2017 war ich erstmals selbst vor Ort am Eurovision Song Contest dabei, in Kiew. Als Radio-Reporterin berichtete ich die ganze Woche über aus der ukrainischen Hauptstadt. Da war es um mich geschehen. Ich habe mich Hals über Kopf in diese Community verknallt und wurde Teil davon.
Jeden Abend haben wir zu den ESC-Songs getanzt, welche am Ende der Woche längst zu Hymnen geworden sind. Fans mit Flaggen in der ganzen Stadt, spontane «Oh, I love your song!»-Ausrufe unter den Fans, verschiedene Nationalitäten, Geschlechter und Meinungen an einem Ort und im Zentrum stand immer: die Freude an der Musik.
Genau diese Community hat mich in Malmö masslos enttäuscht. Am Samstag war die Stimmung bereits vor der Arena aufgeheizt. Ein grosses Polizeiaufgebot überwachte die Szenerie, auf jedem Gebäude waren Scharfschützen platziert. Bereits als das Publikum in die Halle eingelassen wurde, formierte sich eine Pro-Palästina-Demonstration. Die Teilnehmenden wurden von der Polizei teils harsch angepackt und von den ESC-Fans getrennt.
Auch in der Halle war die Anspannung schon zu Beginn spürbar. Der Showleiter, der das Publikum jeweils auf die Show einschwört und ein paar Infos durchgibt, versuchte die Stimmung mit einer Ansprache etwas zu entschärfen. Er erinnerte das Publikum daran, dass wir nicht hier seien, um zu buhen, «we came here to love, to celebrate», legte er nach. Prompt folgte Gebuhe aus dem Publikum, worauf er sprachlos den Kopf schüttelte und entmutigt sagte: «Ich habe schon viele ESCs erlebt, aber sowas kenne ich nicht, das ist nicht Eurovision.»
Umso trauriger war der weitere Verlauf der Show. Beim Auftritt der israelischen Künstlerin Eden Golan konnte ich teilweise nichts von ihrem Gesang hören, weil das Gebuhe des Publikums so laut war. Ich habe mich geschämt für dieses Publikum. Egal, welche Haltung jemand im Israel-Palästina-Konflikt vertritt, eine 20-jährige Künstlerin auszubuhen, finde ich mehr als irritierend. Umso beeindruckender fand ich ihren Auftritt, wie sie dem Druck Stand hielt und eine grossartige Performance hinlegte.
Bei jedem einzelnen Punkt, den Israel beim Juryvoting erhielt, wurde erneut gebuht. Teilweise wurde auch der niederländische Song «Europapa» angestimmt, der am selben Tag vom Contest ausgeschlossen wurde, weil ein Vorfall zwischen Interpret Joost Klein und einer TV-Produktionsmitarbeiterin polizeilich untersucht wird. Joost hatte sich zuvor an einer Pressekonferenz seine Flagge über den Kopf gezogen, sobald Israel angesprochen wurde.
Als feststand, dass Nemo gewonnen hat, habe ich wie eine Schlosshündin geweint, hemmungslos. Es war nicht nur die Freude über den Gewinn, die mich in diesem Moment bewegt hat, sondern vielmehr die Bedeutung, die damit mitschwang: Nemo, non-binär, farbenfroh, meinungsstark, gewinnt den aufgeladenen 68. Eurovision Song Contest.
Was für ein Signal!
Dass dies möglich war, tröstet, es gibt mir Hoffnung, an die Empathiefähigkeit unserer Gesellschaft zu glauben. Beweisen, dass es die ESC-Community, wie ich sie kenne, noch gibt – unterstützend, bejahend, ausgelassen und fröhlich –, können wir nächstes Jahr gleich selbst.