Während ihre Mitspielerinnen sich vom ersten EM-Spiel im Luxusresort in Leeds erholen, Mittagsschläfchen machen oder Golf spielen, klappt Fabienne Humm ihren Laptop auf. Sie muss arbeiten. Die 35-jährige Nati-Stürmerin ist in einem 100-Prozentpensum als Kauffrau in der Logistik angestellt. Für die Spiele mit dem Nationalteam opfert sie Ferien und macht Minusstunden. «Damit es nicht zu viele werden, versuche ich auch in England ein, zwei Stunden pro Tag zu arbeiten», sagt Humm.
In der Nati ist Humm mittlerweile die Einzige, die nicht mit Fussballspielen ihr Geld verdient. Die meisten kicken bei Topclubs im Ausland bei Arsenal London, Barcelona oder Eintracht Frankfurt, wo höhere Löhne gezahlt werden als in der Schweiz. Humm jedoch spielt seit 13 Jahren beim FC Zürich, ist Kapitänin, Rekordtorschützin, Vereinslegende.
2015 hat sie sich sogar in die Geschichtsbücher des Fussballs eingetragen: Gegen Ecuador erzielte sie den schnellsten Hattrick an einer Weltmeisterschaft. Drei Treffer in 274 Sekunden. Boulevardmedien gaben ihr den Spitznamen «Bumm-Bumm-Humm», der Hashtag #hummbelievable trendete auf Twitter.
Trotzdem sieht ihre Realität anders aus. Als sie am Pfingstmontag zum achten Mal Schweizermeisterin wurde, musste sie am Dienstag wieder ins Büro. «Ich habe aber gesagt, dass ich erst am Nachmittag auftauche. Einen Meistertitel muss man schliesslich feiern.» Arbeiten, Fussball spielen, arbeiten, Fussball spielen. Humms Leben ist eng getaktet. Eine Pause bekam sie erst kurz vor der EM: Corona. «Ein dummer Zeitpunkt, um krank zu werden. Zwei, drei Tage war es heftig. Zum Glück sind Husten und Fieber dann schnell verschwunden.» Nach einer Ewigkeit hatte sie einige Tage Zeit für sich. Warum tut sie sich das an? Drei Gründe.
Fussball ist Humms Leidenschaft. Wenn sie neben dem FC Zürich, der Nati und dem Job noch Zeit hat, spielt sie Beachsoccer. Auf dem sandigen, kleineren Feld ist der weiche Ball oft in der Luft. Jonglieren, Direktabnahmen, Fallrückzieher (Kopfüber in der Luft) – jedes zweite Goal auf Sand wäre auf Rasen ein Kandidat für das Tor des Jahres.
Diese Freude am Spektakel zeigt sie auch beim FCZ oder in der Nati. Humm hat die wohl höchste Fallrückzieherquote der Welt. «Fussball ist für mich ein Hobby. Ich mache das, weil es mir Spass macht. Ich habe Angst, dass ich die Freude daran verlieren würde, wenn ich Fussball spielen müsste, um Geld für meine Miete zu verdienen.» In der Schweiz reiche der Fussballerinnenlohn höchstens für die Spesen. Die meisten verdienen zwischen 500 und 1000 Franken im Monat.
Humm mag Beständigkeit. Jeden Mittag isst sie bei ihren Eltern. Sie arbeitet seit ihrer Lehre bei der selben Firma in Gebenstorf AG, wuchs in der Region auf, lebt noch immer dort.
«Ich glaube, ohne meinen Bürojob würde ich nicht so gut Fussball spielen», sagt Humm. Läuft es nicht auf dem Rasen, kann sie sich bei der Arbeit ablenken. Hat sie Stress im Büro, sprintet, grätscht und schiesst sie im Training am Abend umso mehr. «Ich möchte nicht nur als Fussballerin wahrgenommen werden, sondern auch ein Leben abseits des Platzes führen, mich beweisen», sagt Humm. Bei der Arbeit sei sie nicht FCZ-Kapitänin und Nati-Spielerin, sondern einfach Fabi. Im Büro schreie sie nicht rum, sei aber genauso direkt wie in der Kabine. Einigen Kolleginnen und Kollegen dämmere erst langsam, auf welchem Niveau sie spielt. Seit das SRF öfter Frauenfussball zeige. Sie gönnen ihr den Erfolg, drücken die Daumen und übernehmen die liegengebliebene Arbeit.
«Ich will an der EM am liebsten bis ins Finale kommen, aber…», Humm bricht den Satz ab. Sie hat schnell Heimweh, vermisst ihre Familie und Freunde. «Zum Glück sind wir nun alle an Gespräche via Video gewohnt, das hilft.» In den letzten 13 Jahren war sie viel unterwegs, hatte immer einen gepackten Koffer daheim. Sie merkte: Je länger sie verreist, desto mehr ist sie mit dem Kopf zuhause, statt bei der Sache. «Woher ich das habe, weiss ich nicht. In meinem Umfeld hat das sonst niemand. Ich bin einfach gerne daheim.»
Beim FC Zürich arbeiten Spielerinnen in Fitnesscentern, studieren oder machen eine Berufslehre. Humm will den Jüngeren ein Vorbild sein: Sie müssen nicht auf Teufel komm raus ins Ausland wechseln, um es in die Nati zu schaffen. «Ich hatte mehrere Angebote ins Ausland zu wechseln, aber entweder wäre es zu kurzfristig gewesen – ich habe drei Monate Kündigungsfrist – oder ich hätte wegen starker Konkurrenz mit weniger Spielzeit rechnen müssen», sagt Humm. Sie sei sehr zufrieden mit ihrer Karriere – doch bald sei Schluss.
«Ich spiele noch diese EM und eine letzte Saison mit dem FCZ als Profi.» Dann freut sie sich darauf, mehr Zeit daheim zu verbringen. Und den Koffer zu verstauen.
Beeindruckend wie viel Energie sie hat, auf so hohem Niveau zu Spielen und noch 100% zu arbeiten