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ÖV gegen Velo: Gestritten wird nicht mehr ums Auto

Velofahrer fahren auf ihren Raedern an der bewilligten Stadtrundfahrt, die in frueheren Jahren unter der Parole ?Mehr Platz fuer's Velo? und ?Ride for your rights? stattfand, durch die Innenstadt ...
Velofahrende fordern sichere Verkehrswege in Zürich.Bild: keystone

Städte wollen Autos verbannen – doch der neuste Streit bahnt sich zwischen ÖV und Velo an

Das Auto ist in der Schweiz ungebrochen beliebt. Anders sieht es in den Städten aus. Sie schalten beim Kampf gegen die privaten Pkw einen Gang höher. Doch funktioniert diese Politik auch – und auf wessen Kosten geht sie?
09.09.2024, 10:3509.09.2024, 10:41
Stefan Ehrbar / ch media
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Mit dem Slogan «Autos machen glücklich» wirbt derzeit ein Anbieter von Auto-Abos um Kundinnen und Kunden in der Schweiz. Die scheinen es gleich zu sehen: Mit fast 4,8 Millionen Personenwagen wurden zuletzt so viele Autos gezählt wie noch nie. Innert zehn Jahren sind fast eine halbe Million hinzugekommen. Doch in den Städten stösst die Blechkarawane zunehmend auf Widerstand. Die Politik setzt Massnahmen wie Tempo 30 oder den Abbau von Parkplätzen durch.

Einerseits bleibt den urbanen Zentren nichts anderes übrig. Die Lärmbelastung vieler Einwohnerinnen und Einwohner, deren Wohnungen an Strassen angrenzen, ist zu hoch und muss gesenkt werden, das schreibt das Bundesrecht vor. Tempo 30 an viel befahrenen Strassen ist oft die einzige Möglichkeit.

Doch Städte wie Zürich, Basel oder Bern führen auch andere Argumente ins Feld für die Umverteilung des Strassenraums zugunsten von ÖV, Velo und Fussgängern. Etwa, dass Autos klimaschädlicher sind. Das gilt nicht nur für Benziner, sondern in weniger drastischem Umfang auch für Elektroautos, denn auch deren Produktion ist sehr emissionsreich. Autos verursachten aber auch mehr Unfälle mit schwereren Folgen, lautet ein anderes Argument.

Autos brauchen viel Platz

Hinzu kommt: Autos benötigen viel Platz, der in den Städten knapp ist. Dass das Auto in dieser Hinsicht ineffizient ist, belegt eine neue Studie im Auftrag des Bundesamts für Strassen (Astra). Forschende haben für verschiedene Strassen berechnet, wie viel Fläche pro transportierte Person einzelne Verkehrsmittel in der abendlichen Spitzenstunde benötigen.

Auf der Basler Feldbergstrasse verbraucht ein Buspassagier durchschnittlich 60 Quadratmeter. Velofahrende kommen auf 125 Quadratmeter, Autofahrende auf 250 Quadratmeter. Auf der Basler Wettsteinbrücke schnitt das Velo mit 64 Quadratmeter besser ab als das Tram mit 192, doch auch hier schwang das private Auto mit 308 Quadratmetern weit obenaus.

Auf einer Hauptstrasse im aargauischen Frick kamen das Velo und der Bus auf gleich viel benötigte Fläche pro Person, das Auto hingegen nahm über siebenmal so viel Fläche in Anspruch. Der ÖV schneidet in der Studie tendenziell etwas zu schlecht ab, weil Nachfragedaten von Anfang 2022 verwendet wurden, als die Auslastung im Nachgang der Coronakrise tiefer war als heute.

Auf das Flächen-Argument verwiesen auch die Verantwortlichen der Stadt Zürich, als sie im Juli ihre neue Strategie «Stadtraum und Mobilität» vorstellten. Diese hat das Ziel, den Autoverkehr bis 2030 um weitere 30 Prozent zu reduzieren. Der Fuss- und Veloverkehr sowie der ÖV sollen dann auf einen Anteil von 85 Prozent kommen. Um das Ziel zu erreichen, ist ein Bündel von Massnahmen geplant.

  • Oberirdische Parkplätze sollen abgebaut werden, Veloparkplätze ausgebaut.
  • Auf den meisten Strassen soll Tempo 20 oder Tempo 30 signalisiert werden.
  • Parkplätze sollen «lenkungswirksam bewirtschaftet werden» – eine Umschreibung für höhere Tarife.
  • Der ÖV, der Fuss- und Veloverkehr sollen priorisiert werden.

Zudem hat die Stadt vergangenes Jahr die Einführung des «Bieler Modell» angekündigt. Dieses sieht vor, dass die vergleichsweise billigen Anwohnerparkkarten für die blaue Zone nur noch ausgestellt werden, wenn keine Möglichkeit besteht, einen privaten Parkplatz zu nutzen.

