«Ich möchte euch eine Geschichte erzählen.» So beginnt der Facebook-Post von Jan Geerk, einem Fotografen aus Basel. Geerks Geschichte dreht sich um ein Foto. Ein junger Mann steht in der Ecke eines Boxrings, oben ohne, verschwitzt. Er blickt direkt in die Kamera, seine Hände stecken in weissen Boxhandschuhen. Das über sechs Jahre alte Bild erscheint noch heute unter Schlagzeilen in den Schweizer Medien. Denn: Der junge Mann ist Brian, früher bekannt als «Carlos».
Die Geschichte, die Geerk erzählt, handelt von einem unspektakulären Fotoshooting in einem Boxklub im Baselbiet. Von einer Schlammschlacht. Und von einem bis heute andauernden juristischen Kampf.
«Ich habe einfach meinen Job gemacht», sagt der heute 42-Jährige. Es war ein heisser Sommertag im Jahr 2013. Der Basler wurde vom Boxklub engagiert und sollte ein Training fotografieren.
Brian hatte er mehrfach vor der Linse. «Er trainierte sehr enthusiastisch und war recht fotogen», beschreibt Geerk den mittlerweile Verurteilten. Kurz nach dem Fotoshooting strahlte das SRF den Dok-Film zum Fall «Carlos» aus. Geerk: «Dann ging die Schlammschlacht los.»
Doch das ist nicht die ganze Geschichte, die Geerk erzählen will. Lange behielt er den Fakt für sich, dass er der Urheber des berühmten Fotos ist. «Ich wollte nicht, dass mein Name nur damit verbunden wird.» Denn eigentlich ist Geerk Landschaftsfotograf. Seine Bilder hängen in unzähligen Schweizer Wohnzimmern, die Kalender von Basel, Bern und Zürich gefallen einem breiten Publikum und Postkarten mit seinen Fotos werden durch die Welt geschickt.
Während seines Jura-Studiums in Basel entdeckte er seine Leidenschaft für die Fotografie. Sein Mitbewohner kaufte sich eine Spiegelreflexkamera, Geerk durfte das Gerät mitbenutzen. Er eignete sich die Handgriffe und Einstellungen selbst an. «Das geht mit genug Leidenschaft und Energie.» So setzte er sich frühmorgens ans Basler Rheinufer und wartete auf den Sonnenaufgang – «obwohl ich eigentlich Langschläfer bin». Und ging nach dem Fotografieren direkt in die Vorlesung.
Bald konnte er erste Fotos verkaufen und sich so einen Teil des Studiums finanzieren. Nach dem Abschluss erhielt er einen Job beim grössten Schweizer Postkartenverlag. Er reiste durch die Schweiz, arbeitete die Liste mit den schönsten Fotomotiven ab. Mit 32 Jahren machte sich Geerk selbstständig. «Ich kannte das von meinen Eltern.» Geerks Vater ist der verstorbene Basler Schriftsteller Frank Geerk. Seine Mutter, Irena Brežná, ist ebenfalls eine erfolgreiche Autorin.
Während seine Eltern von Worten fasziniert waren, zog es Geerk in die Natur. Beim Wandern rekognosziert er besondere Orte. Diese besucht er mehrfach zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. «Es machte mich süchtig, als ich erkannte, wie viele Möglichkeiten ich als Fotograf habe», sagt Geerk.
Seit sechs Jahren ist es nun aber nicht eine Nachtaufnahme von Basel oder ein Matterhorn-Foto, das überall zu sehen ist. Geerks meist verwendetes Foto ist das von Brian. «Anfangs war ich hässig.» Er sei nie gefragt worden, ob das Bild verwendet werden dürfe. «Diese Selbstbedienungsmentalität ist eine Katastrophe für Fotografen wie mich», sagt er.
Ein Teil von Geerks Arbeitsalltag besteht seit 2013 darin, herauszufinden, wo das Foto ohne seine Erlaubnis publiziert wird. Zum Glück sei er nicht nur Fotograf, sondern auch Jurist, sagt Geerk. Er verschickt höfliche Erinnerungsmails, stellt Rechnungen aus. Zudem betont er, er weise die Medien ausdrücklich darauf hin, Brian unkenntlich zu machen.
Das ungewollte «Carlos»-Bild könnte für Geerk aber auch zu einem möglichen Happy End werden: Einen «fünfstelligen Betrag» habe er bisher damit eingenommen. Geerk sagt: «Ich hätte nie damit gerechnet, dass mich diese Geschichte noch heute beschäftigt.»
Dies wird sie vermutlich noch weiter: Brian wird seine Verurteilung weiterziehen ans Berufungsgericht. Und das Foto wird weiterhin als Symbol für diesen Fall stehen.