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Antisemitismus: In WhatsApp-Chats von Schulklassen ist Hitler ein Star

Antisemitische Sprayerei an einer Mauer: Auch in Schulen kommt es vermehrt zu ähnlich gelagerten Vorfällen.
Antisemitische Sprayerei an einer Mauer: Auch in Schulen kommt es vermehrt zu ähnlich gelagerten Vorfällen.bild: imago-images.de

In WhatsApp-Chats von Schweizer Schulklassen ist Hitler ein Star – das rät der Experte

Nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Schweiz explosionsartig gestiegen. Davon betroffen sind auch jüdische Schülerinnen und Schüler.
03.03.2024, 08:11
Kari Kälin / ch media
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Der Tatort ist die Umkleidekabine. Ein Oberstufenschüler besprayt einen jüdischen Mitschüler mit Deodorant und sagt: «Ich werde dich vergasen wie alle Juden.»

Das Beispiel stammt aus dem Jahresbericht der «Cicad», der Westschweizer Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Sie hat im letzten Jahr in der Romandie 944 antisemitische Vorfälle registriert, fast 70 Prozent mehr als im Vorjahr.

Nach der Terrorattacke der Hamas gegen Israel vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen ist deren Zahl explodiert auf mehr als 150 pro Monat. Das Spektrum reicht von antisemitischen Äusserungen im Internet bis hin zu gravierenden Vorfällen wie der Deoattacke oder eingeschlagenen Fensterscheiben bei Synagogen.

Brennpunkt: Schulen

Ein Fazit des «Cicad»-Berichts sticht besonders ins Auge: Stark verbreitet ist Antisemitismus demnach an Schulen. Auf einigen Pausenplätzen sei «Jude» zu einem Schimpfwort geworden, Memes von Hitler und dem Dritten Reich seien populär in Whatsapp-Klassenchats. Memes sind mit Texten versehene Bilder. Dass der Chef eines beispiellosen Verbrecherregimes in Schüler-Chats und in sozialen Medien als Star gefeiert wird, verstört. Leisten die Schulen zu wenig Aufklärungsarbeit?

Marianne Helfer ist Leiterin der Fachstelle Rassismusbekämpfung des Bundes. Gegenüber der SRF-Sendung «10vor10» kritisierte sie, die Kantone schenkten dem Thema Antisemitismus und Rassismus an Schulen zu wenig Beachtung. In einer Befragung hätten Lehrpersonen moniert, in ihrer Ausbildung nicht genügend auf die Thematik vorbereitet zu werden.

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) betont derweil den Präventionsaspekt. Generalsekretär Jonathan Kreutner verweist auf das bereits 2002 lancierte Projekt «Likrat», das auf wachsendes Interesse stösst. Im letzten Jahr etwa besuchten über 170 Mal jüdische Jugendliche Schulklassen in der Deutschschweiz, um ihre Religion vorzustellen und Vorurteile abzubauen. Sie erreichten damit mehr als 1500 Schülerinnen und Schüler.

Zu Hitlerbildern in Klassenchats und dergleichen sagt Kreutner: «Meistens steckt keine gefestigte Ideologie dahinter, sondern historisches Unwissen und der Reiz der Provokation.» Das beste Mittel dagegen sei nicht eine Bestrafung, sondern Gespräche und Aufklärung über den Nationalsozialismus und den Holocaust.

Lehrerinnen und Lehrer suchen vermehrt Rat

Der aufkeimende Antisemitismus unter Schülern beschäftigt zunehmend auch das Personal an der pädagogischen Front. Peter Gautschi ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Mitherausgeber des 2022 erschienenen Buches «Antisemitismen – Sondierungen im Bildungsbereich.»

Vor dem 7. Oktober 2023 suchten bei ihm pro Jahr vielleicht zwei Lehrpersonen Rat im Umgang mit antisemitischen Vorfällen an Schulen. Seither sind es eine bis zwei pro Woche. Die Lehrer berichten von Pausenplatzbeschimpfungen bis hin zu Aussagen wie «Hitler ist mein Idol». Wie viel davon Provokation, Unwissen oder einem ideologischen Unterbau geschuldet ist, sei schwierig abzuschätzen, so Gautschi.

