Kürzlich verglich Litra, der Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr, die Billetpreise in sieben europäischen Ländern. Den ÖV in der Schweiz zu nutzen, sei weniger teuer, als oft behauptet werde - so lautete das Fazit. Im Abspann des Papiers stand: Unter den sieben Ländern habe die Schweiz den langsamsten öffentlichen Verkehr.
Viele Schweizerinnen und Schweizer sind stolz auf die SBB, weil deren Züge meistens pünktlich fahren und mit modernen Wagen bestückt sind. Vergessen geht dabei, wie langsam die Züge unterwegs sind. Die SBB sind eine Schnecken-Bahn. Auf manchen wichtigen Strecken liegt die durchschnittliche Geschwindigkeit bei 100 Kilometern pro Stunde – oder weniger:
Im europäischen Umland ist derweil ein Tempo von 300 Kilometern pro Stunde zur Norm geworden. Viele Hochgeschwindigkeitsstrecken sind gebaut worden, viele werden zurzeit erstellt oder geplant. In der Schweiz ist man hingegen mit Feinjustierungen beschäftigt.
Eine Geschwindigkeit von 200 erreichen die Züge zwischen Olten und Bern, im Lötschbergbasistunnel sowie auf der Alpentransversalen unter Gotthard und Monte Ceneri. Mehr Abschnitte mit hohem Tempo gibt es nicht.
In etwas über drei Stunden gelangt man mit der Bahn von Paris nach Marseille und von Mailand nach Rom. Für die viel kürzere Strecke von St.Gallen nach Genf sitzen die Passagiere hingegen fast vier Stunden im Zug.
Warum ist das so? Warum hat sich die Schweiz abhängen lassen? Warum gibt sich das reiche Land mit einer zweitklassigen Infrastruktur zufrieden?
Es gab vor 50 Jahren ein Projekt, das «Neue Haupttransversale» hiess. Ziel war eine möglichst schnelle Verbindung zwischen St.Gallen und Lausanne. 120 Kilometer Neubaustrecke waren vorgesehen. Der Bundesrat beerdigte schliesslich den Plan, wenig später präsentierte er die «Bahn 2000».
Im Vordergrund standen nicht mehr möglichst schnelle Verbindungen. Sondern ein enges Netz, das von einem Taktfahrplan zusammengehalten wird. Zwischen Zürich, Basel und Bern dauert die Fahrt je eine Stunde; wer danach umsteigen will, hat nicht lange zu warten.
Das Bundesamt für Verkehr betont, dass die Schweiz über ein sehr dichtes und verlässliches und vor allem flächendeckendes ÖV-Netz verfüge. Sicher richtig ist: Es gibt anders als im Ausland keine Regionen, die von öffentlichen Verkehrsmitteln nur sporadisch aufgesucht werden.
Das erklärt aber nicht, warum die Züge der SBB zwischen den grossen Städten gemächlich herumgondeln. Das Bundesamt für Verkehr führt hier politische Gründe an: Wäre die Bahn so schnell unterwegs wie im Ausland, käme es zu «zusätzlichem Verkehr.» Das heisst: Die Menschen würden längere Pendlersdistanzen zurücklegen. Dies fördere die Zersiedelung und den Energieverbrauch, schreibt das Bundesamt. Darum seien «weitere, generelle Beschleunigungen und Schnellfahrstrecken weder sinnvoll noch umsetzbar.»
Vor drei Monaten wurde ein Verein gegründet, dessen Mitglieder mit solchen Argumenten wenig anfangen können. Er heisst Swissrailvolution und hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Schweiz zu schnelleren Bahnverbindungen kommt. Mehrere Verkehrsexperten machen mit.
Einer von ihnen ist Guido Schoch. Der frühere Chef der Südostbahn und der Verkehrsbetriebe Zürich ist alles andere als ein Autolobbyist, hält aber fest:
Man ist also im Auto schneller unterwegs. Schoch findet darum, dass es gut wäre, wenn die SBB nicht nur auf drei Streckenabschnitten mit Tempo 200 fahren könnten. Dafür sei der Bau neuer Bahnstrecken nötig.
