Nach zwei Jahren Pandemie geht es bei der Swiss wieder aufwärts: «Wir verzeichnen einen erfreulichen Buchungseingang für Ostern und auch für den Sommer», heisst es in einem internen Schreiben an das Swiss-Kabinenpersonal. Zudem stelle man fest, dass die Kundschaft Ferien wieder deutlich im Voraus buche.
In Jubel bricht die Schweizer Fluggesellschaft trotzdem nicht aus. Denn trotz der anziehender Reiselust von Herr und Frau Schweizer kämpft die Swiss aktuell mit knappen Beständen beim Kabinenpersonal.
Um die Kabinenbestände auszugleichen, habe die Geschäftsleitung zusätzliche Massnahmen ergriffen, heisst es in einem internen Schreiben vom 30. März, das watson vorliegt. Einerseits bietet die Swiss ihrem Kabinenpersonal an, Ferientage zurückzukaufen oder Pensionierungen zu verzögern.
Andererseits will die Swiss genauer hinschauen bei Krankheitsausfällen. Es gäbe eine «zu hohe Anzahl an Kurzfristabsenzen», was wiederum zu einem «hohen Anteil an Reserveeinsätzen» führe. Dazu schreibt die Swiss:
Aufgrund der «auffälligen Kurzfristenabsenzen» muss sich, wer kurzfristig krank ist, neu bei zwei anstatt einer Stelle abmelden. Wer sich am Wochenende oder direkt vor oder nach seinen Ferien krankmeldet, dem droht zudem ein Gespräch mit der Teamleitung. Denn diese kurzfristigen Absenzen definiert die Swiss als «leichte Auffälligkeit».
Wer unbezahlten Urlaub anfragt, diesen nicht kriegt oder versucht, Schichten abzutauschen und sich dann krankmeldet, der fällt gemäss Swiss-Schreiben bereits «qualifiziert» auf. Dann, so die Swiss, erfolgt «zwingend ein persönliches Gespräch mit der Teamleitung sowie eine individuelle Reduktion der Arztzeugnisfirst.»
«Damit drohen sie uns mit Konsequenzen, wenn wir uns krank melden», sagt Milena Müller*. Müller ist ein aktives Crew-Mitglied und möchte anonym bleiben. Es sei unglaublich, was die Swiss mit ihrem Personal mache, so Müller weiter: «Ich werde privat nicht mehr mit der Airline fliegen, weil mir das Risiko von müdem und krankem Personal zu hoch ist.»
Damit ist Müller nicht alleine. Im internen Facebook-Channel klingt es ähnlich. «Ich bin ehrlich gesagt sprachlos», schreibt eine langjährige Flugbegleiterin. «Mit solch erschreckenden Massnahmen wird die Situation nicht besser, sondern noch schlimmer.»
«Wir werden wie Roboter behandelt», schreibt eine weitere Swiss-Angestellte auf Englisch. Und eine Dritte: «Wie kann man so fahrlässig mit seinen Mitarbeitern umgehen!»
Auch bei der kapers, der Gewerkschaft des Kabinenpersonals, stossen die Massnahmen der Swiss auf Unverständnis. «Druck ist keine Lösung. Es ist eine reine Symptombekämpfung», sagt Sandrine Nikolic-Fuss, kapers-Präsidentin und selbst Angestellte bei der Swiss.
«Die aktuelle Situation ist aus unserer Sicht auf Fehlentscheidungen des Managements zurückzuführen», so Nikolic-Fuss weiter. Man habe die Swiss bereits im Frühling 2021 vor einem Unterbestand in der Kabine gewarnt. Dennoch trennte sich die Schweizer Fluggesellschaft einige Monate später von 550 Mitarbeitenden. 334 davon arbeiteten in der Kabine. Das rächt sich nun.
Eine gewisse Fehlplanung räumt auch die Swiss ein. «Die Swiss verzeichnet beim Kabinenpersonal mehr Abgänge als erwartet», sagt Swiss-Sprecherin Sonja Ptassek. Einerseits sei die Personalfluktuation nicht gesunken, andererseits hätten sich mehr Angestellte früher pensionieren lassen als erwartet.
Man sei sich bewusst, dass die Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeitenden der Swiss derzeit «sehr anspruchsvoll und herausfordernd» seien, so Ptassek weiter. Die Airline arbeite aber daran, das Kabinenpersonal aufzustocken.
«Im Laufe des Jahres wird die Swiss Cabin Crew Member im dreistelligen Bereich einstellen.» In diesem Kontext werde zudem über die Hälfte der 334 im Frühsommer entlassenen Kabinen-Mitarbeitenden ab April wieder zum Unternehmen zurückkehren.
Dass man die Angestellten mit den neuen Massnahmen bei Absenzen unter Druck setze, davon will die Swiss aber nichts wissen. «Die getroffenen Massnahmen sollen keinen Druck ausüben. Stattdessen möchten wir Muster verstehen, die schwer nachzuvollziehen sind», so die Swiss-Sprecherin.
Man beobachte, besonders am Wochenende, gewisse Auffälligkeiten bei den Absenzen. «In den letzten Monaten haben die Auffälligkeiten nochmals zugenommen», so Ptassek. Deshalb die Massnahmen.
Man setze aber weiterhin auf eine «starke Vertrauenskultur» und sehe auch kein grösseres Risiko, dass in Zukunft Angestellte trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen. «Es ist ein zentraler Bestandteil unserer Sicherheitskultur, dass jedes Crew-Mitglied eigenverantwortlich entscheidet, ob sie oder er ‹fit to fly› ist.»
*Name von der Redaktion geändert
Wie ist denn diese Aussage zu interpretieren?
Entweder man ist gesund und geht zur Arbeit, oder man ist krank und bleibt zu Hause.
Krank zur Arbeit gehen, ist kein guter Vorschlag – schon gar nicht dort, wo so viele Menschen auf engem Raum anzutreffen sind.