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Wie nach dem letzten Roi du Doubs im Jura gefahndet wird

Alle suchen nach diesem einen Roi du Doubs – dann kommt die dramatische Wendung

Verzweifelt suchen Bund und Umweltverbände im Jura nach den letzten Exemplaren des Apron, auch Roi du Doubs genannt. Der Fisch gehört zu den gefährdetsten Arten Europas. In der Nacht auf Samstag hat die Suche eine dramatische Wendung genommen.
14.08.2023, 17:5014.08.2023, 18:55
Stefan Bühler, St-Ursanne / ch media
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Aus den dunklen Tannen lässt der Waldkauz seinen melancholischen Ruf ertönen. Die Grillen zirpen bis tief in die Nacht, als gäbe es kein Morgen. Und über den Nachthimmel ziehen die Sternschnuppen der Perseiden ihre Linien. Es ist Freitagabend, 22 Uhr, ein kitschig-schöner Sommerabend in der Nähe des Mittelalterstädtchens St-Ursanne im Jura. Natur pur.

Doch dieser Eindruck täuscht. Jerôme Plomb steht am Ufer des Doubs. Aus seinem Neoprenanzug tropft Wasser. In der einen Hand hält er eine Taschenlampe, in der andern einen Kescher, ein handliches Fischernetz. «Es ist frustrierend, sehr frustrierend», sagt er. Soeben hat Plomb mit einem halben Dutzend anderer Froschmänner und -frauen einen Flussabschnitt von rund 300 Metern abgesucht.

Zum Teil hüfttief im Wasser wateten sie die Strömung aufwärts, aufgereiht in einer Linie, und suchten mit ihren Lampen den Flussboden ab - auf der Suche nach dem Apron, dem Rhonestreber. Oder wie er hier heisst: dem Roi du Doubs. Es ist eine Rasterfahndung, wie sie die Kriminalpolizei anwendet. Doch das Ergebnis ist enttäuschend: kein Apron weit und breit.

Rhone-Streber (Zingel asper) in der Loue

cc: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/
Ein Roi du Doubs.Bild: wikipedia

Werden die Augen des Roi du Doubs in der Nacht mit einer starken Lampe angestrahlt, reflektieren sie das Licht wie Katzenaugen. Es ist die einfachste Methode, die sehr seltenen Fische zu finden - «eine der am stärksten gefährdeten Wirbeltierarten Europas», wie das Bundesamt für Umwelt schriebt. Die Art ist bloss in wenigen Flüssen in Frankreich noch zu finden. In der Schweiz ausschliesslich im Doubs - wenn überhaupt.

Seit 20 Jahren ist der Umweltingenieur Plomb am Monitoring des Apron-Bestands beteiligt. Schon vor zehn Jahren als der Schweizerische Fischereiverband diese streng geschützte Art zum Fisch des Jahres 2013 ausrief, hatte eine Bestandsaufnahme lediglich 52 Exemplare festgestellt. Seither berichten zwar Fischer ab und zu von Sichtungen. Doch der letzte wissenschaftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 2021. Jerôme Plomb hat selber letztmals 2019 ein Exemplar gefangen. Das ist es, was er als frustrierend bezeichnet. «Aber eine seltene Art findet man nur mit Ausdauer und Entschlossenheit», spricht er sich Mut zu.

Mit grossem Aufwand sollen nun die letzten Exemplare gefunden werden. Das Ziel: im Aquarium «Aquatis» in Lausanne eine Zucht etablieren, um die Art zu erhalten und die Population im Doubs zu stärken.

Das Projekt orientiert sich an einem entsprechenden Programm, das in Frankreich erste Erfolge verzeichnen kann. Es wird von Bund und Kanton Jura unterstützt sowie dem Schweizer Fischereiverband, Pro Natura und WWF. Sie haben sich im Projekt «Doubs vivant», lebendiger Doubs, zusammengetan.

Doubs, Saint-Ursanne
Doubs, Saint-Ursanne.Bild: Screenshot Google Streetview

Als die Menschen für einen sauberen Fluss demonstrierten

Die Zusammenarbeit der Verbände geht zurück auf das Jahr 2011. Infolge eines Pilzbefalls kam es zum grossen Fischsterben. Darauf demonstrierten über tausend Personen im Grenzort Goumois gegen die Verschmutzung des Doubs. «Offenbar war das Immunsystem der Fische geschwächt», sagt Céline Barrelet, Projektleiterin von «Doubs vivant».

Sie sieht mehrere Faktoren, die den Fluss belasten und zum Rückgang des Bestands des Roi du Doubs geführt haben: Schwellen, die für den Fisch nicht passierbar sind. Hinzu kommt die Versiegelung des Flussbodens mit Kalkablagerungen und Algen. «Und nach wie vor sind gewisse Abwasserreinigungsanlagen nicht auf dem neusten Stand der Technik», sagt Barrelet. Der Fluss ist weiterhin durch Chemikalien belastet.

