Er kann es nicht lassen. Auch beim letzten Besuch in seinem Landgasthof oberhalb von Ebnat-Kappel servierte Toni Brunnerdiesen Schnaps. «Enzian», sagt er und schwenkt die Flasche. «Nur für die speziellen Gäste.» Ich weiss bis heute nicht, ob mit speziell die ungeliebten Gäste gemeint sind. Denn dieser Schnapps ist eher ein Grund, das Haus zu meiden.
Kurze Zeit darauf betritt Brunners Freundin Esther Friedli das Hinterzimmer im «Haus der Freiheit». Sie sieht das volle Gläschen vor Brunner und mahnt: «Du solltest nicht. Verträgt sich nicht mit den Medikamenten.» Brunner erklärt, die letzten zwei Tage mit Fieber im Bett verbracht zu haben und entgegnet seiner Freundin. «Schatz, mich haut so schnell nichts um.»
Sie sagten, Sie hätten etwas Wichtiges zu vermelden.
Toni Brunner: Wichtig wäre mir ein Ja zur Selbstbestimmungsinitiative. Und das andere, das ist nicht so wichtig, höchstens neu. Also, ich bin jetzt 23 Jahre im Nationalrat. Heute Samstag wird der Nationalratspräsident mein Rücktrittschreiben erhalten.
Wie bitte?
Ich trete auf Ende Jahr als Nationalrat zurück. Ich habe es gesehen. Meine schönste Zeit mit dem Amt als SVP-Präsident habe ich hinter mir. Irgendwann wird auch der Politbetrieb in Bern repetitiv. Ausserdem habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens in Bundesbern verbracht. Neben der Politik ist meine Familie, mein Bauernhof und der Landgasthof, immer etwas zu kurz gekommen. Ich werde nun meine letzte Session in Angriff nehmen. Damit schliesst sich der Kreis.
Die Dezembersession 1995 war Ihre erste als Nationalrat.
Ja, das kam für mich als damals 21-Jähriger ziemlich überraschend. Das war wie ein Sprung ins Haifischbecken. Ich war ein kleiner Fisch und musste darauf achten, dass ich nicht schon früh lädiert wurde und blutete, sonst hätte man mich aufgefressen. Ich habe zurückblickend, viel mehr erlebt, als ich mir je erträumt habe. Aber jetzt ist genug. Ich sagte immer, solange Enthusiasmus und Leidenschaft vorhanden sind, solange bin ich mit Herzblut dabei. In dieser Hinsicht bin ich radikal. Deshalb mache ich jetzt den Schnitt.
Ich hätte eher damit gerechnet, dass Sie ob der schwierigen Phase, in der die SVP steckt, auf die Kommandobrücke zurückkehren.
Die Kommandobrücke ist besetzt, dort war ich einmal. Mein Abgang von der politischen Bühne ist kein Schnellschuss, sondern ein logischer Schritt. Nach meinem Rücktritt als SVP-Präsident war für mich selbstverständlich, dass ich den neuen Kräften helfe, Fuss zu fassen. Aber nun hat sich alles eingespielt. Diese Aufgabe ist erledigt. Zudem habe ich überlegt: Zöge ich die Legislatur durch, müsste meine Partei in St.Gallen bei den Parlamentswahlen im nächsten Herbst mit einem Bisherigen weniger antreten, was zu einem Sitzverlust führen könnte. Also mache ich lieber Platz für einen Jungen.
Nach ihrem Rücktritt als Parteipräsident hat die SVP ihren Siegernimbus eingebüsst. Fühlen Sie sich nicht in der Pflicht, die Partei wieder auf den Erfolgskurs zu führen?
