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Der Fall Carlos – die haarsträubende Chronologie von Brians Leben

Der «Fall Carlos» – die haarsträubende Chronologie von Brians Leben

08.11.2023, 10:5508.11.2023, 14:22
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Die Kontroverse um «Carlos» kommt nicht zur Ruhe. Erneut steht Brian Keller – wie «Carlos» mit bürgerlichem Namen heisst – vor Gericht. Die Geschichte um den erst 28-Jährigen und ein ratloses Schweizer Justizsystem ist somit um ein Kapitel reicher. Hier die Chronologie des «Fall Carlos»:

1995 bis 2009: Die Kindheit

Geboren wird Brian 1995 in Paris. Hier verbringt er die ersten drei Jahre seines Lebens. Erst 1998 zieht seine Mutter mit ihm und seiner Schwester zum Vater nach Zürich. Zwar besucht er hier als Dreijähriger einen Kurs für Hochbegabte, findet sich jedoch im System nicht zurecht. Es folgen erste Aufenthalte in geschlossenen Anstalten. Die «Republik» schreibt unter Berufung auf psychiatrische Gutachten zu dieser Zeit von «unhaltbaren, chaotischen Zuständen in der Familie» und von einer «strukturellen und emotionalen Verwahrlosung des Kindes.»

ARCHIV - GERICHTSZEICHNUNG - PROZESS GEGEN DREI PSYCHIATER WEGEN FREIHEITSBERAUBUNG IM FALL CARLOS --- Portraitzeichnung von Strafaeter Brian (bekannnt als Carlos). Das Bezirksgericht Zuerich gibt am  ...
Eine Gerichtszeichnung von Brian von 2019. Carlos wurde damals beschuldigt, 29 Delikte im Gefängnis verübt zu haben. Bild: keystone

Als 10-Jähriger wird Brian erstmals in Handschellen abgeführt. Es wurde ihm Brandstiftung vorgeworfen – zu Unrecht, wie sich später herausstellt. Danach begeht er bis 2011 insgesamt 34 Delikte, wie die Oberjugendanwaltschaft ausweist.

2011: Der Messerangriff

Mit 15 Jahren rammt Brian einem 18-Jährigen in Zürich-Schwammendingen zweimal ein Messer in den Rücken. Dafür wird er wegen schwerer Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung zu neun Monaten Haft verurteilt.

180 Tage davon verbringt er in Einzelhaft, wie humanrights.ch festhält. Hier versucht sich Brian das Leben zu nehmen. In der psychiatrischen Universitätsklinik wird er 13 Tage lang mit Händen und Beinen ans Bett gefesselt. Die restlichen 60 Tage verbringt er in einer 2er-Zelle. Danach kommt Brian in das Sondersetting.

2013: Der Dokfilm

Am Sonntagabend, 25. August 2013, läuft im Schweizer Fernsehen der Dokfilm «Der Jugendanwalt». Darin wird eigentlich Jugendanwalt Hansueli Gürber porträtiert. Dieser stellt seinen «erfolgreichsten» Fall vor: «Carlos». Der «Dauerdelinquent» habe sich in den 13 Monaten Sondersetting nichts zu Schulden kommen lassen.

Dieses Sondersetting ist jedoch nicht ganz billig. Ein Team von Betreuern, darunter der mehrfache Thaibox-Weltmeister Shemsi Beqiri, kümmert sich in einem intensiven Programm um den Jugendlichen. Die monatlichen Kosten dafür belaufen sich auf 29'000 Franken.

2013: Die «Blick»-Kampagne

Eben diese hohen Kosten sorgen im Anschluss an die Ausstrahlung für heftige Diskussionen. Der «Blick» titelt: «Sozialwahn – Zürcher Jugendanwalt zahlt Messerstecher Privatlehrer, 4.5-Zimmer-Wohnung und Thaibox-Lehrer.»

Der Fall Carols: Die Schlagzeile des Blicks
So titelte der Blick nur zwei Tage nach Veröffentlichung des SRF-Doks.Bild: blick / ausschnitt: watson

Weitere Medien ziehen nach. Alle Ausgaben werden genauestens unter die Lupe genommen. Eine Analyse des Forschungsinstitutes Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (Fög) kommt ein Jahr später zum Schluss, dass der Fall Carlos die Züge eines «Medienhypes» getragen habe.