Der politische Druck führte immerhin zu einem nationalen Aktionsplan des Bunds. Er soll die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme wiederherstellen und insbesondere das Überleben des Aprons sichern. Die Behörden folgten damit den Empfehlungen der internationalen Berner Konvention, die die Schweiz verpflichtet, bedrohte Arten auf ihrem Gebiet vor dem Aussterben zu schützen. Einzelne Verbesserungen wurden schon erzielt. Teil des Massnahmenplans ist auch die Rettungsaktion von diesem Jahr und die Ausarbeitung einer neuen Strategie zur Erhaltung des Aprons.

Diese Initiative kommt allerdings reichlich spät. Denn seit Anfang Juli haben schon zwei Suchaktionen stattgefunden - und beide waren erfolglos. Vor Beginn der dritten Suchaktion von Freitag sagt Jerôme Plomb, es sei ungewiss, wie es nächstes Jahr weitergehe, wenn man jetzt keine Aprons finde. Wird der Roi du Doubs aufgegeben? «Vielleicht lohnt sich der Aufwand nicht mehr - und man müsste einen Punkt machen.»

Zum Zeitpunkt, als der Umweltingenieur das sagt, hat er noch zwei Hoffnungen: Die Suchaktion von Freitagabend. Und die Ergebnisse einer DNA-Untersuchung: In Wasserproben von mehreren Flussstellen wird derzeit nach Erbmaterial des Roi du Doubs geforscht. Die Ergebnisse sollen Ende September vorliegen. Sind positive Resultate darunter, deutet das auf die Existenz der seltenen Art hin - und die Suche wird an den Stellen, von denen die Proben stammen, nochmals intensiviert.

Ein Weibchen, 23 Zentimeter lang, macht Hoffnung

Doch als sich das Team der Fischretterinnen und -retter aufmacht zur dritten und letzten Stelle, die in dieser Nacht von Freitag auf Samstag abgesucht werden soll, ist die Zuversicht nicht mehr gross. Zu viel Zeit wurde schon investiert - ohne ein Lebenszeichen des Roi du Doubs.

Es ist eine halbe Stunde nach Mitternacht, zwei Jahre nach der letzten bestätigten Sichtung, als das kleine Wunder passiert: In der Nähe der Auberge de la Charbonnière leuchten plötzlich die Augen eines Aprons im Licht der Taschenlampe. Und weil der Fisch auf seine Tarnung vertraut und sich regungslos an den Boden duckt, lässt er sich mit dem Kescher leicht einfangen. Es ist ein Weibchen, 23 Zentimeter lang. Gesund.

Kurz nach Mitternacht gefangen: Der erste Roi du Doubs, der seit 2021 in der Schweiz wissenschaftlich bestimmt werden konnte.
Bild: Jonas Steiner / Sfv

«Das gibt uns Hoffnung», sagt Céline Barrelet von «Doubs vivant».

«Hätten wir keinen gefunden, hätte sich die Frage gestellt: Gibt es gar keine Aprons mehr im Doubs?»

Immerhin: Diese Frage ist nun positiv beantwortet. Und weil es ein Weibchen ist, besteht die Chance, dass auch Jungfische im Fluss sind. «Nun kann die Suche weitergehen», sagt sie: «Für den Aufbau einer Zucht braucht es mindestens ein Weibchen und ein Männchen.»

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47 Kommentare
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Cosmopolitikus
14.08.2023 18:19registriert August 2018
Ich freue mich, dass die Suche erfolgreich war und wünsche dem Team noch ein Männchen.
Schade nur, dass wir in vielen ähnlichen Belangen solange warten, bis es beinahe zu spät ist.
Ich hoffe, dass es hier ein happy end gibt.
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Kleinaberdoktor
14.08.2023 18:40registriert Mai 2020
Das Jura ist schön, in grossen Teilen wird aber exzessive Landwirtschaft betrieben und obwohl man mit Spritzmitteln „vorsichtig“ umgeht landet einiges in dem Bächen und Flüssen und schlussendlich auch im Trinkwasser……
Andere Schadstoffe und Einflüsse kommen noch dazu.

Leider kommt die Natur und einige Lebewesen nicht klar damit und es fordert einen hohen Tribut.

Wir sollten unsere Gewässer eindeutig mehr schützen sonst müssen wir damit leben dass Flora und Fauna irgendwann grosse Mühe bekommen wird.
Auch wir Menschen.🤷🏻‍♂️
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Pontifax
14.08.2023 19:18registriert Mai 2021
Und währenddessen spritzen, sprühen, streuen und güllen die Bauern frischfröhlich weiter und Syngenta reibt sich die Hände ( und die deren Lobbyisten "zugetanen" Politiker ).
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