Man soll sich selbst niemals überschätzen. Natürlich kann man seinen Beitrag leisten, aber ein einzelner kann das Ruder nicht herumreissen. Zudem sehe ich gar keinen Bedarf. Schliesslich sind wir auf höchstem Niveau. Müssen wir kleinste Einbussen verzeichnen, wird dies sofort als Niederlage ausgelegt, obwohl wir mit Abstand die stärkste Partei sind. Wollen wir deshalb von einem Tief reden? Ich glaube nein. Zudem bin ich kein Freund von jenen, die glauben unverzichtbar zu sein und ihren Nachfolgern ständig dreinreden zu müssen, wie beispielsweise alt Präsident Philipp Müller, der es nicht lassen konnte, der neuen Präsidentin Petra Gössi ständig dazwischen zu funken. Die SVP hat so viele Exklusivpositionen, weshalb ich keinen Einbruch befürchte. Ich frage: Dank wem wird der UNO-Migrationspakt nicht unterschrieben. Dank uns, dank der SVP.
Er wird vorläufig nicht unterschrieben. Item. Der SVP fehlt der Brunner-Faktor. Keiner der führenden Köpfe dieser Partei hat diese gewinnende, volksnahe und authentische Art wie Sie.
Jeder hat seine eigene Ausstrahlung. Was ich generell in der Politik vermisse, ist die Authentizität. Ich kam so jung in die Politik, dass gar keine Zeit blieb, um mir eine Rolle zurechtzulegen. Ich habe gar nie gelernt, mich diplomatisch auszudrücken. Redete, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Der SVP werde ich ewig verbunden sein. Denn ich weiss, wie viel ich dieser Partei zu verdanken habe und ich weiss auch, welchen Menschen in der SVP ich speziell viel zu verdanken habe. Herausragend dabei sind Christoph Blocher und Hans Uhlmann, weil sie mich von Beginn an begleitet haben, wir die ganze Bandbreite der Emotionen zusammen durchlebt haben.
Wie haben Christoph Blocher und andere, langjährige Weggefährten auf Ihren Rücktritt reagiert?
Der Kreis der Eingeweihten ist sehr klein. Auch für Mike Egger, der meinen Platz im Nationalrat erben wird, ist mein Rücktritt neu. Schön in der SVP war und ist, man hat sich immer respektiert nach dem Motto: Leben und leben lassen. Sie müssen sich vorstellen: Auf der einen Seite der erfolgreichste Unternehmer der Schweiz und auf der anderen Seite der 21-jährige Bauernbub aus dem Toggenburg. Aber da war nie eine Barriere zwischen uns. Christoph Blocher hat mich nie spüren lassen, dass er etwas Besseres wäre.
Trotzdem: Wie schwierig war es für Sie, dem mächtigen Christoph Blocher den Wunsch abzusprechen, als Bundesrat zu kandidieren?
Unser Verhältnis ist so unverkrampft, dass meine Entscheidung keinen speziellen Mut erforderte. Ich musste nicht lange überlegen.
Hatten Sie zu viel Respekt vor dem Bundesratsamt oder Angst vor einer Wahlniederlage?
Nein. Es kam schlicht nie in Frage. Viel eher habe ich mich auf die unberechenbare Politik eingestellt. Deshalb habe ich mit dem Bauernhof und dem kleinen Landgasthof parallel zur Politik ein berufliches Standbein aufgebaut. Die letzten 23 Jahre war ich sozusagen ein Pendler zwischen zwei Welten. Ab nach Bern, widerwillig eine Krawatte umbinden…
… die Sie sich selbst gebunden haben?
Nein, am Anfang half mir mein politischer Götti Hans Uhlmann (lacht). Bern war für mich erträglich, weil ich mich auch immer wieder ins Toggenburg zurückziehen konnte. Wer sich ein Leben als Berufspolitiker nicht vorstellen kann, sollte nicht Bundesrat werden.
Gab es nie eine Verlockung?
Nein. Exekutivämter haben mich nie gereizt. Ich wurde auch mehrmals für den St. Galler Regierungsrat gefragt.