Auto parkieren verboten
Parkieren mit dem Auto wird in vielen Städten schwieriger – und teurer.Bild: Keystone

Zürich steht nicht alleine da. In Basel werden die Gebühren für Parkkarten ab dem nächsten Jahr abhängig von der Grösse der Autos gestaltet. Wer sich in der Stadt ein SUV leistet und dieses auf öffentlichem Grund abstellen will, muss mehr bezahlen. Die Parkkarten werden 2025 erstmals teurer, 2027 folgt eine weitere Erhöhung. Eine Jahresparkkarte für Autos mit einer Länge von unter 3,9 Metern kostet dann 380 Franken, für Autos mit über 4,9 Metern Länge werden 740 Franken fällig. Der aktuelle Preis liegt bei 284 Franken.

In den vergangenen Jahren sind in Basel bereits Hunderte von Parkplätzen in der blauen Zone abgebaut worden. Das Ziel des Regierungsrats: Autos sollen künftig in privaten Tiefgaragen parkiert werden statt oberirdisch auf öffentlichem Grund. Dadurch würden Flächen frei. Diese könnten für mehr Pflanzen oder neue Velowege genutzt werden, hielt der Regierungsrat im Juni fest.

Sowieso hat das Velofahren in der jüngeren Vergangenheit eine hohe mediale Aufmerksamkeit erhalten. Lobbygruppen wie Pro Velo beklagen regelmässig, dass die Schweizer Velo-Infrastruktur jener von Vorbildern wie den Niederlanden weit hinterherhinke.

Laute Kritik an Velo-Infrastruktur

Dabei hat sich praktisch jede grössere Stadt die Veloförderung auf die Fahne geschrieben. Als Velo-Hauptstadt vermarktet sich etwa Bern. Die Bundesstadt hat schon 2016 das Ziel verkündet, den Anteil des Velos am Gesamtverkehr bis 2030 auf mindestens 20 Prozent zu steigern. Dafür setzt Bern in vielen Fällen auf durchgehende und breite Velostreifen, die wenn möglich vom übrigen Verkehr baulich abgetrennt sind.

Zudem hat die Stadt neue Veloabstellplätze etwa beim Bahnhof geschaffen, den Velo- und Fussverkehr an vielen Tram- und Bushaltestellen von der Wartezone separiert und ein städtisches Veloverleih-System aufgebaut. Die Veloförderung bedeutete in der Vergangenheit auch, dass der Autoverkehr Fläche abgeben musste – unter lautem Protest der Autolobby, aber ohne dass sich etwa die Stausituation deshalb merklich verschlechtert hätte.

Verstummt ist die Kritik an der Velo-Infrastruktur aber nicht. Denn noch immer enden viele Velowege abrupt, sind zu schmal und nicht vom Autoverkehr abgetrennt oder inexistent. Das gilt nicht nur für Bern. In Zürich fahren selbst auf den neuesten Velo-Vorzugsrouten noch Autos.

Grüne gegen das Tram

Die Gründe für die Velo-Misere sind vielfältig. So scheitern Städte oft an rechtlichen Hürden. Zürich etwa darf auf Strassen von kantonaler Bedeutung keine Kapazitäten für den Autoverkehr abbauen, indem Spuren gestrichen und in Velowege umgewandelt werden.

Velo-Projekte scheitern aber auch an Rekursen oder werden durch diese jahrelang verzögert. Zwar stellt sich die Stimmbevölkerung in den Städten in Abstimmungen immer wieder hinter eine Verkehrspolitik zugunsten des Velos. Wenn aber in der eigenen Quartierstrasse Parkplätze abgebaut werden sollen, hagelt es trotzdem Einsprachen.

Neu hinzugekommen ist ein Konflikt zwischen jenen, die den ÖV fördern wollen, und jenen, die die Velo-Infrastruktur ausbauen wollen. Früher sahen linke und grüne Politikerinnen und Politiker darin keinen Widerspruch. Das hat sich punktuell geändert. In Bern wollen die Grüne Freie Liste (GFL) und Vertreter von Pro Velo das Tram ins Fischermätteli durch Busse ersetzen. Diese könnten Velos besser ausweichen, sagt GFL-Politiker Michael Ruefer im Gespräch mit dem «Bund».

Weniger Autos als in Kopenhagen

In Zürich bekämpft der links-grüne Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) das geplante Tram in den Stadtteil Affoltern. In seinem Mitgliederheft ärgert er sich etwa darüber, dass keine abgetrennten Velowege vorgesehen sind. Die Stadtzürcher Verkehrsdirektorin Simone Brander (SP) liess in den vergangenen Jahren auf vielen Strassen Eigentrasses für Bus und Tram abbauen, um Velospuren zu ermöglichen. Zwar räumt die Stadtregierung ein, dass dies teils zu einer «Destabilisierung» des ÖV geführt habe. Es bestehe die Gefahr, dass er an Attraktivität verliere. Doch eigene Spuren für Bus und Tram stünden nun mal «in Flächenkonkurrenz zu anderen berechtigten Anforderungen wie dem Veloverkehr».

