Die Bedienung grüsst freundlich, das Sortiment ist vielfältig. Ein ganz normaler Bio-Laden im Herzen von Wetzikon ZH – so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Wäre da nicht der Flyer an der Eingangstüre. Er ist beschriftet mit «HAUSRECHT».
Der Flyer richtet sich an alle «Funktionäre, die versuchen, hoheitliche Handlungen aufgrund von Gesetzen, Verordnungen, Weisungen, zu kontrollieren und durchzusetzen, die jedoch nicht in der Lage sind, ihre hoheitliche Legitimation schriftlich auszuweisen». Mit «Funktionären» sind mutmasslich Vertreter von staatlichen Behörden gemeint.
Die Argumentation erinnert stark an die der «Reichsbürger». Sie lehnen den demokratischen Staat und dessen Rechtssystem ab und sind der Überzeugung, dass der Staat eigentlich eine private Firma ist.
«Sesam Natura» droht im Hausrecht mit irren Strafen. So steht etwa:
Beim aktuellen Goldkurs würde die Strafe also über 200'000 Franken betragen. Saftig wäre auch die Mahngebühr. Pro Tag würden jeweils zwei Kilogramm Gold fällig.
Bereits während der Corona-Pandemie zeigte sich, dass die Besitzerin des Ladens wenig von den Schweizer Gesetzen hält. So hielt sie gemäss Google-Rezensionen die Pandemie-Regeln nicht ein:
watson hat die Inhaberin des Ladens kontaktiert. Sie zeigt sich am Telefon gesprächig, will sich jedoch nicht direkt zitieren lassen. Sie ist überzeugt, dass sie Behördenvertreter mit einer Strafe von 4 Kilogramm Gold belegen könnte, falls sie in ihren Laden treten würden. Mit den Reichsbürgern habe sie nichts zu tun, sagt sie. Des Weiteren verweist sie auf einen Alex Brunner, der das Hausrecht verfasst habe.
Besagter Alex Brunner steht hinter dem Verein Stopp der illegalen Privatisierung des Staates (SIPS). Auf der SIPS-Webseite findet sich eine Vorlage für das Hausrecht, das im Bio-Laden in Wetzikon aufgehängt wurde.
Im April dieses Jahres fiel Brunner dadurch auf, dass er in der Gemeinde Maur Flugblätter mit verschwörerischer Propaganda verteilte, wie zuerioberland24 berichtet. So behauptet er, dass die Schweiz ihren Sitz in Belgien habe und 2014 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden sei. Ähnliche Aktionen führte er auch schon in Winterthur und Eschenbach durch.
Vorfälle mit Staatsverweigerern gibt es immer wieder. So änderten sie beispielsweise im Juni die Namen einiger Zürcher Bezirksgerichte in der Google-Anzeige in «Bezirksgerichts AG» um.
Überdies erhielt die Bewegung Anastasia, die Verbindungen zu den staatsfeindlichen «Reichsbürgern» pflegt, Ende 2022 in den Kantonen Zürich und St. Gallen provisorische Bewilligungen für Privatschulen.
Wie weit verbreitet die Staatsverweigerer in der Schweiz sind, kann nicht genau gesagt werden. Fundierte Schätzungen gebe es derzeit nicht, sagt Extremismusforscher Dirk Baier gegenüber watson. Er geht von einer vierstelligen Zahl aus.
Zwischen 2018 und 2021 habe die Anzahl der Staatsverweigerer zugenommen, sagt Baier. «Aktuell würde ich aber davon ausgehen, dass die Szene an Dynamik verliert, weil das einigende Element, der ‹übermächtige› Staat, der individuelle Freiheiten einschränkende Corona-Massnahmen durchsetzt, nicht mehr gegeben ist.»
Trotzdem müsse der Staat weiterhin genau hinschauen, sagt Baier. Denn in der Szene gebe es durchaus Gewaltpotenzial. «Für mich geht eine Gefahr von einzelnen Personen aus. Der Punkt ist, dass Personen, die staatsfeindlich denken, früher oder später mit dem Staat in Konflikt geraten, Steuern nicht bezahlen und anderen Aufforderungen nicht nachkommen.»
Es sei möglich, dass sich solche Personen zur Wehr setzen und Polizisten oder Beamte angreifen würden. «In Deutschland gibt es Beispiele für ein solches Verhalten; auch in der Schweiz kann das passieren.»
Zurück zum Bio-Laden in Wetzikon. Darf er überhaupt ein solches Hausrecht aufhängen? Wir haben bei Rechtsanwalt Matthias Fricker von Fricker und Füllemann Rechtsanwälte nachgefragt. Fricker sagt: «Grundsätzlich ist es einem Laden erlaubt, ein Hausrecht oder eine AGB auszuhängen.» Aber: «Damit diese auch wirksam sind, müssen sie dem geltenden Recht der Schweiz entsprechen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.»
Solche «Fantasieforderungen» seien gerichtlich nicht durchsetzbar, sagt Fricker. «Hier versucht sich eine private Organisation über die Behörden zu setzen. Dies erinnert etwas an die Reichsbürgerbewegung aus Deutschland und funktioniert – auch in der Schweiz – nicht.»
Könnte die Ladenbesitzerin den Behörden den Zutritt verweigern? «Nein», meint Fricker. «Eine Weigerung hätte zur Folge, dass die Amtshandlung unter Zwang – in Begleitung der Polizei – durchgeführt würde. Gegebenenfalls würden sich Besitzer und allenfalls das Personal des Ladens strafbar machen.»
Warte darauf, dass der Laden bestohlen oder ausgeraubt wird, ob dann die Funktionäre gerufen werden oder die kaiserliche Infanterie....