Warum nicht? Ist doch ein toller Job. Gutes Gehalt, Dienstwagen mit Chauffeur …
… Genau deshalb. Das sind eher Dinge, die mich abschrecken. Denn ich habe viele Politiker gesehen, die abgehoben sind, sobald sie in der Limousine hinten eingestiegen sind. Am meisten Mühe bereiteten mir in der SVP sowieso die Exekutivpolitiker. Je mehr Regierungsräte und Bundesräte, desto mehr Sorgenkinder.
Was macht es mit einem Politiker, wenn er in die Exekutive wechselt?
Einige von ihnen haben vorher in ihrem Leben noch nie selber Löhne bezahlt oder ein Geschäft geführt, lassen sich dann aber im Tesla durch die Gegend chauffieren. Mit Verlaub: Diese Auswüchse widern mich an. Schauen Sie nur nach Genf. Da macht Stadtrat Guillaume Barazzone tatsächlich 17'000 Franken Telefonspesen geltend. Er sitzt übrigens auch für die CVP im Nationalrat. So einer sollte sich schämen und sofort zurücktreten. Ich habe dem Bund in 23 Jahren nie auch nur einen Rappen Spesen in Rechnung gestellt. Aber offenbar gibt es viele Parlamentarier, die selbst die Kosten für ein Parkticket am Bahnhof noch an den Bund schicken.
Versuchte mal jemand, Sie zu bestechen?
Nein.
Kein Angebot für eine Reise in einen Golfstaat?
Nein. Wir von der SVP sind halt klar positioniert und nicht so attraktiv. Wenn es Bestechungsversuche gibt, dann eher bei wackligen Mitte-Politikern. Sicher, ab und zu habe ich mich schon über den Enthusiasmus einzelner Parlamentarier bei Beschaffungsgeschäften gewundert. Die schlimmste Kommission, die ich in dieser Hinsicht erlebt habe, ist die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK). Es läuft vielleicht nicht unter Korruption. Aber eigentlich ist es das, wenn man sieht, dass fast jedes Mitglied ein Mandat hat im Bereich Krankenkassen, Spital- oder sonstigen Gesundheitsverbänden. Die Politiker sitzen nicht zufällig in dieser Kommission. Da wird auch in die eigene Tasche gewirtschaftet.
Auch SVP’ler?
Dieser Missstand betrifft jede Partei. Ich bin mal die 25 Mitglieder der SGK durchgegangen und bin zum Schluss gekommen, dass maximal vier bis sechs Mitglieder total unabhängig sind.
Warum wird das nicht reguliert?
Das Schweizer Volk wird wohl bald darüber abstimmen. Aus dem linken Lager gibt es Bestrebungen, das zu unterbinden.
In 23 Jahren im Nationalrat haben Sie sich nicht nur Freunde gemacht. Gibt es noch offene Rechnungen? Und ist nun die Zeit gekommen, um sich beispielsweise mit Eveline Widmer-Schlumpf zu versöhnen?
Im Grunde bin ich ein gutmütiger Mensch. Aber ihr werde ich nie verzeihen. Würde sie hier aufkreuzen, sie bekäme keinen Kaffee.
Hausverbot für Eveline Widmer-Schlumpf im Haus der Freiheit?
Erstens: Sie ist intelligent genug, hier nicht aufzutauchen. Zweitens: Das ist ein Haus für Menschen mit Charakter.
Und andere offene Rechnungen?
Samuel Schmid war zwar mal unser Bundesrat. Ich habe versucht, mit ihm klarzukommen. Aber ständig hatte er etwas zu meckern und zu kritisieren. Klar, er war nicht unser Kandidat als Bundesrat. Und dann will er uns seine Ideen aufdrücken wie Auslandeinsätze für die Armee. Er hat ständig das Gegenteil gemacht von dem, was unser Parteiprogramm postulierte. Logisch, dass da eine Entfremdung stattfindet. Irgendwann kam ja dann die Erlösung.
So richtig gerumpelt hat es in der SVP, als Christoph Blocher als Bundesrat abgewählt wurde.
