Der Kanton St.Gallen pfeift auf die Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Eine Maskenpflicht für Läden sei aus medizinischer Sicht unnötig, teilte er gestern mit.
Damit revoltiert ein grösserer Kanton gegen die Empfehlung aus der Bundesstadt. Am Donnerstag hatte BAG-Direktor Pascal Strupler eine solche ausgesprochen, um die Kantone «wachzurütteln.» Für diese kam die Maskenempfehlung unvermittelt – und sie kam nicht gut an.
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Martin Pfister, Gesundheitsdirektor des Kantons Zug, spricht von einem «Schnellschuss». Für ihn geht es um Grundsätzliches: «Ich erwarte, dass das BAG mit den Fachleuten und den Kantonen eine saubere Analyse macht, ob es neue Massnahmen braucht und ob sie flächendeckend oder regional eingeführt werden sollen.»
Das BAG müsste mit Zahlen belegen, dass die Ansteckungsgefahr in Läden gross ist. Diese bleibt das Amt jedoch schuldig.
Dass die Maske künftig eine wichtigere Rolle bei der Pandemiebekämpfung spielen wird, bezweifelt aber auch Pfister nicht. Die Zentralschweizer Gesundheitsdirektoren wollen noch diese Woche neue Massnahmen einführen. Pfister sagt allerdings:
Seit der Bundesrat die ausserordentliche Lage beendet hat, liegt die Federführung in der Pandemiebekämpfung wieder bei den Kantonen. Das BAG habe seine Rolle in dieser besonderen Lage noch nicht gefunden, sagt Pfister. Das Bundesamt habe sich erst zurückgezogen und sei nun plötzlich mit Empfehlungen an die Öffentlichkeit gegangen.
Pfister fordert mehr Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen. Dialog heisst für ihn das Schlüsselwort. Wie im Frühling, als die Corona-Pandemie die Schweiz mit voller Wucht erfasst hatte. Dass nun Kantone auf eine Maskenpflicht verzichten, sei für die Autorität des BAG «nicht gerade förderlich», sagt der Zuger.
Das Vertrauen in das BAG bröckelt nicht nur in den Kantonen, sondern auch im Parlament in Bern. Über den Zahlensalat, den das Amt in den letzten Tagen auftischte, schütteln viele Politiker nur den Kopf. «Fehler können passieren, aber das ist schon krass», sagt Ruth Humbel, die Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Dort sitzt auch Nationalrat Marcel Dobler (FDP/SG).
Er sagt, es fehle ihm schon länger an Transparenz, an gutem Datenmanagement. Aber jetzt gehe es um etwas noch viel Wichtigeres: das Vertrauen. «Das BAG muss schauen, dass es dieses Vertrauen nicht verspielt. Das wäre das schlimmste, was passieren kann», sagt Dobler.
Auch Ständerat Damian Müller (FDP/LU) spricht von der Vertrauensfrage, die wichtig sei, weil die Leute sonst nicht mehr mitmachten. «Das zeigt sich gerade in anderen Ländern», sagt Müller.
Die Geschichte mit den falschen Ansteckungszahlen ist die aktuellste Episode, die Zweifel am BAG schüren. Aber sie ist bei weitem nicht die einzige. Wenn man Politiker anruft und sie fragt, wie sie das Krisenmanagement während der Coronakrise bewerten, dann ähneln sich die Sätze.
Es hat ja gut angefangen, heisst es dann meist. Aber es geht schon länger abwärts. Albert Rösti, der Präsident der SVP, formuliert es so: «Die erste Welle der Krise hat der Bund gut gemeistert. Nicht vertrauensfördernd sind die Pannen.»
Als Beispiel nennt der Berner auch die Maskenfrage. Lange erklärte das BAG, deren Wirksamkeit sei umstritten. Nun soll auch im Laden eine Pflicht gelten.
Ruth Humbel kritisiert das BAG zudem für seine Passivität bei der Impfstoff-Frage. Die «NZZ am Sonntag» hatte bekanntgemacht, dass die Schweiz bei einer klinischen Studie eines vielversprechenden Impfstoffes aussen vor bleibt, weil 8 Millionen Franken zur Finanzierung fehlen.
Grundsätzlich ist das BAG nicht für die Finanzierung klinischer Studien zuständig, sagt Humbel. Doch nun, angesichts der Krise, stört sie «dieses Beamtendenken». Politisch gäbe es «bestimmt keinen Widerstand», so die Aargauerin. Es gelte nun, rasch zu handeln, auch, weil das die Aussichten auf einen späteren Zugang zum Impfstoff verbessere.
Und dann ist da noch der Auftritt von BAG-Direktor Pascal Strupler vom Donnerstag. Der hat nicht nur die Kantone, sondern auch Politikern verärgert. Christian Lohr (CVP/TG) sagt, der Auftritt habe ihn «sehr irritiert». Es könne doch nicht sein, dass man den Kantonen an einer Medienkonferenz mitteile, was sie zu tun hätten. «Das hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen», sagt er.
Und wenn doch, dann müsse der Absender der Bundesrat sein. Auch Albert Rösti fand den Auftritt «nicht gut». Die Gesundheitsdirektoren wüssten schon, was sie zu tun hätten.
Marcel Dobler kritisiert die Masken-Empfehlung auch inhaltlich, weil sie regionale Unterschiede ignoriert. Und vor allem, sagt der St.Galler, vermisse er eine klare Strategie beim Umgang mit dem Virus – eine Kritik, die immer wieder geäussert wird, etwa auch von Pierre-Yves Maillard, dem ehemaligen Waadtländer Gesundheitsdirektor, der heute für die SP im Nationalrat sitzt.
«Bevor nun weitere Massnahmen von verschiedenen Behörden und Experten vorgeschlagen werden, braucht es eine grundsätzliche Strategie, die auf klaren Indikatoren wie der Auslastung der Spitäler basiert», sagt Maillard.
Schon heute setzt der Bund teilweise auf Grenzwerte. Etwa, um die Frage zu klären, bei welchen Infektionszahlen für Einreisende aus einem bestimmten Land eine Quarantänepflicht gilt. In diesem Sinne, sagt FDP-Nationalrat Dobler, müsste die Corona-Politik neu ausgerichtet werden.
Und ich sage nicht, dass das BAG alles gut oder richtig macht.