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Eishockey-WM: Halbfinal als Schweizer Pflicht und gefährliche Versuchung

Hockey players of Switzeland celebrate goal and victory after the Euro Hockey Challenge match Switzerland vs Czech Republic in Brno, Czech Republic, May 7, 2023. From left sad Czech goalie Karel Vejme ...
In der Vorbereitung überzeugten die Schweizer mit Siegen gegen Tschechien und Finnland.Bild: www.imago-images.de
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Der Halbfinal als Pflicht und eine gefährliche Versuchung

Ein besseres WM-Team hatte die Schweiz in der Neuzeit noch nie. Zumindest theoretisch. Der WM-Titel muss daher das Ziel sein, der Halbfinal Pflicht und die Gruppenspiele eine Aufwärmphase. In Riga geht es bereits um die WM 2026 in der Schweiz.
12.05.2023, 16:4212.05.2023, 17:57
klaus zaugg, riga
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Wer die weisen Worte als Erster gesprochen hat, ist nicht bekannt. «Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Wort. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.»

Nationaltrainer Patrick Fischer folgt dieser Weisheit. Er setzt richtigerweise hohe Ziele (WM-Titel) und wagt es, sie auszusprechen.

Ein sportlicher Triumph beginnt mit der hohen Zielsetzung. Dürfen wir den WM-Halbfinal tatsächlich als Pflicht bezeichnen? Ja, für Riga 2023 dürfen wir das. Das aktuelle WM-Team ist das beste der Neuzeit. Besser auch als die Silber-Mannschaften von 2013 und 2018. Zumindest theoretisch.

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, talks to reporters, after a Switzerland team training session at the IIHF 2023 World Championship, at the Riga Arena, in Riga, Latv ...
Nati-Coach Patrick Fischer darf auf eine schlagkräftige Truppe zählen.Bild: keystone

Für das WM-Team von Riga hätten unsere Nationaltrainer vor 20 Jahren den Hockeygöttern auf den Knien gedankt. Nationaltrainer Patrick Fischer beginnt das WM-Abenteuer in Riga mit einer Mannschaft, die bis auf die Goalies im Quadrat besser ist als das Team, mit dem einst Ralph Krueger zwölf Jahre lang heroisch um die Viertelfinals gerungen hat. Und doch sind wir in der Weltrangliste auf Position 7 nur geringfügig besser klassiert als vor 20 Jahren und bei den letzten vier Titelturnieren nicht weitergekommen als einst Ralph Krueger. Wie kann das sein?

Der falsche Coach? Nein, Patrick Fischer trifft (noch) keine Schuld.

Seit dem WM-Final von 2018 sind die Schweizer viermal gescheitert. Bei der WM fehlten gegen Kanada Sekundenbruchteile (2019), gegen Deutschland ereilte uns das Schicksal im Penaltyschiessen (2021) und krachend spektakulär war der Untergang vor einem Jahr: Als offensiv mit Abstand bestes Team der gesamten Vorrunde (das waren die Schweizer vorher noch nie) folgte gegen die USA ein «zu null» (0:3). Beim Olympischen Turnier war auch im Viertelfinal Sendeschluss. Der falsche Coach?

Nein, Patrick Fischer trifft (noch) keine Schuld. Aber inzwischen ist etwas grundsätzlich anders als zu Ralph Kruegers Zeiten. Deshalb ist das Erreichen der Viertelfinals keine Erfolgsmeldung mehr.

Vor 20 Jahren gab es in der NHL keine Schweizer in offensiven Rollen und in der Nationalmannschaft höchstens eine Linie, die international ein wenig am grossen offensiven Rad drehen konnte. Drei Viertel des Teams waren mit Defensivarbeit beschäftigt. Disziplin war wichtiger als Talent. Unsere WM-Partien gehörten zum taktisch Besten und zum Langweiligsten im internationalen Mannschaftssport überhaupt. «Football on Ice». So mauerten wir uns heroisch in die Viertelfinals. Und dann war Schluss.

Switzerland's Christoph Bertschy, left, and Andres Ambuehl are disapointed during the Ice Hockey World Championship quarter final match between Switzerland and the United States of America in Hel ...
Enttäuschte Schweizer nach dem Viertelfinalaus an der letzten WM.Bild: keystone

Wenn Patrick Fischer vom «Servette-Prinzip» profitieren und die spielerische DNA neu programmieren kann, dann ist es möglich, dass Riga 2023 sein wird wie Stockholm 2013 und Kopenhagen 2018.

Die DNA neu programmieren: Das Ziel ist zwar inzwischen der Halbfinal. Aber bisher war alles auf Viertelfinal programmiert: Vollgas von allem Anfang an, um möglichst schnell den Viertelfinal auf sicher zu haben. Die Grossen hingegen konzentrieren sich in den Gruppenspielen auf die Feinabstimmung, um ab Viertelfinal parat zu sein. Nun hat Patrick Fischer angekündigt, der Formaufbau sei geändert und so geplant wie bei den Grossen.

Bleibt die Parallele zu Servette: Die Genfer haben sich nach dem Aufstieg vor gut 20 Jahren mit wenig Talent, aber taktischer Schlauheit und Disziplin unter Bandengeneral Chris McSorley so in der Liga etabliert wie einst unser Nationalteam unter Ralph Krueger in den 2010er Jahren in der Weltelite. Dreimal reichte es für den Final (2008, 2010, 2021). Aber von einem Meistertitel war Servette weiter entfernt als die Schweiz vom Olympiasieg. Aus einem einfachen Grund: Die zwei oder drei Spieler fehlten, die aus einer guten eine meisterliche Mannschaft machen. Es gab sie nicht auf dem Markt und wenn es sie gegeben hätte, so wäre Servette nicht dazu in der Lage gewesen, sie zu bezahlen.