2013: Abbruch

Die Berichterstattung zeigt Wirkung: Noch im August wird das Sondersetting abgebrochen und Jugendanwalt Gürber wird entlassen. Brian kommt erneut für ein halbes Jahr hinter Gitter – zu seinem eigenen Schutz, wie die Jugendanwaltschaft schreibt. Anfang 2014 entscheidet das Bundesgericht, dass diese Inhaftierung unrechtmässig war und nur auf den öffentlichen Druck zurückzuführen sei. Der Jugendliche selbst habe sich in diesem Fall nichts zu Schulden kommen lassen und kommt deshalb zurück ins Sondersetting.

2015 bis 2016: Weitere Verurteilungen

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Brian 2015 – erneut vor Gericht.Bild: keystone

2015 wird Brian wegen Sachbeschädigung im Massnahmenzentrum Uitikon zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte seine Zelle mit Wasser geflutet. Im März 2016 kommt es zu einer Auseinandersetzung in einem Tram in Zürich. Brian bricht dabei einer anderen Person per Faustschlag den Kiefer. Vom Bezirksgericht Zürich wird er dafür zu achtzehn Monaten unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt.

Nun beginnt für Brian ein Irrweg durch die Gefängnisse der Schweiz: vom Gefängnis Limmattal über Zürich nach Winterthur bis ins Bezirksgefängnis Pfäffikon.

2017: Menschenunwürdige Bedingungen

2017 wird er in die Sicherheitsabteilung des Bezirksgefängnisses Pfäffikon verlegt und muss dort während zwei Wochen auf dem Boden schlafen. Ihm werden Duschen und Besuche verwehrt und er darf nicht im Hof spazieren gehen. Nach einer Untersuchung der Zürcher Justizdirektorin werden Fehler eingeräumt, der Gefängnisdirektor tritt zurück.

Kurz vor Ende seiner 18-monatigen Haft kommt es in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies erneut zu einem Zwischenfall. Brian wird «zu seiner eigenen Sicherheit» wieder in Einzelhaft gesteckt, wie ihm Angestellte mitteilen. Da brennen Brians Sicherungen durch, er wirft einen Stuhl durch den Raum und es gibt ein Gerangel mit dem anwesenden Personal. Weil der Aufseher Anzeige erstattet, muss Brian wieder in Untersuchungs- beziehungsweise Sicherheitshaft.

2018: Besserung in Sicht

Im April 2018 wird Brian in das Regionalgefängnis Burgdorf verlegt. Dort wird er immer zugänglicher, lässt sich auf Unterhaltungen ein. Hier kann er Sport machen und darf sich mit seinen Mithäftlingen austauschen.

Obwohl sein Anwalt dagegen kämpft, wird er anschliessend wieder ins strenge Setting der Justizvollzugsanstalt Pöschwies zurücküberwiesen.

2019: Verwahrung

Wegen weiterer Delikte gegen Beamte wird am 30. Oktober 2019 erneut eine Verhandlung gegen Brian eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm 29 Delikte vor und fordert 7,5 Jahre und eine ordentliche Verwahrung. Er wird in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen, die «ordentliche Verwahrung» wird in eine «kleine Verwahrung» umgewandelt. Seine Strafe begeht Brian in einer eigens für ihn umgebauten Zelle in Isolationshaft.

2021: Die UN schaltet sich ein

Brian sitzt bereits seit zwei Jahren in Isolationshaft, als sich Nils Melzer als UN-Sonderberichterstatter über Folter einschaltet und die sofortige Beendigung dieser Haftbedingungen fordert. Im Dezember verfügt das Bundesgericht eine Lockerung und Brian wird ins normale Haftregime integriert.

2022: Die Entlassung

Am 31. Oktober entscheidet das Obergericht Zürich, dass Brian aus der Sicherheitshaft entlassen werden müsse, da die Fortsetzung unverhältnismässig sei – Brian habe seine Haftstrafe abgesessen. Die Staatsanwaltschaft Zürich nimmt den Entscheid des Obergerichts zur Kenntnis und prüft weitere Schritte.