Der Anteil des Personenverkehrs, der in der Schweiz im ÖV zurückgelegt wird, stagniert in der Schweiz seit Jahren bei rund 20 Prozent. Im vergangenen Juni gab der Bund bekannt, dass der Anteil bis im Jahr 2050 auf 42 Prozent gesteigert werden soll. Guido Schoch erklärt, dass es ihm schleierhaft sei, wie der Bund die Verdoppelung schaffen wolle. Es fehle ein überzeugender Plan. «Man sollte bei der Geschwindigkeit ansetzen. Entscheidend ist die Reisezeit von Tür zu Tür. Wenn sie dank schnellen ÖV-Verbindungen sinkt, werden auch mehr Menschen die Bahn nutzen. Sonst baut der Bund weiterhin mit viel Geld an Luftschlössern.»
Hört man sich in den Verkehrskommissionen des Bundesparlaments um, heisst es: Neubaustrecken seien schwierig, weil jeder Politiker auf seine Region achte. Eine Bahn, die mit hoher Geschwindigkeit verkehre, halte nicht an vielen Bahnhöfen. Wie erklärt man es der Wählerschaft im eigenen Kanton, dass Geld gebraucht wird für einen Zug, der durch die Region braust, aber dabei keinen Stopp einlegt?
Und Neubaustrecken sind teuer. Vor allem in einem Land, das dicht besiedelt und bergig ist. Es wären viele Tunnels nötig, betonen Verkehrspolitiker.
Das war in Italien allerdings auch so. In der Po-Ebene ein Hochgeschwindigkeitstrassee zu errichten, ist keine Kunst. Nach Bologna kommt aber der Apennin. Bis Florenz entstanden neue Tunnels auf einer Länge von 78 Kilometern. Die Politiker wollten die schnelle Bahnverbindung zwischen Mailand und Rom, darum wurde sie gebaut.
Und in der Schweiz? Bis im Jahr 2035 steht vielleicht der Brüttener Tunnel zwischen Zürich und Winterthur. Reduktion der Fahrzeit: fünf Minuten. Und vielleicht ein neuer Zimmerbergtunnel zwischen Zürich und Luzern. Reduktion der Fahrzeit: fünf Minuten. Und es sind Verbesserungen zwischen Bern und Lausanne geplant. Reduktion der Fahrzeit: fünf Minuten.
Es gibt Experten, die sagen: Eine längere Strecke neu zu bauen, koste auf längere Sicht weniger, als am bestehenden Netz herumzuflicken. Sie scheinen aber kein Gehör zu finden. Die Schweiz baut Anschlüsse ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz. Sie ist aber kein Teil davon.
Dafür wird die Fahrzeit zwischen Neuenburg und La-Chaux-de-Fonds dank hohen Investitionen glatt halbiert bis 2035. Und auch zwischen Bulle und Romont, im Prättigau sowie im Leimental sei man bald schneller unterwegs, teilt das Bundesamt für Verkehr mit.
Verglichen mit St. Gallen-Genf würde das heissen, dass der IC1 noch in Zürich und Lausanne halten würde, Bern, Winti, Fribourg, … hätten halt Pech gehabt und wären über irgendwelche Nebenbahnen erschlossen, damit die Hauptstrecke für den 300km/h IC1 frei bleibt.
Da ist mir unser gut getaktetes Netz doch lieber, auch wenn die Durchschnittstempi geringer sind.
Wer jedoch von z. B. Orleans nach Vichy in Frankreich fahren will mit dem Zug darf 3 mal umsteigen und jedesmal etwa 60 Minuten warten. Vielleicht ist man etwas schneller wenn man via Paris reist.
Dasselbe Spiel in Italien, und in Deutschland muss man Angst haben den Anschluss zu verpassen da gefühlt jeder zweite Zug Verspätung hat.
Dann lieber etwas langsamer unterwegs sein und dafür schnell umsteigen.