Allerdings sollte Veloförderung kein Selbstzweck sein. Das Velofahren ist weder per se flächeneffizienter als der ÖV noch gesünder, da ÖV-Nutzung fast immer mit Bewegung zu Fuss einhergeht und weniger Unfälle verursacht. Entscheidend ist viel eher, wie hoch der Anteil der umweltfreundlichen Verkehrsmittel zusammen ist, der sogenannte Umweltverbund aus ÖV, dem Velo und zu Fuss gehen.

In der Stadt Zürich kam er im Jahr 2015 – dem Jahr der letzten Erhebung, die nicht von Corona beeinflusst war – auf 75 Prozent Anteil an den Wegen, in Bern auf 70 Prozent, in Basel auf 68 Prozent. Selbst in von der Velolobby als Vorbilder genannten Städten wie Amsterdam oder Kopenhagen ist dieser Anteil tiefer – weil dort zwar mehr Velo gefahren wird, aber auch öfter Auto.

Modalsplit in den Städten Anteil Verkehrsmittel an Wegen mit Start oder Ziel im Stadtgebiet in Prozent, 2015
Bild: chmedia

In Kopenhagen legen die Einwohnerinnen und Einwohner derzeit etwa 31 Prozent der Wege mit dem Auto zurück. Zum Vergleich: Schon 2015 waren es in Zürich nur 21 Prozent, in Bern und Basel je 22 Prozent. In der dänischen Hauptstadt sank die Zahl der Velofahrerinnen und -fahrer zuletzt sogar – was die Umweltbürgermeisterin in einem Interview mit der FAS auf den Ausbau der U-Bahn zurückführte.

Ein gut ausgebauter ÖV sorgt für weniger Velofahrerinnen und Velofahrer. Umgekehrt steigen mehr Menschen vom ÖV auf das Velo um, wenn die Veloinfrastruktur besser wird. Während viele Städte in Skandinavien in den vergangenen Jahrzehnten das Velo förderten, setzen Schweizer Städte traditionell stärker auf den ÖV.

Dafür gibt es ebenfalls gute Gründe. Der Verkehr in Städten besteht nicht nur aus den Bewegungen der einheimischen Bevölkerung, sondern auch aus jenen der Menschen von ausserhalb. Diese lassen bei einem gut ausgebauten ÖV schneller ihr Auto stehen, als dass sie aufs Velo wechseln. Hinzu kommt, dass das Potenzial des Velos begrenzt ist. Viele bevorzugen den ÖV, weil sie dort mit anderen reden oder ihr Handy nutzen können. Eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen kann aus körperlichen Gründen zudem nicht Velo fahren.

Die Städte stehen vor der Aufgabe, den Anteil des ÖV zu halten oder zu steigern und das Velofahren attraktiver zu machen. Angesichts von knappen Platzverhältnissen wird es Kompromisse brauchen. Um Mehrheiten in den Städten zu finden, dürften diese künftig wohl noch stärker auf die Kosten des Autos gehen.

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351 Kommentare
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Garp
09.09.2024 11:11registriert August 2018
Das Tram verdrängen zu wollen, ist völlig stupid.
Das Velo kann dem Tram ausweichen und nicht der Bus oder das Tram muss dem Velo ausweichen. Tram fahren ist viel angenehmer als Bus fahren.
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Alnothur
09.09.2024 10:55registriert April 2014
«In Bern wollen die Grüne Freie Liste (GFL) und Vertreter von Pro Velo das Tram ins Fischermätteli durch Busse ersetzen. Diese könnten Velos besser ausweichen»

Ah ja. Weil die Velofahrer zu arrogant und dumm sind, um selbst entweder auszuweichen, oder gar nicht erst in die Situation zu geraden, ausweichen zu müssen?
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John Henry Eden
09.09.2024 11:33registriert Januar 2014
Ein Schönwetterverkehrsnetz ist einfach nur dumm. An einem windigen und nasskalten Tag ist die Anzahl der Velofahrer in Bern, Basel und Zürich überschaubar. Ist das Wetter eine Woche lang so schlecht, sieht man praktisch gar keine Velofahrer mehr. Ein Verkehrsnetz muss aber so aufgebaut sein, dass es bei miesem Wetter funktioniert, dann klappt es nämlich auch bei heiter Sonnenschein.

Es spielt somit keine Rolle, dass bei gutem Wetter viele Leute auf ihrem Drahtesel unterwegs sein wollen. Diese launische Masse ist instabil. Ein Verkehrsnetz muss jedoch an 365 Tagen im Jahr funktionieren.
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