Seit Dezember 2016 gibt es eine Konstante, wenn National- und Ständerat jeweils viermal jährlich zu ihrer dreiwöchigen Session zusammenkommen: die «Strichli-Liste». In jeder Session des Parlaments reichte SVP-Haudegen Toni Brunner den gleichen Vorstoss ein. Stets mit den gleichen Titeln, den gleichen Fragen, dem gleichen Seitenhieb gegen politische Gegner. Als Brunner nicht mehr im Bundeshaus sass, führte Fraktionschef Thomas Aeschi sein Erbe fort.
Was sich wie eine witzige Anekdote anhört, ist politischer Ernst. Die SVP wollte vom Bundesrat jeweils wissen, wie viele kriminelle Ausländer ausgeschafft und wie viele ausgesprochene Landesverweisungen effektiv vollzogen worden sind. Und auch die bundesrätliche Antwort war stets – von aktualisierten Daten natürlich abgesehen – mehr oder weniger die gleiche: Es gebe keine nationalen Zahlen.
Jetzt, nach 26 Anfragen, hat der Bundesrat am Dienstag endlich den Schleier gelüftet und die «Strichli-Liste» veröffentlicht. Für 2023 kann das federführende Staatssekretariat für Migration (SEM) zum ersten Mal eine Statistik ausweisen. Möglich sei dies, weil die Kantone die Zahlen systematisch erfasst hätten, frohlockt das SEM. Es erfülle damit auch politische Vorstösse, etwa jenen von Felix Müri aus dem Jahr 2013. Schade, sitzt der Luzerner SVP-Nationalrat seit fünf Jahren gar nicht mehr im Parlament.
Die Statistik zeigt nun: Schweizer Gerichte haben vergangenes Jahr bei 2250 Personen einen Landesverweis angeordnet. In der Regel handelt es sich um Männer zwischen 18 und 54 Jahren. Sie haben möglicherweise einen Mord oder eine Vergewaltigung begangen, wurden wegen schweren Drogenhandels oder schwerer Körperverletzung verurteilt. Alle diese Delikte ziehen einen automatischen Landesverweis nach sich.
Aufgeschlüsselt hat das SEM auch, in welche Länder die kriminellen Ausländer ausgeschafft werden. Dabei stechen zwei Staaten heraus: 2023 sprachen die Gerichte gegen 306 Albaner und 292 Algerier einen Landesverweis aus. Mit einem Anteil von jeweils 13 Prozent an allen Ausschaffungen führen diese beiden Nationalitäten die Rangliste an. Dahinter folgt mit Rumänien das erste EU-Land. Allerdings machen EU-Bürger nur einen Drittel an allen Landesverweisen aus.
Zahlen legt das SEM auch zur Vollzugquote vor. Von den 2250 Personen, bei denen ein Landesverweis angeordnet wurde, haben bis Ende 2023 knapp 70 Prozent die Schweiz verlassen. Die Quote dürfte laut Bund noch weiter steigen. Das SEM verweist auf die Zahlen im ersten Quartal 2023. Bei den in diesen drei Monaten angeordneten Landesverweisen liege die Vollzugsquote bei 87,1 Prozent. Der Grund: Ein Teil der Ausschaffungen erfolgt erst 2024.
Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen einzelnen Herkunftsländern. Während in europäische Staaten relativ verlässlich ausgeschafft wird, liegt die Vollzugsquote bei Drittstaaten tiefer. Bei Algerien und Marokko ist es gar nur jede zweite Person.
Es ist kein Zufall, dass der Bund darum bemüht ist, dass möglichst viele Landesverweise vollzogen werden. Schliesslich entzündete sich daran die politische Debatte. Zwar sagt die Statistik des SEM nichts darüber aus, in wie vielen Fällen die Härtefallklausel zur Anwendung kam. Doch für die SVP war sie der Stein des Anstosses.
Die Härtefallklausel fügte das Parlament bei der Umsetzung der SVP-Ausschaffungsinitiative ins Gesetz ein. Die Gerichte können demnach «ausnahmsweise» auf die Wegweisung eines straffälligen Ausländers verzichten. Nämlich dann, wenn die Ausweisung für den Betroffenen einen schweren persönlichen Härtefall darstellt und die öffentlichen Interessen an der Ausschaffung nicht überwiegen.
Die SVP monierte, die Richter fänden mit der Härtefallklausel weiterhin immer eine Begründung, Straftäter nicht aus der Schweiz auszuweisen. Die Partei lancierte deshalb die Durchsetzungsinitiative, die einen Automatismus bei Ausweisungen in der Verfassung verankern wollte. Doch das Volksbegehren stürzte im Februar 2016 an der Urne ab.
Zum Ärger der SVP. Sie zweifelt seither daran, dass die Ausschaffungsinitiative tatsächlich «pfefferscharf» umgesetzt wird – wie es der damalige Aargauer FDP-Ständerat Philipp Müller versprach. An der generellen Kritik hat sich bis heute nichts geändert. «Die Härtefallklausel wird zu oft angewandt, weil die Gerichte zu milde urteilen», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi.
Müller habe bei der Umsetzung von 4000 Ausschaffungen gesprochen. Jetzt sei es die Hälfte, obwohl die Zahl der schweren Gewaltdelikte in der Schweiz so hoch sei wie noch nie. Ohnehin ist der Zuger Nationalrat nicht gut auf die neuen Zahlen des SEM zu sprechen. Es habe zehn Jahre gedauert und nun lege der Bundesrat eine «dürre Statistik» vor – ohne Informationen zur Härtefallklausel, zu den einzelnen Kantonen und zur Dauer der Landesverweise. «Das gleicht einer Arbeitsverweigerung.»
Doch mit Zahlen ist es so eine Sache. Im Abstimmungsbüchlein zur Ausschaffungsinitiative schrieb die SVP einst: «Bei einem Ja zur Initiative kann mit rund 1500 Ausschaffungen pro Jahr gerechnet werden.»
Dabei scheint er sich sehr davor zu fürchten, immerhin tut er ja alles Menschenmögliche seine Immunität geltend zu machen.
Dabei muss er ja nicht mal eine Ausschaffung fürchten...