«La maladie du français a un nom: l'anglais» («Die Krankheit des Französischen hat einen Namen: Englisch»), schrieb der französische Politiker Alain Peyrefitte in seinem Bestseller «Le Mal français» schon 1976. Und immer mehr Deutschschweizer Kantone, vor allem in der Ostschweiz, geben seinen prophetischen Worten recht: Sie starten zuerst mit Frühenglisch und unterrichten Frühfranzösisch erst ab der 5. Klasse. Oder schaffen es – wie jetzt Appenzell Ausserrhoden – gleich ganz ab.
Sicher, der Unterricht von Französisch – und auch Englisch – bereits in der Grundstufe ist nicht unproblematisch. Zwei Fremdsprachen überfordern manche Schülerinnen und Schüler, besonders dann, wenn sie mit Deutsch schon ihre liebe Mühe haben. Ein Viertel der Schweizer Schülerinnen und Schüler erreicht im Lesen laut Pisa-Bericht 2022 das Mindestniveau nicht. Und das in der Erstsprache. Entsprechend düster sieht es mit Frühfranzösisch aus: Eine Studie aus dem Jahr 2019 ermittelte derart miserable Resultate, dass die Kantone, die die Studie bestellt hatten, sie umgehend schubladisierten.
Sicher ist aber auch, dass Kinder eine Fremdsprache leichter lernen, wenn sie früh damit anfangen. Das gilt aber nicht uneingeschränkt: Sprachkompetenz in der Muttersprache sowie Unterrichtsmethoden und Lehrmittel spielen dabei eine wichtige Rolle.
Doch mir geht es um etwas Grundlegenderes als die Frage des Frühfranzösischen. Die kann und soll man pragmatisch regeln. Was mich traurig stimmt und beunruhigt, ist der schleichende, aber offenbar unaufhaltsame Rückzug der französischen Sprache und Kultur aus der alemannischen Schweiz. Mittlerweile ist es Standard, dass die Mitarbeitenden in Unternehmen mit Standorten dies- und jenseits des Röstigrabens auf Englisch miteinander kommunizieren. Immerhin: Das beherrschen alle mehr oder weniger gleich schlecht.
Was im Welschland und in Frankreich läuft, findet immer seltener Widerhall in der Deutschschweiz. Was wissen wir hier über die französische Politik, über den französischen Alltag? Wie viele Autoren oder Popgrössen aus Frankreich oder der Romandie können wir aufzählen? Wie viele frankophone (und zum Vergleich: wie viele anglophone) Medien konsumieren wir? Ein Influencer-Furz aus New York interessiert uns mehr als der Kollaps der französischen Position in Westafrika und das russische Vordringen dort.
Natürlich spiegelt all dies den relativen Niedergang der französischen Stellung in der Welt wider. Die Zeiten sind unwiederbringlich vorbei, da die Fürstenhöfe Europas selbstverständlich auf Französisch konversierten und Voltaire aus Potsdam melden konnte: «Hier spricht man nur unsere Sprache. Das Deutsche ist bloss für Soldaten und Pferde.»
Doch auch wenn Französisch seine Dominanz längst an das Englische verloren hat, verfügen wir Deutschschweizer dank der Nachbarschaft zum Welschland über ein Kapital – nämlich den relativ leichten Zugang zu einem bedeutenden Sprach- und Kulturraum. Weltweit sprechen mehr als 320 Millionen Menschen in über 50 Ländern Französisch. Andere Länder, etwa Deutschland, Italien oder Polen, die nicht über grosse anderssprachige Landesteile verfügen, haben diesen privilegierten Zugang nicht. Dort herrscht monolinguale Beschränktheit, die allenfalls noch durch Englischkenntnisse gemildert wird.
Leider verschleudern wir dieses Kapital ohne Not. Denn Französisch ist nicht mehr cool – und es ist schwierig. Generationen von Deutschschweizer Schülern sind durch den Subjonctif traumatisiert worden, was teilweise die Aversion gegen diese elegante Sprache erklären mag. Man könnte nun einwenden, dass die Romands noch weniger gern Deutsch lernen als wir Französisch. Doch sie sind mit einem doppelten Problem konfrontiert: Deutsch ist noch schwieriger als Französisch – wer jemals Anderssprachigen die Adjektivdeklination beibringen musste, kennt den Ausdruck der Verzweiflung, der sich dann auf den Gesichtern breitmacht. Und dann sprechen wir Deutschschweizer auch noch Mundart, was die Hürde noch höher macht.
Die Welschen sind überdies in der Minderheit in der Schweiz. Es empfiehlt sich daher, ihnen tendenziell eher entgegenzukommen – sie werden von uns schon genug wirtschaftlich dominiert und notorisch bei Abstimmungen überstimmt. Und wenn sie darauf verzichten sollten, den Vorteil zu nutzen, den ihnen das Zusammenleben in einem mehrsprachigen Staat bietet, dann verpflichtet uns nichts dazu, es ihnen gleichzutun.
Ich verstehe bis heute nicht, warum wir in der oberstufe bis zum erbrechen verben konjugieren mussten in allen möglichen zeitformen. Also ob das irgendwie nötig wäre wenn ich mich in der romandie oder frankreich irgendwie verständigen möchte.
Lernt Franz, mon amour, con amore!