Peter Gautschi ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern.
Peter Gautschi ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern.Bild: PD / Nidwaldner Zeitung

Der Geschichtsdidaktiker hat für Lehrpersonen ein 10-Punkte-Programm (siehe unten) für den Umgang mit Antisemitismen und Diskriminierung entwickelt. Ein Beispiel: Lehrpersonen müssen die antisemitischen Äusserungen klar benennen und unmissverständlich Position beziehen. Wichtig sei auch, Motive hinter den diskriminierenden Äusserungen zu ergründen. Die Wissensvermittlung folgt erst am Schluss. Gautschi hat seine Empfehlungen selber in unterschiedlichen Situationen erfolgreich angewendet.

Gautschi wirft den Schulen nicht vor, das Thema Antisemitismus zu vernachlässigen. Er beobachtet, dass sich Lehrpersonen dem Phänomen stellen und es auch behandeln. Es gebe aber grosse Unterschiede. Nicht allen Lehrpersonen gelinge es gleich gut, ein Klima zu schaffen, in dem engagierte Gespräche über schwierige Themen möglich seien. Gautschi sagt aber auch:

«Die Schule ist keine Reparaturwerkstatt, die alle Probleme der Gesellschaft lösen kann.»

Gautschi verweist deshalb auf eine wichtige Erkenntnis aus seinem jüngsten Forschungsprojekt zum Thema: Allen Studierenden an Pädagogischen Hochschulen soll ein grundlegendes Angebot zum Umgang mit Antisemitismus zur Verfügung stehen. «So verfügen Lehrpersonen über ein solides Wissen, das sie im Rahmen von Weiterbildungen vertiefen können, sofern ihnen dafür die notwendige Zeit und die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden», sagt Gautschi.

Was sollen Lehrpersonen konkret tun?

  1. Auf Diskriminierung/Antisemitismus sofort reagieren; je nach Situation im Einzel-, Gruppen- oder Klassengespräch.
  2. Die diskriminierende/antisemitische Aussage oder Handlung genau benennen.
  3. Zu Beginn jeder Intervention die Betroffenen schützen und stärken (unabhängig davon, ob diese anwesend sind).
  4. Solidarität mit jenen, die sich gegen die diskriminierende/antisemitische Aussage oder Handlung stellen und Haltung/Zivilcourage zeigen.
  5. Als Lehrperson die eigene Position unmissverständlich darlegen und begründen.
  6. In ein Gespräch einsteigen und versuchen, die Motive derjenigen herauszufinden, die diskriminierende/antisemitische Aussagen oder Handlungen machen.
  7. Nicht die Person, sondern deren Position kritisieren.
  8. Dabei das Gefühl vermitteln, dass im geschützten Raum alle Meinungen geäussert werden dürfen, ohne Angst vor moralischer Zurechtweisung, Belehrung oder Eskalation («safe space» und «brave space»).
  9. Dennoch klarmachen, dass es Grenzen gibt – und diese begründen (zum Beispiel mit dem Gesetz, mit Menschenrechten, mit Geschichte, mit Moral).
  10. Wissen vermitteln.

* Empfehlungen für Lehrpersonen zum Umgang mit diskriminierenden/antisemitischen Aussagen oder Handlungen (Peter Gautschi, PH Luzern, nach dem 7. Oktober 2023)

Quellen

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203 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrmikech
03.03.2024 09:06registriert Juni 2016
Man sollte diesen Schülern die Haufen jüdischer Leichen zeigen sowie die Bilder von tausenden ausgehungerten Juden in KZ-Lagern. Dann wird ihnen das Lachen vergehen.
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Firefly
03.03.2024 08:50registriert April 2016
Kinder kommen nicht alleine auf sowas, die Eltern sind zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie durch ihre Kinder Hassbotschaften in Umlauf bringen lassen.
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El_Chorche
03.03.2024 11:53registriert März 2021
Die Massnahmen zeugen eher von Hilflosigkeit. Safe space, wenn ich das nur schon höre... irgendwann muss man da auch wieder rauskommen.

Ich würde den Schülern vor den Latz knallen, dass sie auch nicht arisch sind (was wohl die wenigsten wären) und ihnen sachlich mitteilen, dass sie in Hitllers Augen auch Untermenschen sind - die Juden waren einfach als erste an der Reihe.

Mal sehen ob sie das dann immer noch so spassig finden.

Mit Appeasement kommt man hier nicht weiter

Gruss
Chorche, Aufklärungsexperte
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