Wieder einmal verlassen die Spieler von Borussia Dortmund das Feld mit hängenden Köpfen. Geknickt und entsetzt von dem, was gerade passiert ist. 2:0 hat der BVB nach 88 Minuten geführt, doch in den folgenden sechs Minuten schlägt es dreimal im Netz des Schweizer Keepers Gregor Kobel ein. Dortmund, das eigentlich um den Titel spielen will, verliert gegen den Aufsteiger aus Bremen noch mit 2:3. Doch wie konnte das passieren?
Die Niederlage vom Samstag legte wie schon so viele vergangene Partien schonungslos offen, welche Baustellen der Klub nicht zu beheben vermag. Wir verraten dir, um welche es sich dabei handelt.
Am Ende war es wieder einmal ein Ballverlust, der zur Niederlage führte. Eine Unaufmerksamkeit von Jude Bellingham stand am Ursprung des 2:3. «Wir rennen nur hinterher und haben den Ball keine 20 Sekunden in unseren Reihen», sagte Marco Reus gemäss «Kicker» nach dem Spiel gegen Bremen. Auch Trainer Edin Terzic bemängelte, dass sein Team «viele Bälle abgegeben und viele Chancen zugelassen» habe. Es ist kein neues Phänomen, dass die Dortmunder sich mit unnötigen Fehlern oder Ballverlusten selbst in die Bredouille bringen.
So sorgten Fehler von Abwehrspielern wie Mats Hummels, Thomas Meunier oder auch Manuel Akanji in der unmittelbaren Vergangenheit immer wieder für selbstverschuldete Gegentore. Und bei seinem Debüt war auch der deutsche Nationalspieler Niklas Süle nicht souverän. Beim dritten Gegentor trabte er zurück und merkte nicht, dass Oliver Burke in die Lücke in seinem Rücken startete. So konnte er den Pass von Mitchell Weiser nicht abfangen und trägt mindestens eine Mitschuld an der Niederlage.
Aber auch andere Spieler verdienen für ihre Leistung harsche Kritik. Emre Can, der für den verletzten Mahmoud Dahoud in der 18. Minute eingewechselt wurde, beispielsweise. Fast jeder vierte Passversuch (9 von 38) des 28-Jährigen landete beim Gegner. Can, für den der Verein ohnehin einen Abnehmer sucht, konnte sich beim BVB nie hundertprozentig etablieren. Zu oft sorgten Unkonzentriertheiten für Gegentore, wie beispielsweise beim 1:2 gegen Manchester City im Viertelfinal der Champions League im April 2021.
Julian Brandt, Torschütze zum 1:0, hatte mit 57,1 Prozent angekommener Pässe gegen Bremen eine noch schlechtere Quote als Can. Auch er wirkt zuweilen wie ein Fremdkörper im Dortmunder Spiel, der nach Ballverlusten den Kopf hängen lässt, statt nachzusetzen. Der 26-Jährige verschuldete so beispielsweise das 1:3 gegen Hertha BSC im Dezember 2021. Beispiele, die zeigen, dass diese selbstverschuldeten Gegentreffer ein wiederkehrendes Problem beim BVB sind.
Dabei könnte auch die fehlende Eingespieltheit eine Rolle spielen. Immer wieder gilt es beim BVB, Leistungsträger zu ersetzen und neue, meist junge Spieler zu integrieren. Auch vor dieser Saison sind wieder sechs Neuzugänge zum Team gestossen, zusätzlich in Jamie Bynoe-Gittens ein Nachwuchsspieler, der bereits zu zwei Einsätzen in dieser Saison gekommen ist.
Mit Erling Haaland, Jadon Sancho oder Achraf Hakimi haben in den letzten drei Saisons immer absolute Leistungsträger den Verein verlassen. Gleichwertigen Ersatz zu finden ist sehr schwierig bis beinahe unmöglich. Vielmehr versucht Dortmund bisher erfolglos, ein Gerüst aufzubauen, das mit den richtigen Spielern rundherum um Titel spielen kann. So wie es die Bayern in Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Thomas Müller und Robert Lewandowski hatten.
Wie schon Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Franck Ribéry oder Philipp Lahm wurde nun auch der polnische Stürmer durch Sadio Mané erfolgreich ersetzt. Für solche Transfers fehlt dem BVB das Geld und die Strahlkraft. Doch Dortmund will ein international angesehener Topklub sein, und dafür braucht es Akteure, die konstant auf hohem Niveau spielen. In der Vergangenheit schlugen die Toptransfers jedoch zu selten ein. In diesem Jahr nahm der neue Sportchef Sebastian Kehl erneut viel Geld in die Hand. Mit Sébastien Haller und Karim Adeyemi fehlen aktuell zwei der Hoffnungsträger, was aber dem Gesundheitspech geschuldet ist.
Eine Rolle spielt dabei auch, dass die Profis des BVB mit ständig neuen Trainern und Spielsystemen zurechtkommen müssen. Seit Jürgen Klopp den Klub 2015 verlassen hat, sucht der BVB nach dem richtigen Trainer. Thomas Tuchel scheiterte trotz des Pokalsiegs an seiner Beziehung zu BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Peter Bosz sowie Peter Stöger waren schlicht zu erfolglos und Lucien Favre fehlte am Ende der Rückhalt in der Mannschaft und im Verein, sodass er auf Platz 5 stehend entlassen wurde.
