probleme gibt es auch bei C2Air für die Luftraumüberwachung.
Das Projekt C2Air war ab Februar 2024 sistiert. Zwischenzeitlich stand sogar ein Abbruch zur Diskussion. Inzwischen macht man wieder weiter, hat das Projekt justiert. Ich hoffe, dass C2Air noch zum Fliegen kommt.
Armeechef Thomas Süssli sagte in der NZZ, die Armee führe 200 Projekte. Die meisten seien auf Kurs. Nur bei sieben gebe es Probleme. Ist die Situation gar nicht so schlimm?
Es ist meine Erwartung, dass die Projekte gut laufen. Wenn man als Armeechef signalisiert, alles sei nicht so schlimm, führt das zur Grundhaltung, Fehler seien gar nicht gravierend. Aktuell gibt es aber viele Risiken. Wenn ein Projekt in Schieflage ist, das 200 bis 300 Millionen Franken kostet, ist das keine Banalität.
Der Armeechef hat in der NZZ gesagt, beim Projekt C2Air habe es Spannungen zwischen verschiedenen Teams gegeben. Deshalb habe er seit 2024 die Verantwortung selbst übernommen. Hat er die kritischen Projekte zu wenig intensiv begleitet?
Schlüssel- und Topprojekte müssen bei der obersten Führung angesiedelt sein. Der Armeechef müsste Auftraggeber wie Verantwortlicher sein. Und von einem neuen Departementschef erwarte ich, dass er letztlich die Verantwortung übernimmt.
Er sollte sich persönlich um Schlüssel- und Topprojekte kümmern?
Er muss sich monatlich oder gar alle vierzehn Tage über den Stand dieser Projekte informieren lassen. Mit dieser Massnahme diszipliniert er die Mitarbeitenden.
Die Finanzdelegation untersucht auch den Fall der 96 Leopard-1-Panzer, welche die Ruag in Italien kaufte und dort lagert. Gibt es bei der Ruag ein Problem?
Der Bericht kommt Mitte Februar. Ich kann die Resultate nicht vorwegnehmen. Der Cybervorfall 2016 zeigte, dass Handlungsbedarf besteht. Ich würde auf engere Aufsicht und Führung setzen.
Sehen Sie für das neue Bundesratsmitglied auch Handlungsbedarf bei der Armasuisse?
Rüstungschef Urs Loher will wieder eine eigene Rüstungsindustrie aufbauen und investiert massgeblich in diesen Bereich. Ich bin nicht per se gegen dieses Vorgehen, kann es auch unterstützen. Aber es müsste politisch abgesegnet werden.
Um was geht es genau?
Wir bauen jetzt – über die Swiss Innovation Force – selbst Drohnen. Nur: Müssen wir das wirklich? Müssten wir nicht eher die Drohnenabwehr verstärken? Drohnenbauer gibt es viele – und alles ändert sich sehr schnell. Unklar ist hingegen, wie die Truppen auf dem Feld gegen Drohnen ausgerüstet sind. In der Ukraine werden sogar Einzelpersonen per Drohnen eliminiert.
Markus Ritter ist bisher der einzige Bundesratskandidat der Mitte. Ist er geeignet als Verteidigungsminister?
Er macht einen Superjob als Bauernpräsident. Er hat Vorstellungen und Visionen, kann strategisch denken. Er wäre auf jeden Fall geeignet.
Wie sieht das bei Ihnen aus? Als Mitglied der Finanzdelegation wissen Sie viel über das VBS.
Ich habe heute viele spannende Aufgaben – ich bin Ständerat und habe Mandate, denen ich zugesagt habe.
Und wenn die Mitte-Spitze Sie um eine Kandidatur bitten würde?
Ich glaube nicht, dass die Spitze auf mich zukommt. Ich habe vor sechs Jahren für den Bundesrat kandidiert, da wollte die Partei eine Frau. Heute spricht man davon, dass man jüngere Kandidierende möchte.
Aber Sie wären bei einer Anfrage offen dafür?
Das wäre sicher eine spannende Aufgabe, die mir Spass bereiten würde. Ich müsste aber ins Reine kommen, was mit meinen Mandaten geschieht. Deshalb bewerbe ich mich nicht aktiv. Würde ich – wider Erwarten – gewählt, würde ich aber wohl nicht absagen.
(aargauerzeitung.ch)