Spanien hat im Frauenfussball einen rasanten Aufstieg hinter sich. Vor der diesjährigen WM gingen die Ibererinnen an grossen Turnieren in einem Spiel der K.o.-Phase noch nie als Siegerinnen vom Platz. In Australien und Neuseeland gelang ihnen dieses Kunststück nun dreimal in Folge – jetzt stehen sie im WM-Final. Spanien gilt im Endspiel als Aussenseiter, aber Fussball wäre nicht Fussball, hätte er nicht ab und zu eine Überraschung bereit und es gibt einige Punkte, die dafür sprechen, dass Spanien dieses Jahr für eben diese Überraschung sorgen könnte.
Dass die Spanierinnen, die bisher noch keinen Titel gewinnen konnten, im WM-Final stehen, kommt nicht von ungefähr. In Spanien brauchte es im Gegensatz zu Schweden, den USA oder Japan etwas länger, bis sich der Frauenfussball etablieren konnte. Heute ist die Nachwuchsarbeit im spanischen Frauenfussball aber beispielhaft.
2021 kündigte die damalige spanische Nationalspielerin Vero Boquete an, dass Spanien an der nächsten EM und WM zu den Favoritinnen gehören werde. Grund für diese mutige Annahme waren die positiven Veränderungen in der Nachwuchsförderung. Boquete sah in der Beteiligung der grossen Vereine und Verbände den Schlüssel zum Erfolg der Spanierinnen: «Spielerinnen mit viel Talent, die sich vor einigen Jahren kaum weiterentwickeln konnten, stossen jetzt nicht mehr ständig auf Hindernisse», stellte sie 2021 fest.
Boquete sollte mit ihren Aussagen recht behalten. Heute hat Spanien neben anderen erfolgreichen Spielerinnen Alexia Putellas, ihres Zeichens Weltfussballerin des Jahres 2021 und 2022, in seinen Reihen und die nächsten Supertalente stehen bereits in den Startlöchern. Auf U-20- und U-19-Ebene sind die Spanierinnen nämlich amtierende Welt- bzw. Europameisterinnen. Sollte es also dieses Jahr nicht klappen mit dem WM-Titel, könnte sich Spanien also damit trösten, dass sie auch in Zukunft bei der Vergabe der grossen Titel ein Wörtchen mitzureden haben werden.
Noch vor einem Jahr hing der Haussegen in der spanischen Nationalmannschaft schief. 15 Spielerinnen traten aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Trainer Jorge Vilda zurück. Heute sind die meisten Spielerinnen wieder zurück im Nationalteam – und spielen trotz der vergangenen Differenzen eine erfolgreiche WM.
Die erst 19-Jährige Paralluelo ist einer der grössten Trümpfe des spanischen Teams. Dass sie an der WM überhaupt im Kader steht, ist nicht selbstverständlich – die Frau aus Saragossa war nämlich lange Zeit nicht nur Fussballerin, sondern auch erfolgreiche Leichtathletin, gewann am Europäischen Olympischen Jugendfestival zwei Medaillen. Seit ihrer Vertragsunterschrift beim FC Barcelona im Jahr 2022 setzt sie aber ganz auf den Fussball – und ist mit 19 Jahren bereits eine wichtige Stütze der spanischen Nationalmannschaft.
Paralluelo, pfeilschnell und treffsicher, zeigte mit ihren beiden Toren an dieser WM nicht nur ihre individuelle Klasse, sondern auch eine erstaunliche Reife. Gegen Holland erzielte sie den Siegestreffer und gegen die Schwedinnen netzte sie kurz nach ihrer Einwechslung in der 81. Minute zum zwischenzeitlichen 1:0 ein. Paralluelo hat einen wichtigen Anteil am Erfolg der Spanierinnen – auf ihren Auftritt im Final darf man also gespannt sein.