Die besten Schweizer sind in der Meisterschaft stärker gefordert worden. Die Ausländerregelung kann im Falle eines Falles keine WM-Ausrede sein.

Im letzten Sommer kam die Wende: Seit der Erhöhung von vier auf sechs Ausländer gibt es den Markt, um ein Meisterteam einzukaufen. Vier Ausländer machen eine Mannschaft besser. Aber erst sechs meisterlich. Zum richtigen Zeitpunkt hat Servette den Geldspeicher geöffnet und Sportchef Marc Gautschi die richtigen Ausländer verpflichtet. Die Genfer sind Meister geworden, weil sie die besseren Ausländer hatten.

Geneve-Servette's forward Teemu Hartikainen, left, and Geneve-Servette's forward Linus Omark, right, celebrate together with the trophy of Swiss Champion after winning by 4:1 the seventh and ...
Das «Servette-Prinzip» kann der Nati als Vorbild dienen.Bild: keystone

Was die Ausländer bei Servette sind, sind die «Ausländer» in unserem WM-Team: Die im Ausland, in Nordamerika, in der NHL engagierten Schweizer. Sie können aus einem guten WM-Team einen Halbfinalisten machen. Dazu kommt: Die sechs Ausländer pro Team haben der Nationalmannschaft nicht geschadet. Im Gegenteil: Die besten Schweizer sind in der Meisterschaft stärker gefordert worden. Die Ausländerregelung kann im Falle eines Falles keine WM-Ausrede sein.

Ob es in Riga für das Minimalziel Halbfinal reicht, wird entscheidend von der Form der «Ausländer» (unserer Nordamerikaner) abhängen. Und – natürlich – von den Goalies. Denn alle noch so wohldurchdachten Theorien können wir vergessen, wenn wir keine grossen Goalies haben.

Auch da hilft eine Parallele zu Servette: Robert Mayer spielte die Saison seines Lebens und die Genfer sind Meister geworden. Nun benötigen wir eine WM des Lebens von Leonardo Genoni oder… Robert Mayer.

Switzerland's goaltender Robert Mayer arrives for a Switzerland team training session at the IIHF 2023 World Championship, at the Riga Arena, in Riga, Latvia, Thursday, May 11, 2023. (KEYSTONE/Sa ...
Robert Mayer hat sich mit seiner starken Saison eine WM-Nomination verdient.Bild: keystone

Scheitern liegt in der Natur des Sportes. Was ist, wenn die Schweizer wieder im Viertelfinal stecken bleiben? Dann geht es um eine Analyse, um die Gründe herauszufinden und die richtigen Schlüsse zu ziehen.

In drei Jahren findet die WM in Zürich und Fribourg statt. Die WM 2026 ist das «Jahrhundert-Ziel» für unser Hockey. Die «Operation WM 2026» beginnt bereits in Riga.

Seit Dezember 2015 führt Patrick Fischer die Nationalmannschaft. Er ist der perfekte Nationaltrainer, gerade für die WM 2026 im eigenen Land. Einen besseren Werbeträger fürs Schweizer Hockey gibt es nicht. Aber der silberne Ruhm von 2018 ist verblasst, die Autobiografie geschrieben.

Womit wir wieder bei der Weisheit sind, die wahrscheinlich aus dem alten China stammt: «Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Wort. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.» Ein Scheitern in Riga wird da und dort den Gedanken reifen lassen, ob mit einem anderen Nationaltrainer – beispielsweise mit einem resultatorientierten Bandengeneral, der im Klubhockey erfolgreich war – bessere Resultate möglich wären. Eine gefährliche Versuchung.

Von diesen Gedanken ist es nicht mehr weit bis zur Polemik um den Nationaltrainer. Im Herbst kommt ein neuer Verbandspräsident. Wird auch er, wenn Riga 2023 keine Erfolgsgeschichte werden sollte, bedingungslos hinter dem Nationaltrainer stehen wie sein Vorgänger?

Eine Kontroverse um den Nationaltrainer wäre für unser Hockey und für die WM 2026 fatal.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hühne Bueber
12.05.2023 18:33registriert Oktober 2016
Dies wird eine der letzten WMs sein, bei der die Ausländerregelung die in ihren Klubs etablierten Schweizer stärker macht. Die nachfolgenden Jahrgänge haben nur noch geringe Chancen da ihnen die Eiszeit fehlt und in den entscheidenden Spielphasen die Ausländer forciert und eingesetzt werden. Habe diese Saison Spiele gesehen mit gleichzeitig 9 Ausländer auf dem Eis….(5:4)…geniessen wir noch Ambühl und Co. bevor es wieder in das Mittelmass zurück geht.
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hocky
12.05.2023 23:16registriert März 2021
Halbfinal als Pflicht. Diese Aussage grenzt an Grössenwahnsinn. Als Weltnummer 7 ist das 1/4-Final das Ziel und kann, im Gegensatz zu früher, bei gutem Verlauf erwartet werden. Läuft es nach Norm, trifft die CH im 1/4-Final auf die USA, Schweden oder Finnland. Alles viel mächtigere Eishockeynationen, wie die Schweiz. Nix da von Pflicht. An einem perfekten Tag kann es klappen. Bei einer Pflichtübung wären die Schweizer weiter vorne klassiert und die Halbfinals würden praktisch Jahr für Jahr erreicht. Ist aber eine Methodik Erwartungen zu schüren, um danach dem Trainer in die Pfanne zu hauen.
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