Die Berner Kantonspolizei hat einen grossen und komplexen Fall von Menschenhandel mit 146 Opfern aufgedeckt. Der Fall soll demnächst zur Anklage kommen. Politik und Justiz nutzten am Montag die Gelegenheit, Forderungen für eine griffigere gesetzliche Grundlage und Lockerungen im Datenaustausch aufzustellen.
Wie die Behörden am Montag erklärten, wird gegen fünf Personen ermittelt. Die Vorwürfe sind schwer: Ihnen wird vorgeworfen, chinesische Frauen in die Schweiz gelockt zu haben, um sie für Sexarbeit auszubeuten.
Die Frauen wurden in Privatwohnungen untergebracht, die sie kaum je verlassen haben. Ihr Entgelt mussten sie zur Hälfte an die mutmasslichen Täter abgeben. Mit dem ihnen verbleibenden Geld mussten sie Schulden bei den mutmasslichen Tätern abtragen und für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Die Verhandlung über die Dienstleistungen der Frauen führten die Angeschuldigten.
Beim Informieren zum Fall sprachen die Behörden diverse Probleme an. Immer wieder würden Ermittlerinnen und Ermittler in solch komplexen Fällen an Grenzen stossen, vor allem an solche struktureller Art, betonte der bernische Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) vor den Medien. Er sprach insbesondere den strengen Datenschutz an. Oft sei der Datenaustausch mit ausländischen Behörden einfacher als über die Kantonsgrenze hinweg, kritisierte Müller.
«Wir legen uns selbst Steine in den Weg», führte Müller aus und forderte eine grundlegende Überarbeitung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es brauche mehr als Betroffenheit und Empörung, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Es brauche eine intensive Polizeiarbeit mit den nötigen Mitteln.
Ohne Unterstützung durch die Politik könne die Polizei ihre Aufgabe nicht machen, doppelte Christian Brenzikofer, Kommandant der Berner Kantonspolizei nach. Der nun aufgedeckte Fall zeige eindrücklich die Dimensionen eines komplexen, mehrjährigen Ermittlungsverfahrens im In- und Ausland auf.
Es sei eine grosse Herausforderung, Menschenhandel überhaupt erst zu erkennen, berichtete Reto Waldmeier, Chef Spezialfahndung 4 der Berner Kantonspolizei. Viele Oper trügen keine physischen Spuren oder würden von sich aus an die Polizei gelangen.
Letzteres habe verschiedene Gründe. So hätten die Opfer oftmals im Ausland eine noch schlimmere Behandlung erlebt als in der Schweiz oder sie verlören mit einer Anzeige ihre einzige Einnahmequelle, mit der sie ihre Familie in der Heimat unterstützen könnten. Auch fürchteten viele Repressalien durch ihre Drangsalierer.
Weil sich die Opfer oft nicht meldeten, seien behördliche Kontrollen umso wichtiger, um Menschenhandel auf die Spur zu kommen, sagte Schultz.
Die Generalstaatsanwältin wünschte sich jedoch auch eine griffigere Umschreibung des Tatbestandes des Menschenhandels im Strafgesetzbuch. Der bestehende Artikel lasse viel Raum zur Auslegung, was erheblichen Aufwand verursache.
Oft werde daher auf andere Tatbestände ausgewichen wie etwa jener der Förderung der Prostitution oder Wucher. Hier seien die Strafen allerdings weniger hart als beim Tatbestand des Menschenhandels. Auf Bundesebene sind aktuell mehrere Vorstösse in diese Richtung hängig.
Fälle von Menschenhandel sind hierzulande per se nicht neu. Seit 2008 kam es im Kanton Bern zu insgesamt 41 Verurteilungen wegen Menschenhandels, wie Generalstaatsanwältin Annatina Schultz ausführte. Mehrheitlich betrafen die Fälle sexuelle Ausbeutung, aber auch Ausbeutung von Arbeitskräften in anderen Branchen wie etwa der Landwirtschaft, auf dem Bau oder im Haushalt.
Der von der Berner Kantonspolizei aufgedeckte Menschenhandelsfall dürfte aber zu den grösseren im Land gehören. Konkretere Angaben zur Tat will die Justiz nach Anklageerhebung bekannt geben. Wann dies geschieht, ist derzeit noch offen.
(dab/sda)