2023: Erneut vor Gericht

Ende Januar 2022 wird der Insasse ins Gefängnis Zürich verlegt, in den normalen Vollzug. Später kommt er in Sicherheitshaft, da ihm die Zürcher Staats­anwaltschaft über 30 Delikte vorwirft – alle soll er in der Strafanstalt Pöschwies hinter Gittern begangen haben. Unter den Delikten ist auch schwere Körperverletzung. So soll Brian eine Glasscherbe in Richtung eines Aufsehers geworfen haben.

Am 8. November 2023 verurteilt ihn das Bezirksgericht Dielsdorf wegen dieser Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten – wegen Körperverletzung, Sachbeschädigungen, Drohungen und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Vom Vorwurf der schweren Körperverletzung wird er jedoch freigesprochen. Das Urteil kann noch ans Obergericht und ans Bundesgericht gezogen werden.

Weil diese Strafe zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch nicht rechtskräftig ist, bestimmt der Richter, dass der 28-Jährige am 10. November 2023 (zwei Tage nach der Urteilsverkündung) um 10 Uhr aus der Sicherheitshaft entlassen werden müsse. Allerdings muss er die Freiheitsstrafe von 2,5 Jahren möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt antreten.

Noch hängig ist zudem ein zweites Strafverfahren vor Obergericht. Dort wird das Urteil erst für Mitte oder Ende 2024 erwartet. Auch dort geht es um eine Freiheitsstrafe.

(yam/leo/anb)

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Fünf Pannen und Fehlentscheide in Justiz und Vollzug der letzten fünf Jahre
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Fünf Pannen und Fehlentscheide in Justiz und Vollzug der letzten fünf Jahre
1. Am 25. August 2008 wird Daniel H. aus einer Massnahme für junge Erwachsene im Baselbieter Arxhof entlassen. H. musste sich lediglich einer ambulanten Therapie unterziehen und sich regelmässig bei seiner Bewährungshelferin melden. Den Hauptrisikofaktor für einen Rückfall orteten Vollzugsbehörde und Bewährungshilfe in H.s Suchtverhalten. Anderer Risikofaktoren, wie Sexualpräferenzen und psychischer Störung, war sich niemand bewusst. Am 4. März 2009 tötete Daniel H. das Au-Pair Lucie Trezzigni in seiner Wohnung in Rieden bei Baden. Der Untersuchungsbericht zeigte, dass die in einem Verein organisierte Bewährungshilfe nicht mit den nötigen Informationen versorgt worden war. (KEYSTONE/Illustration Linda Graedel) ... Mehr lesen
quelle: keystone / steffen schmidt
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loquito
02.11.2022 20:15registriert September 2017
Scheint es nur mir so, als hätte Brian sich eigentlich immer, wenn er gute Strukturen und gleichzeitig Unterstützungs gehabt hat, sich benommen.... Ähnliches Verhalten kenne ich aus Gefängnissen mit politischen Gefangenen. Wenn Randale der einzige Weg des Widerstandes ist. Und das in der CH. Schickt dem Blick mal die Rechnung der letzten Jahre für Brian. Das Sondersetting wirkt da wohl fast geschenkt...
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Kiakira
02.11.2022 21:00registriert Oktober 2015
Eine traurige Geschichte und auch ein trauriges Schicksal von einem jungen Mann, der einfach durch alle Maschen gefallen ist. Es wäre ihm eigentlich zu gönnen, dass er ein ganz normales Leben führen kann, aber traurigerweise weiss er gar nicht, wie das geht, weil er es nie lernen konnte. Wie auch immer diese Geschichte ausgeht, ich wünsche ihm alles Gute.
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loquito
02.11.2022 20:19registriert September 2017
10k kostet ein normaler Sträfling in Sicherheitshaft. Brian wohl mehr... Also hätte man wohl auch bis heute das Sondersetting weiterführen können, und es hätte etwa gleichviel gekostet.... Danke den Rechtsempörten... Gendasselbe bei Sozialgeld... Die Spitzelei ist doch teurer als der mögliche Betrug... Aber ja nicht die Steuern der reichen erhöheny die ziehen sonst alle auf die Bahamas...
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