Widmer-Schlumpf war nicht unsere Kandidatin, wir hatten keine Vakanz. Deshalb stellten wir uns zurecht die Frage: Was soll die SVP überhaupt noch in der Regierung? Immer nur ausbaden, was uns die anderen Parteien, halbe und andere Bundesräte einbrocken, ist sehr unbefriedigend. Ich hoffe doch sehr, dass es uns nun gelingt, bei den kommenden Wahlen den Bundesrat Mitte-Rechts zu positionieren.
Das heisst, Sie stimmen für Heidi Z’graggen und Karin Keller-Sutter?
Gut möglich.
Bei der Abspaltung der BDP hiess es selbst aus SVP-Kreisen, die Partei-Spitze sei abgehoben, arrogant, respektlos im Umgang.
Für mich war respektlos, was Widmer-Schlumpf gemacht hat. Wenn man hinter dem Rücken der eigenen Leute mit dem Gegner kooperiert. Es ging ihr um das eigene Ego und nicht um das Wohl des Landes. Sowas kann man nicht schönreden. Kurz vor der Wahl sagte sie mir ins Gesicht: «Hör Toni, ich kann mir nicht vorstellen, ohne Fraktion in Bern zu politisieren.» Für mich Naivling war das ein Nein. Immerhin haben alle Parteien nach diesem unrühmlichen Fall einen Kulturwandel vollzogen. Denn seither hält sich die Bundesversammlung an die Vorschläge der Parteien. Auch die SP war damit konfrontiert, dass Mitglieder in den Bundesrat gewählt wurden, die möglichst weit weg von der Parteilinie politisierten.
Daraus könnte man schliessen: Die SP ist Ihnen gar nicht so fremd.
Ich habe die Linken nie als Problem betrachtet, weil sie ticken, wie sie ticken. Wenigstens kann man sie einordnen. Probleme habe ich mit den sogenannten Mitte-Parteien. Weil bürgerliche Mehrheiten fast nie zu Stande gekommen sind. FDP und CVP haben uns häufig im Regen stehen lassen.
Konkret?
Zum Beispiel in der Migrationspolitik, wo der damalige FDP-Präsident Philipp Müller eine unrühmliche Rolle gespielt hat. Er verwandelte sich vom 18-Prozent-Ausländeranteil-Müller zum Euro-Turbo betreffend freiem Personenverkehr mit unkontrollierter Einwanderung. Aber auch in der wegweisenden Abstimmung Energiestrategie 2050 standen wir allein da, weil die CVP geschlossen und grundfalsch ihrer Bundesrätin gefolgt ist.
Haben die Mitte-Parteien ein Führungsproblem?
Ich habe gehofft, dass Gerhard Pfister die Partei nach rechts lotst. Aber das Gegenteil ist passiert. Pfister hat sich nach links verschoben. Früher existierte ein Gewerblerflügel mit fünf bis acht aufrechten CVP’lern, die immer mit uns gestimmt haben. Das ist leider vorbei.
Und bei der FDP?
Als ich nach Bern kam, erlebte ich tolle Abende mit der sogenannten Stahlhelm-Fraktion mit Ueli Fischer, Rolf Hegetschweiler, Georg Stucki und Toni Dettling, um nur ein paar Namen zu nennen. Das waren zuverlässige Typen, mit denen man zusammenarbeiten konnte. Heute kommt es kaum noch vor, dass man sich über die Parteigrenzen hinaus zum Abendessen verabredet.
Ich habe aber auch von lustigen Zugfahrten mit Ihnen, Christian Levrat und Christoph Darbellay und ziemlich viel Wein gehört.
Ja, das kam schon mal vor. Auf der menschlichen Ebene hatte ich mit fast niemandem Probleme. Am ehesten vielleicht mit Philipp Müller.
Warum?
