Die Felder sind schneebedeckt. Das Thermometer zeigt minus 1 Grad an. Gefühlt ist es wegen des eisigen Windes noch kälter. Doch La Brévine kämpft nicht mit Minustemperaturen. Die ist man sich im «Sibirien der Schweiz» gewohnt. 1987 wurde hier mit -41,8 Grad die tiefste je gemessene Temperatur des Landes registriert.
Vielmehr kämpft das Neuenburger Dorf für den Erhalt von Bargeld – und seinen Bancomaten. Auf dem Spiel steht das Überleben des Lebensmittelladens, der Bäckerei, der Metzgerei und der zwei Restaurants, die die 600-Seelen-Gemeinde noch immer hat. «Wenn man hier bei uns kein Bargeld mehr abheben kann, gehen die Menschen in die Stadt und erledigen ihre Einkäufe dort. Dann bricht die ganze Pyramide zusammen», warnt Hotelier Jean-Daniel Oppliger, der das «Hôtel-de-Ville» führt.
Das Problem: Das Dorf liegt im Risikogebiet, was Sprengstoffangriffe auf Bancomaten betrifft. Im letzten Jahr erreichte deren Zahl in der Schweiz einen Höchststand. Kriminelle sprengten 28 Bancomaten in die Luft – gehäuft solche in Grenzregionen. In La Brévine ist die französische Grenze nur fünf Autominuten entfernt.
Hier schlugen die Übeltäter am 27. Mai 2024, nachts gegen 2 Uhr, zu. Um sich Zugang zu den Banknoten zu verschaffen, hätten sie die Küche der Wohnung, die an den Automaten angrenzt, in die Luft gesprengt, erzählt Hoteldirektor Oppliger. Die Wohnung gehört einem Polizisten, der auf der oberen Etage schlief. Das Vorhaben der Kriminellen misslang: Sie entkamen, aber ohne Beute. Ein Mann erlitt durch die Explosionen einen schweren Schock und musste ins Spital.
Die Neuenburger Kantonalbank entschied, den Bancomaten aufzugeben. Auch Raiffeisen, die den zweiten Automaten im Dorf betrieb, stellte diesen kurz darauf aus Sicherheitsgründen ausser Betrieb. Er war 2022 ebenfalls attackiert worden. Von einem Tag auf den anderen konnte man in La Brévine kein Bargeld mehr abheben. Den Trend, dass seit 2020 landesweit über 1000 Bancomaten verschwanden, spürte das Dorf am eigenen Leib.
Mehrere Faktoren akzentuieren die Situation: Einige Geschäfte wie die Bäckerei wollen nur Bargeld akzeptieren. Viele Einwohner sind im fortgeschrittenen Alter und hängen an Münz und Noten. Wer kein Auto mehr fährt, erreicht den nächsten Bancomaten in 15 Kilometern Entfernung nur schwerlich – das Postauto fährt stündlich. Auch die passierenden französischen Grenzgänger bevorzugen Bargeld. Die Schweizer Bezahllösung Twint kennen sie nicht und Kartenzahlungen verursachen ihnen Gebühren.
Schnell organisierte sich darum der Widerstand. Das Restaurant wurde zur Ersatzbank – und zahlte gegen Zücken der Karte Bargeld aus. Die Gemeinde versuchte eine solche Lösung im Gespräch mit den Banken zu institutionalisieren, pochte aber auch auf eine Rückkehr eines Bancomaten, wie Gemeindepräsidentin Muriel Jeanneret sagt: «Wir sind uns bewusst, dass wir als kleine Gemeinde wenig Gewicht haben, aber wir haben zumindest versucht, uns Gehör zu verschaffen.»
Im Dorf ist man überzeugt, dass die Kontakte zum lokalen Raiffeisen-Chef halfen, dass die Bank ihren Automaten Ende 2024 wieder eröffnete. Mit neuen Sicherheitsmassnahmen, wie ein Anschlag an der Tür mitteilt. Dazu zählen Farbpatronen, die die Noten bei einer Sprengstoffattacke einfärben.
Trotzdem sind die Sorgen im Dorf geblieben. «Die Angst vor Bancomat-Sprengern ist gross», sagt ein Händler. «Wäre eine Bank nach dem dritten Angriff im Dorf noch bereit, wieder einen Automaten zu eröffnen?», fragt sich auch die Verkäuferin in der Bäckerei.
In städtischen Regionen ist es kaum mehr vorstellbar, dass ein Geschäft nur Bargeld akzeptiert. Dort mehren sich im Gegenteil Läden, die einzig Twint und Karte annehmen. Der Trend ist klar: Der Anteil der Barzahlungen in Geschäften fiel von 52 Prozent 2019 auf 28 Prozent 2025. Das zeigt die jüngste Auflage des Swiss Payment Monitor. Muss die Politik reagieren?
Mit dieser Frage befasst sich am Mittwoch der Nationalrat. Er berät eine Volksinitiative der Freiheitlichen Bewegung Schweiz. Sie will zwei Prinzipien in der Verfassung verankern: Einerseits soll der Bund die Versorgung mit genügend Münzen und Banknoten stets sicherstellen müssen. Andererseits soll ein Ersatz des Schweizer Frankens durch eine andere Währung zwingend vors Volk kommen. Die Initianten wollen nicht, dass Bitcoins dereinst den Fünfliber ablösen.
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, legt dem Parlament aber einen direkten Gegenentwurf vor, der aus zwei Sätzen besteht: «Die schweizerische Währung ist der Franken. Die Schweizerische Nationalbank gewährleistet die Bargeldversorgung.»
In der Praxis ändern dürfte das erst einmal wenig. Anders wäre das bei einer zweiten Initiative gleicher Urheberschaft gewesen. Sie forderte eine Bargeld-Annahme-Pflicht für Geschäfte und eine Mindestdichte an Bancomaten, scheiterte jedoch im Sammelstadium.
In La Brévine ist die Gemeindepräsidentin froh über politische Schritte, um den Status des Bargelds zu stärken: «Für die lokale Wirtschaft ist es wichtig, dass ihr Umsatz nicht zu Kartenanbietern abfliesst», sagt Jeanneret.
Auch Hoteldirektor Oppliger stört sich an den Gebühren für Kartentransaktionen. Je nach Anbieter handelt es sich um eine Kommission von knapp 2 Prozent oder einen Fixbetrag. Oppliger überlegt sich, künftig Gästen, die mit Bargeld bezahlen, einen Rabatt zu gewähren. Er sucht im Austausch mit lokalen Geschäften nach Lösungen, um Bargeld attraktiver zu machen – und «unsere Existenz» zu sichern.
Natürlich kann man fordern, dass der Bankomat bleibt, der Bäcker könnte sich auch einfach dazu entschliessen auch andere Zahlungsmethoden wie Karte, Twint etc. anzubieten, Problem gelöst. Wenn der Bäcker lieber schliesst als sich der Realität anzupassen, dann ist das halt so...
Es sollte meines Erachtens freie Wahl bestehen. Wenn Bargeld verboten wird, würde eine Ersatzwährung entstehen. Das ist gut so.
Kürzlich war ich in einem Restaurant und es hiess nur Kartenzahlung möglich. Doch Trinkgeld würden sie bar nehmen....
Es gab dann leider kein Trinkgeld.