Es war im Jahr 2014, als in der Schweiz erstmals die DNA-Spuren der gefrässigen Quaggamuschel im Rhein bei Basel nachgewiesen werden konnten. Seither hat sie sich hierzulande als invasive Art im Genfersee, Bodensee, Murtensee und in anderen Seen festgesetzt, wo sie einheimische Muschelarten verdrängt. Zudem können sie Schäden in Millionenhöhe verursachen, wenn sie die Ansaugrohre von Trinkwasserleitungen verstopfen. Die Quaggamuschel stammt aus der Schwarzmeerregion, wurde aber vermutlich im Ballastwasser von Frachtschiffen nach Europa transportiert. Sie ist nur ein Beispiel der schweizweit fast 200 Arten, die als invasiv gelten.
Weltweit gibt es über 3500 invasive Arten, die massive ökologische und wirtschaftliche Schäden verursachen, wie aus dem soeben veröffentlichten Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES hervorgeht. Die Kosten belaufen sich global auf über 423 Milliarden Dollar pro Jahr. «Wir haben ein riesiges Problem, das bislang nicht die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient», sagt Sven Bacher, Professor für angewandte Ökologie an der Universität Freiburg und einer der Leitautoren des Berichts.
Invasive Arten sind eine der grössten Treiber des weltweiten Artensterbens. Denn sie konkurrieren mit den einheimischen Arten um Lebensraum und Nahrung. Gewinnen sie den Kampf, verdrängen sie die heimische Art. Bei 60 Prozent der global ausgestorbenen Arten tragen laut dem neuen Bericht invasive Arten denn auch mindestens eine Mitschuld. Bei 16 Prozent der ausgestorbenen Tiere oder Pflanzen waren gar nur die fremden Eindringlinge schuld.
Wie Sven Bacher betont, gibt es immer wieder Arten, die sich auf natürliche Weise in neuen Gebieten festsetzen, verfrachtet etwa durch den Wind. «Aber das Ausmass, das wir heute beobachten, ist beispiellos.» Er nennt die Hawaii-Inseln, wo sich früher etwa alle 10'000 Jahre eine neue Art etabliert hat. «Heute sind es zwei Arten pro Jahr.» Sogar die Antarktis gilt als nicht mehr sicher vor invasiven Arten. Aufgrund des Tourismus gelangen beispielsweise Gräser aus Europa dorthin, deren Pollen noch an den Schuhen von Reiselustigen hafteten.
Invasive Arten verursachen auch massive Schäden in der Fischerei und Landwirtschaft. Ein Beispiel ist der Japankäfer, der seit 2017 immer wieder auch in der Schweiz auftaucht. Das aus Japan stammende gefrässige Insekt ist wenig wählerisch und ernährt sich von rund 300 Pflanzenarten, darunter Mais, Reben, Erdbeeren und Tomaten.
Erst Ende Juni gab es in der Schweiz nördlich der Alpen eine Invasion des Japankäfers. Innerhalb weniger Tage wurde die schädliche Käferpopulation mit massivem Einsatz von Pestiziden und Insektiziden getilgt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Bekämpfung invasiver Arten Zielkonflikte mit anderen Arten des Naturschutzes birgt, etwa, wie beim Fall des Japankäfers, mit dem Verzicht auf Pflanzenschutzmittel.
Nicht nur die Natur, auch die Gesundheit des Menschen wird durch invasive Arten bedroht: 85 Prozent der dokumentierten negativen Auswirkungen von invasiven Arten betreffen die Lebensqualität der Menschen, wie es im Bericht heisst. So verbreitet sich in der Schweiz in den letzten Jahren die Tigermücke, die Krankheiten wie Dengue- oder Gelbfieber übertragen kann.
Auch Säugetiere können Krankheiten übertragen, zum Beispiel die Nutria, eine aus Südamerika stammende Biberratte, die sporadisch in der Schweiz auftaucht. Die Tiere können Träger von Krankheiten wie der Leptospirose sein, einer akut verlaufenden Infektionskrankheit.
Unterschätzt wird, dass auch invasive Pflanzen der menschlichen Gesundheit schaden können, zum Beispiel, wenn es sich um hochallergische Pflanzen handelt. So lehrt etwa die aus Nordamerika eingeschleppte Ambrosia-Pflanze viele Allergiker das Fürchten, da deren Pollen noch heftigere Reaktionen auslösen als etwa Gräserpollen.
Um zu verhindern, dass sich invasive Arten etablieren können, ist schnelles Eingreifen wie beim Japankäfer wichtig. Aber: «Am effektivsten und kostengünstigsten kann die Zunahme invasiver Arten gebremst werden, wenn man das Einschleppen zum Beispiel durch Einfuhrkontrollen unterbindet», sagt Bacher. Entsprechende internationale Abkommen gebe es bereits, nur würden diese oftmals nicht eingehalten. Auch, weil das Handelsvolumen so gigantisch sei, dass eine vollständige Kontrolle schlicht nicht möglich sei. Dabei wäre das dringend nötig: Wird nicht mehr getan als bisher, schätzt der IPBES, dass bis Mitte des Jahrhunderts die Zahl der gebietsfremden Arten nochmals um einen Drittel ansteigen wird.
Einen Anteil daran hat auch der illegale Online-Handel mit exotischen Pflanzen und Haustieren, der laut Bacher laufend zunimmt. So gelangen immer mehr Arten unter Missachtung nationaler und internationaler Gesetze in Gebiete, in die sie nicht gehören. «Das ist brandgefährlich, wenn das unreguliert abläuft und eine Art auf einmal ins Freiland entwischt», sagt der Freiburger Biologe. Denn viele der Invasionen, die heute Probleme machten, seien genau so gestartet. In der Schweiz ist die Aussetzung von gebietsfremden Arten bereits strafbar, ein Verkaufsverbot dürfte demnächst folgen. (aargauerzeitung.ch)