Dann führte Edin Terzic den BVB als Interimscoach in der Saison 2020/21 zum Pokalsieg. Trotzdem übernahm Marco Rose, der das Vertrauen der Vereinsführung nach nur einer Saison nicht mehr spürte und sich mit dieser auf eine Vertragsauflösung einigte. Nun soll es also wieder Terzic richten.
Doch wie gut ist der Deutsch-Kroate wirklich? In seiner ersten Amtszeit lieferte er über 32 Spiele einen Punkteschnitt von zwei Punkten und gerade im Pokalfinal gegen RB Leipzig zeigte sein Team eine überzeugende Leistung. Aber gegen die Bayern, die in den letzten Jahren äusserst souverän auftraten, braucht es mehr Punkte und Konstanz, um den Titel zu holen. Zudem war Terzic vor seinem Engagement in Dortmund nie Cheftrainer, weder bei den Junioren noch den Amateuren oder Profis.
Ihm fehlt die Erfahrung, vor allem im Umgang mit den hohen Erwartungen, die es rund um den BVB in dieser Saison gibt. Als er interimsweise von Favre übernahm, konnte er alle überraschen, doch auch deshalb sind die Hoffnungen bei den Fans des Klubs gross. Die grossen Investitionen im Sommer taten ihr Übriges. Nun muss Terzic aber beweisen, wie er mit diesen Erwartungen umgeht und zeigen, dass er auch einen Plan B hat, wenn der Gegner ihn vor Probleme stellt.
Dabei helfen könnte dem 38-Jährigen ein absoluter Führungsspieler auf dem Platz. Doch diesen sucht man bei Dortmund vergebens. Captain Marco Reus ist zwar seit 2012 im Verein, hat aber immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen und ist oftmals inkonstant. Vor allem, wenn es nicht läuft, taucht der 33-Jährige regelmässig ab, statt mit positivem Beispiel voranzugehen und seine Mitspieler anzupeitschen.
Mats Hummels ist als Abwehrchef zwar ein Führungsspieler, doch braucht es zwingend einen Spieler, der seine Mitspieler auch in der Offensive mitreisst und mal dorthin geht, wo es weh tut. Das kann nicht Hummels sein, zumal er seinen Zenit mit 33 Jahren überschritten hat. Am ehesten kommt hier noch Jude Bellingham infrage. So sagte der Mittelfeldspieler nach dem Pokalaus gegen Zweitligist St. Pauli im letzten Januar: «Keiner von uns wird aufgeben. Ich werde es nicht zulassen.» Doch der Engländer ist erst 19 Jahre alt, ihm fehlt noch die Erfahrung, um in jedem Spiel als Leader voranzugehen.
Zudem lassen die späten Gegentore, die ebenfalls kein neues Phänomen sind, wieder einmal die Frage nach der Mentalität aufkommen, die Reus im September 2019 in Rage brachte. Auch damals gab der BVB spät eine Führung aus der Hand und verspielte beim 2:2 in Frankfurt zwei Punkte. «Das geht mir so auf die Eier», sagte er damals nach dem Spiel zu Sky, «ihr mit eurer Mentalitätsscheisse.» Nun muss sich der Kapitän solche Fragen erneut gefallen lassen, weil es immer wieder vorkommt, dass Punkte durch späte Gegentore verspielt werden.
Zumal ein weiteres Indiz für fehlende Mentalität im Klub spricht. Aus den 45 Spielen gegen Aufsteiger seit 2012/13 gewann Dortmund nur 27, Bayern holte bei 44 Duellen 39 Siege. Dass die Verantwortlichen wie Geschäftsführer Watzke bereits vor der Saison nach Ausreden suchen, weshalb man diese Saison erneut keine Chancen auf den Titel haben könnte, hilft auch nicht. Selbst wenn es natürlich stimmt, dass die Bayern einen deutlich höheren Etat und breiteren Kader haben, doch das Ziel des BVB muss es sein, den Liga-Krösus herauszufordern und nicht einfach der Beste vom Rest zu sein.
Was im Spiel gegen Bremen ebenfalls auffiel, war die fehlende Einbindung der Sturmspitze Anthony Modeste. Der Neuzugang aus Köln kam in 80 Minuten zu 13 Ballkontakten. Der Franzose ist kein Spieler, der sich selbst konstant Chancen erarbeitet. Doch auch der nominell beste Stürmer Haller, der infolge eines Hodentumors noch einige Monate fehlen wird, braucht die Zuspiele seiner Mitspieler.
Nur fehlt bei den «Schwarz-Gelben» ein Spieler, der die Bälle im Mittelfeld erobert und direkt den Gegenangriff einleiten kann. Ein Spielertyp Kimmich oder Kanté – natürlich nicht ganz auf diesem Niveau. Bellingham ist ein solcher Bindespieler, doch fehlt ihm noch die Konstanz. Gegen Bremen gelang ihm nur wenig. Dahoud hätte zumindest offensiv das Talent dazu, nur fehlt er immer wieder verletzt.
So ist es oft an Reus, den gegnerischen Abwehrriegel zu knacken. Der 33-Jährige hat definitiv die Anlagen dazu, nur steht er eben auch sinnbildlich für diesen BVB und das Auf und Ab im Klub. Und solange Reus und Dortmund das nicht loswerden, wird es auch nichts mit einem Angriff auf die Bayern in der Bundesliga.