Spanien musste zwar in der Vorrunde im Kampf um den Gruppensieg Japan den Vortritt lassen. Beim 0:4 gegen die Asiatinnen blieben die Spanierinnen offensiv harmlos und zeigten eine ungewohnte defensive Fehleranfälligkeit. Im Achtelfinal wurde Spanien von der Schweiz nicht wirklich gefordert. Erst im Viertel- und im Halbfinal traf die «Roja» mit den Niederlanden und Schweden dann auf zwei starke Gegnerinnen und zeigte, dass sie sich auch vor Teams des Kaliber Englands nicht zu verstecken braucht.
England gehört im Frauenfussball schon seit Jahren zur Weltspitze und wurde von den Buchmachern schon im Vorfeld dieser WM als Titelkandidatin genannt. Im bisherigen Turnier spielten die «Lionesses» solide ohne zu brillieren – der WM-Final ist der beste Zeitpunkt für die Engländerinnen, ihre ganze Klasse zu zeigen. Folgende Punkte sprechen dafür, dass die Engländerinnen nach dem EM-Titel im letzten Jahr das Double schaffen:
Genau wie das englische Männerteam spielte auch das englische Frauenteam immer vorne mit, ohne einen Titel zu gewinnen. An der Heim-EM 2022 im ausverkauften Wembley-Stadion war es dann aber so weit: Das Frauennationalteam beendete die englische Titel-Durststrecke und kürte sich zum Europameister. Im Gegensatz zu den Spanierinnen wissen die Engländerinnen also, wie es sich anfühlt, in einem ausverkauften Stadion dem Erwartungsdruck einer ganzen Nation gerecht werden zu müssen. Diese Erfahrung dürfte ihnen im WM-Final zugutekommen.
Die erst 21-jährige Stürmerin des FC Chelsea galt vor dieser WM als grosse Hoffnungsträgerin der Engländerinnen und konnte in der Vorrunde bereits drei Tore verbuchen. Im Achtelfinalspiel gegen Nigeria leistete sie sich jedoch einen unsportlichen Aussetzer, der ihr eine rote Karte und zwei Spielsperren einbrachten.
Im Final darf Lauren James bei den Engländerinnen wieder mittun. Sollte sie zum Einsatz kommen, hat sie einiges gut zu machen – die Spanierinnen dürften gewarnt sein.
Sarina Wiegman war früher selbst eine erfolgreiche Fussballerin und Teil des niederländischen Nationalteams. Noch erfolgreicher ist die 53-Jährige als Trainerin: Bereits drei Mal wurde sie zur FIFA-Welttrainerin des Jahres im Frauenfussball gewählt. Mit der Niederlande gewann sie 2017 den Europameistertitel und wurde 2019 Vize-Weltmeister.
Auch in England konnte sie als Cheftrainerin bisher auf der ganzen Linie überzeugen: Seit sie an der Seitenlinie steht, blieben die «Lionesses» zwischenzeitlich 30 Spiele in Folge ungeschlagen und gewannen den lang ersehnten EM-Titel.
Obwohl 20 der 32 WM-Teams von Männern gecoacht werden, spricht die Bilanz für Teams, die von Frauen trainiert werden: 11 der 12 letzten grossen Titel wurden nämlich von Equipen gewonnen, die von Frauen betreut wurden.
Für England mutete die Vorrunde in einer Gruppe ohne grosse Namen wie ein Spaziergang an. In drei Spielen holten sie neun Punkte und deuteten mit einem Torverhältnis von 8:1 an, dass sie weder in der Offensive noch in der Defensive anfällig sind. Auch im Achtel- und Viertelfinal konnte England die grossen Fussballnationen umgehen. Die Partie zwischen England und Nigeria im Achtelfinal erwies sich als unerwartet ausgeglichen und konnte erst im Penaltyschiessen entschieden werden. Gegen Kolumbien siegten die Lionesses ohne zu glänzen. Die erste richtige Bewährungsprobe überstanden die Engländerinnen im Halbfinal gegen Australien. In einem ausverkauften Stadion zeigten sie gegen die Gastgeberinnen aus Australien keine Nerven und gewannen souverän mit 3:1.