Er hat mich mal an einem Mittwoch angerufen und vorgeschlagen, dass wir am Freitag nicht in die Arena gehen sollten. Ich sagte: Gute Idee, ich wollte eh nicht hin. Als ich Freitag spätabends von einer Veranstaltung nach Hause kam und die Wiederholung der Arena schaute, sah ich tatsächlich Philipp Müller am Pult stehen. Für einen Bauern wie mich, der Verträge noch per Handschlag besiegelt, ist so was ein unsäglicher Vertrauensbruch. Fortan hatte ich einfach meine liebe Mühe mit ihm. So etwas habe ich mit Levrat und Darbellay nie erlebt. Gut, die beiden waren massgeblich an Blochers Abwahl beteiligt und allein deshalb schon in einer Schublade (lacht). Am besten hatte ich es mit Fulvio Pelli. Er war auch schon hier im Haus der Freiheit. Sowieso: Zu den Tessinern habe ich meist einen guten Draht. Auch Ignazio Cassis hat mich schon im Toggenburg besucht. Noch ein Wort zu Levrat.
Bitte?
Auch wenn er knallhart in eine andere Richtung politisiert muss ich ihm attestieren: Für die Position, die die SP vertritt, holt sie extrem viel raus. Nicht die SP ist isoliert, sondern zunehmend die SVP. Allerdings muss er sich nicht zuviel einbilden. Nichts ist einfacher heute, als eine Allianz gegen die SVP zu schmieden, dem Geld der Wirtschaftsverbände und der medialen Einheitsbrei sei Dank. Aber wir von der SVP können ja nicht unsere Ideale verraten. Wenn die anderen sich eher den Sozialisten annähern als uns, ist das der Entscheid der Mitte-Parteien. Deshalb hoffe ich darauf, dass die Bevölkerung die Mitte-Parteien zurückpfeift.
Migration ist für viele europäische Rechts-Parteien zum wichtigsten PR-Instrument geworden. Sehen Sie sich bestätigt, wenn sie nach Europa blicken?
Was heisst PR? Es ist eben das Problem Nummer 1! Es ist nur leider schon fast zu spät. Europa hat zu viele Migranten aufgenommen, ist überfordert und muss die Asylpolitik grundlegend überdenken. Es kann nicht in derselben Form weitergehen wie bisher. Denn die Islamisierung in Europa, die zu einer Verschiebung der Werte führt, schreitet unaufhaltsam voran. Und das dürfen wir nicht zulassen, wenn wir weiterhin ein friedliches Europa wollen. Hier landen doch meist Wirtschaftsmigranten, gesunde, starke Männer die sich durchschlagen können und nicht jene Menschen, die wirklich im Elend leben. Deshalb meine Frage: Ist Asyl in Europa noch ein Zukunftsthema? Helfen ja, aber vor Ort. Und das Asylrecht, wie wir es kennen, ist gescheitert.
Herr Brunner, Sie leben doch auch in einer Randregion. Man hört von vielen kleinen Betrieben, die keine einheimischen Arbeitskräfte mehr finden und froh sind, wenn Sie einen anerkannten Flüchtling einstellen können?
Also, ich lebe nicht am Rand von irgendwo, sondern im Zentrum Europas (lacht). In drei Stunden bin ich in Mailand oder in München. Wer geht denn heute noch freiwillig in die Stadt? Ich denke, in den nächsten Jahren wird es eine Gegenbewegung geben.
Wenn man den Wohnungsbedarf in den Städten analysiert, kommt man zu einem anderen Schluss.
Die Zukunft liegt in Gebieten wie dem Toggenburg. Raus aus dem Kaninchenstall, wo jeder dem anderen ins Schlafzimmer blickt. Deshalb ist das neue Raumplanungsgesetz ein Fehler. Denn was passiert? Die Zentren, die jetzt schon wegen des Verkehrs kollabieren, werden weiter aufgepumpt. Viel besser wäre es, aus dem Toggenburg nach St. Gallen oder Zürich pendeln. In einer Stunde ist man von Wattwil in Zürich, in einer halben Stunde in St. Gallen. Das ist doch kein Weg.
Zurück zur SVP. Der Blick titelte mal: «Rösti macht aus der SVP Stocki».
