Niemand findet die Lösung für ein Problem, indem man es verdrängt. Wer nicht die Ursache bekämpft, wird wieder mit neuen Symptomen konfrontiert werden. Doch um ein Problem zu identifizieren, braucht es eine genaue Analyse.
Genau das ist, was aktuell zu wenig im Vordergrund steht im Fall des 15-jährigen Schweizers mit tunesischen Wurzeln, der am Samstag einen Mann in Zürich mit einem Messer attackiert hat – nur weil dieser ein Jude war.
Während die Ermittlungen laufen, wie der minderjährige Täter radikalisiert wurde, werden bereits Stimmen laut, die für ihn Konsequenzen fordern, ohne die Fakten genau analysiert zu haben. Sie nutzen die Tat für ihre eigene politische Agenda.
Allen voran der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr: Öffentlich fordert er den Entzug des Schweizer Passes für den 15-Jährigen. «Jemand, der so etwas Abscheuliches tut, hat in der Schweiz nichts mehr verloren. Der Angriff ist eindeutig terroristisch motiviert gewesen. Das hat der Täter in seinem Bekennervideo kundgetan. Darin bezeichnete er sich als «Soldat des Kalifats und Anhänger des IS», sagt Fehr in der NZZ.
Mit seiner Forderung spielt Fehr den Richter, der dem Täter keinen fairen Prozess macht. Das ist aus mehreren Gründen bedenklich:
Antisemitismus ist leider ein reales Problem unserer Zeit, das angegangen werden muss – auch politisch. Dafür muss man verstehen, wie so junge Menschen dermassen radikalisiert werden können. Es fängt bereits bei den Schulen an, an denen Antisemitismus stark verbreitet ist – wie dieser Beitrag über Hitler-Gruppenchats zeigt. Es braucht also mehr Aufklärung, seitens der Schule, aber auch der Eltern. Gerade in den sozialen Medien wie Tiktok werden Kindern oft einseitiger Meinungsmache ausgesetzt und durch den Algorithmus befeuert. Da helfen keine Verbote, sondern Gespräche.
Wenn Minderjährige in der Schweiz radikalisiert werden, hat offensichtlich unsere Präventivarbeit und Bildung versagt. Ihnen dann das Bürgerrecht zu entziehen, würde bedeuten, unsere eigenen Fehler zu verdrängen, anstatt sie zu lösen.
Eine Forderung wie diese ist reinster Populismus, der die Fronten nur noch mehr verhärtet.
Wir verdrängen eigenen Fehler nicht, sondern korrigieren sie, indem wir ihm das fälschlicherweise ausgestellte Bürgerrecht wieder entziehen. Andernfalls läuft er in spätestens 4 Jahren wieder durch Zürich. Will das wirklich jemand?
Korrekt, wir importieren sie.