Ach, der Blick kann schreiben was er will. Dieses Wortspiel nehme ich nicht ernst. Erstens, weil sich Albert Rösti extrem für die Partei aufopfert. Zweitens: Der Blick hat schon so viel Blödsinn geschrieben. Ich nehme das Geschreibsel von Ringier-Journalisten, die programmatisch die SVP bashen, nicht ernst.
Und trotzdem sind Sie mit Ringier-Blättern ins Bett gestiegen, wenn Sie die Möglichkeit sahen, sich zu inszenieren. Ich denke an die Bundeshaus-Reportage mit Ihrem Bruder, der Trisomie 21 hat.
Weil ich ein unverkrampftes Verhältnis habe, versteckte ich meinen Bruder auch nicht. Warum auch? Einerseits gefällt ihm das Rampenlicht. Er kennt Ueli Maurer und er war wohl mein grösster Fan in der Politik. Man kann nicht von Integration reden und gleichzeitig Menschen wie meinen Bruder Andi verstecken.
Und was ist mit den Liebesbriefen an ihre Freundin Esther Friedli, die die Schweizer Illustrierten abdruckte?
Damals hatten wir einen kleinen Wahlkampf (Esther Friedli kandidierte für den St. Galler Regierungsrat; die Red.). Da macht man halt viel. Da bin ich ziemlich schmerzfrei. Ich gebe zu: Man kann sich heute fragen, soll man das machen oder nicht? Ich habe die Menschen immer nahe an mich ran kommen lassen. Das gehört dazu, wenn man eine öffentliche Person ist. Aber ich freue mich jetzt auch auf den Schritt raus aus dem Rampenlicht. Das ist Geschichte.
Was waren die Schattenseiten Ihrer Popularität. Erlebten Sie Drohungen, physische Attacken?
Ich habe nie darüber gesprochen. Wenn ich ein Couvert öffnete und eine Gewehrkugel rauskullerte, hab ich das nie mit der Öffentlichkeit geteilt. Anonym Briefe habe ich sowieso nie ernst genommen. Gut, als SVP-Präsident muss man sich viel gefallen lassen. Da gibt es vielleicht mal eine Bierdusche oder ein böses Wort. Im Grossen und Ganzen habe ich aber sehr viel Respekt erfahren.
Werden Sie nun den Bauernhof und oder den Gasthof ausbauen, haben Sie Expansionsgelüste?
Nein, überhaupt nicht. Es geht jetzt nicht darum zu wachsen, sondern vermehrt meine Zeit in die eigenen Betriebe zu investieren. Das kam in den letzten Jahren zu kurz. Ich habe seit einigen Jahren eine Zucht von Walliser Eringerkühen aufgebaut.
Man spricht von einer SVP-Eringerkuh-Pension.
Ich halte auch Eringerkühe von Nicht-SVP’lern. Den Tieren will ich mich nun vermehrt widmen. Und in unserem Landgasthof Sonne, Haus der Freiheit, da gibt es auch noch so einige Pläne.
Ihre Mutter wünschte sich nach ihrem Rücktritt als Parteipräsident vor knapp drei Jahren, es möge endlich mal Enkel geben.
Mütter! Sowas kann man doch nicht versprechen. Ich war ein Leben lang für die Politik unterwegs. Da ist schlicht nicht alles möglich. Ich finde es ja schön, wenn Politiker alles unter einen Hut kriegen, mir wäre das zu viel geworden.
Besteht für ein Kind von Ihnen ein erhöhtes Trisomie-21-Risiko?
Das weiss ich nicht. Und es interessiert mich auch nicht. Ich mag solche präventiven Tests nicht. Aus gutem Grund. Meiner Mutter wurde geraten, dass sie mich abtreiben soll, weil Ärzte und Beratungsstellen nach der Geburt von Andi befürchteten, dass auch ich ein Trisomie-21-Kind sei. Erstens hat meine Mutter Ja zu mir gesagt und ich habe mich ebenfalls gerächt: Ich kam als SVP-ler auf die Welt! (lacht)